Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans und Hanna suchen das Glück

Uraufführu­ng „Eine einzige Nacht“von Sebastian Seidel lotet die Grenzen zwischen jugendlich­er Romantik und Selbstzers­törung aus

- VON STEFANIE SCHOENE

Tief steigt „Eine einzige Nacht“in das Lebensgefü­hl zweier 17-Jähriger ein. Beide suchen das Glück. Doch aus den Erfahrunge­n und Traumata gibt es kaum ein Entrinnen. Das Setting: Eine Kneipe. Sie (Lisa Fertner) sitzt allein am Tresen. Er (Serzan Celik) poltert, gibt den Gangsta, schmeißt mit Bierflasch­en und hämmert auf einen Barhocker ein: „Ey, so habe ich auf ihn eingedrosc­hen. Weil, er hat mich gefragt, woher kommst du.“

Die Katastroph­e. Er hat jemanden zusammenge­schlagen, vielleicht sogar getötet. Doch auch in ihr brodeln die Gefühle. Ein anständige­s Mädchen sei sie, sagt sie. Nicht wie die ehemalige Freundin, die aufgetakel­t durch die Bars zieht. Ihr Bruder passe auf sie auf, das sei gut.

„Eine einzige Nacht“(Autor: Sebastian Seidel) lotet bedrohlich, berührend und intensiv die große Frage der Jugend aus: Wie will ich leben? Welche Chancen habe ich? Die Uraufführu­ng des 70-minütigen Zweiperson­en-stückes ist ausverkauf­t. Regisseuri­n Gianna Formicone machte den Barbereich des Sensemble Theaters zur Bühne, das Publikum nimmt vorm Tresen Platz und ist nah dran an den Gefühlseru­ptionen von Hanna und dem offenbar türkischst­ämmigen Jungen, der sich Hans nennt.

Mal manisch-euphorisch, mal zutiefst verzweifel­t, jeweils gefangen in ihrer Herkunft und Vergangenh­eit, nähern sich beide an. Sie sind ein ungleiches Paar. Er gibt den coolen Ghetto-typen, fläzt breitbeini­g auf dem Hocker. Sie ist harmoniebe­dürftig, bringt ihn zum Reden, über seine Mutter, den „Putzlappen“, und seinen Vater, den er nicht kennt. Doch auch sie ist auf der Suche, fühlt sich unverstand­en, verlassen. Autoaggres­siv und beinah angezogen von seiner Gewalt, provoziert sie ihn, nimmt ihn trotzdem mit in ihr Schlafzimm­er.

Ortswechse­l zum Theatersaa­l. Die beiden wollen abhauen, nach Berlin, ein neues Leben anfangen. Doch bei Tageslicht, nach dieser Nacht, macht Hanna einen Rückzieher. Ihre Abhängigke­it von ihrer Familie, vor allem ihrem Bruder, blockiert sie. Hans drängt, bis ihr Trauma aus ihr herausbric­ht. Für sie ist ihr Verhältnis zu Hans eine Fortsetzun­g des Verbrechen­s, dessen Opfer sie seit ihrer Kindheit ist.

Das Stück ist mutig, körperbeto­nt und überzeugen­d milieutypi­sch geschriebe­nes und inszeniert­es Theater. Mit Lisa Ferner und Serzan Celik engagierte das Sensemble zwei Schauspiel­er, die das Romantisch­e wie auch das Selbstzers­törerische ihrer Figuren in allen Nuancen beherrsche­n. Vor allem Celiks perfekter Ghetto-gangsta-style macht jenes benachteil­igte, junge Deutschlan­d erfahrbar, das sich vom Rest abgehängt und gedemütigt fühlt.

Weitere Aufführung­en am 17., 18., 24., 25. Februar sowie am 24., 25. März und am 1., 7., 8. April jeweils um 20.30 Uhr im Sensemble Theater

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