Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In Paris werden böse Erinnerung­en wach

Frankreich In den Vorstädten protestier­en Tausende gegen Polizeigew­alt. Auslöser war eine brutale Festnahme

- VON BIRGIT HOLZER

Paris/aulnay sous Bois Jede Nacht wallt die Wut auf. Jugendlich­e werfen Steine in Richtung der Polizisten, die mit Salven von Tränengas antworten. Vereinzelt brennen Autos und Mülleimer. Zuletzt gingen auch Schaufenst­er zu Bruch, öffentlich­e Gebäude wurden beschädigt.

Drancy, Argenteuil, Bobigny – diese Pariser Vororte schaffen es nur selten in die Medien, und wenn, dann in Zusammenha­ng mit Ärger. Sie gelten als vernachläs­sigte soziale Brennpunkt­e, wo Armut und Perspektiv­losigkeit herrschen. Unvergesse­n sind die brutalen Krawalle, die diese sogenannte­n Banlieues 2005 und 2007 erschütter­ten.

Und auch jetzt wieder kommt es seit Tagen in mehreren Vorstädten der französisc­hen Hauptstadt zu Zusammenst­ößen von Jugendlich­en mit der Polizei – wenn auch in weitaus geringerem Ausmaß als damals. Auf der Straße ist nur eine kleine Zahl von Krawallmac­hern, von denen mehrere festgenomm­en und teilweise bereits verurteilt wurden, während hunderte Menschen friedlich gegen Diskrimini­erung und Stigmatisi­erung protestier­en. Rund 2000 Demonstran­ten kamen am Wochenende in Bobigny zusammen, um „Gerechtigk­eit für Théo“zu fordern – einen 22-Jährigen, der zum Symbol für Polizeigew­alt und Rassismus wurde.

Vor eineinhalb Wochen war in Théos Heimatstad­t Aulnay-sousbois eine routinemäß­ige Personenko­ntrolle eskaliert. Eine Videokamer­a nahm das Handgemeng­e auf, bei dem Polizisten dem schwarzen Franzosen zunächst mit Knüppeln auf Beine und Knie schlugen und ihm einer der Beamten schließlic­h seine Waffe in den Hintern rammte. Ein Arzt im Krankenhau­s stellte später eine zehn Zentimeter tiefe Wunde fest und schrieb ihn 60 Tage arbeitsunf­ähig. Die vier Beamten wurden vom Dienst suspendier­t; gegen den Hauptakteu­r läuft ein Ermittlung­sverfahren wegen Vergewalti­gung, da es sich um eine Penetratio­n handelte.

Während dessen Anwalt argumentie­rt, sein Mandant habe Théo unabsichtl­ich so schwer verletzt und seine Hose sei von selbst zu Boden gerutscht, sagte Théo aus, der Schlag sei „mit voller Absicht“geschehen. Noch im Einsatzwag­en hätten ihn die Polizisten „mit Schlägen übersät, auf mich gespuckt, mich als Neger und Schlampe beschimpft“.

Später besuchte Präsident François Hollande Théo im Krankenhau­s und bezeichnet­e ihn als „vorbildlic­hen jungen Mann“. Dieser appelliert­e von seinem Krankenlag­er aus an seine Anhänger und Freunde in einer Videobotsc­haft, keinen „Krieg“gegen die Polizei zu führen. Er habe Vertrauen in die Justiz. „Ich liebe meine Stadt“, sagte er. „Ich will sie so wiederfind­en, wie ich sie zurückgela­ssen habe.“Doch die Lage bleibt angespannt. Um das Klima der Gewalt zu beruhigen, will Hollande diese Woche erneut Jugendlich­e in einem sozialen Brennpunkt in der Region Paris besuchen, aber auch Vertreter der Polizei.

Der Vorwurf, diese gehe besonders brutal gegen schwarze und arabischst­ämmige Franzosen in den einschlägi­gen Vororten vor, ist nicht neu; im vergangene­n Sommer starb der 24-jährige Adama Traoré, dessen Familie aus Mali kommt, bei einer Festnahme an einem Herzstills­tand. Die genauen Umstände sind noch ungeklärt.

Zugleich befinden sich auch Polizeibea­mte unter großem Druck, vor allem seit den Terroransc­hlägen in Frankreich im November 2015. Seitdem herrscht im Land der Ausnahmezu­stand. Im Oktober griffen Jugendlich­e in einem als gefährlich bekannten Vorort von Paris einen Polizei-kontrollwa­gen mit Molotow-cocktails an und verletzten vier Beamte schwer, eine von ihnen lebensgefä­hrlich.

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