Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Irgendwo müssen diese Menschen ja leben“
Gesellschaft Das Haus Delphin gibt sozial Schwachen eine Heimat. Jetzt zieht die Einrichtung, in der viele Suchtkranke leben, um. Doch die künftigen Nachbarn haben Bedenken. Wovor sie Angst haben – und was der Leiter dazu sagt
Viele Nachbarn sind skeptisch. Sie verfolgen mit Sorge, was derzeit in einem Wohn- und Geschäftshaus in der Inninger Straße in Haunstetten geschieht. Das Erdgeschoss des Gebäudes wurde umgebaut, im von der Straße abgewandten Hof stehen jetzt mehrere Wohncontainer. Ende der Woche sollen die ersten Bewohner einziehen. Das Haus Delphin, ein betreutes Wohnangebot für sozial schwache Menschen, hat hier eine neue Bleibe gefunden. Vor allem alkoholkranke Menschen, die sonst nirgends mehr unterkommen, finden hier noch ein Zuhause.
Es ist kein weiter Umzug, es sind nur ein paar hundert Meter. Bisher war das Haus Delphin in der Landsberger Straße in einem ehemaligen Hotel untergebracht. Der sieben Stockwerke hohe Betonbau hat seit Jahren einen schlechten Ruf. Regelmäßig musste die Polizei anrücken, um Streitereien unter Betrunkenen zu schlichten. Mehrere Gewalttaten machten Schlagzeilen. Ein Mann mit 3,3 Promille Alkohol im Blut stach mit einem Messer einer Bekannten in die Brust. Ein anderer Bewohner des Hauses soll versucht haben, seine Lebensgefährtin umzubringen, indem er das Kabel eines Fernsehers manipulierte. Die Frau erlitt einen Stromschlag.
Im Oktober 2013 hielt ein 32-jähriger Mann im Drogen- und Alkoholrausch seiner vier Jahre jüngeren Freundin Mund und Nase zu. Sie starb, er wurde zu acht Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt und musste in die geschlossene Psychiatrie. Nachbarn sind deshalb in Sorge. Sie fürchten Ärger und Lärm durch Trinkgelage. Frank Pöschl, ein gelernter Altenpfleger, versteht diese Ängste. Er sagt: „Es gab ja tatsächlich eine Reihe von Zwischenfällen, die alle mit dem Haus Delphin in Verbindung gebracht worden sind.“Er sieht sein Betreutes Wohnen aber zu Unrecht in ein solch schlechtes Licht gerückt. Er habe mit dem Haus Delphin nur einen Teil des großen Gebäudes belegt. Viele weitere Apartments seien von den Besitzern des Hauses an sozial schwache Mieter vergeben worden. Und fast alle Gewalttaten – mit Ausnahme des Tötungsdeliktes – hätten sich in diesen Apartments abgespielt.
Weil aber eine weithin sichtbare Werbetafel mit der Aufschrift „Haus Delphin“oben auf dem Dach steht, sei das alles seinen Bewohnern zugerechnet worden. Aus dem ehemaligen Hotel müssen jetzt alle Mieter raus. Ein Investor hat das Gebäude aufgekauft. Wie es heißt, sollen Studentenapartments und Wohnungen
Bewohner kommen vorerst noch in Containern unter
entstehen. Auch an ein Lokal ist offenbar gedacht. Frank Pöschl sagt, er habe zuerst nicht gewusst, wie es mit dem Haus Delphin weitergehen soll. Es sei nahezu unmöglich gewesen, ein Gebäude anzumieten. Niemand wollte etwas damit zu tun haben.
Doch dann fügte es sich doch: Das Haus in der Inninger Straße stand zum Verkauf und Pöschl fand einen Investor, der es kaufte und nun an ihn vermietet. Die früheren Laden- im Erdgeschoss hat Frank Pöschl inzwischen in Aufenthaltsräume umgebaut. Auch eine behindertengerechte Dusche und Toilette ist neu. Eine sechsstellige Summe habe er investiert, sagt Pöschl.
In den oberen Stockwerken befinden sich Wohnungen, die teils noch vermietet sind. Den Mietern wurde gekündigt, sie müssen im Lauf des Jahres ausziehen. Bis dahin will Pöschl einen Teil der 45 Bewohner in den im Hof aufgestellten Wohncontainern unterbringen. Er sagt, er sei davon ausgegangen, dass er für diese vorübergehende Nutzung keine Genehmigung braucht. Die Stadt sieht das anders. Das Bauordnungsamt verzichtete aber darauf, die Beseitigung anzuordnen. Der Grund laut einer Sprecherin der Stadt: „Die besondere Dringlichkeit, bedürftigen Menschen ein Dach über dem Kopf zu gewähren.“Pöschl erhielt die Möglichkeit, einen Bauantrag nachzureichen.
Dass seine Bewohner aufgrund ihrer Suchtprobleme und anderer psychischer Erkrankungen nicht immer einfach seien, daraus macht Pöschl keinen Hehl. Er sagt aber auch: „Diese Menschen müssen irgendwo leben. Bei uns kommen sie unter und werden betreut.“Man hilft ihnen bei der Körperpflege. Es gibt drei Mal am Tag Essen. Meistens setze er sich dabei zu den Beräume wohnern, sagt Pöschl. Am Abend gibt es ein oder zwei Bier, oft legt er dann noch Schlager auf. „Das gefällt den Bewohnern.“Viele sind in anderen Heimen und Wohnungen nicht klargekommen. Oder sie gelten als „austherapiert“. Ohne das Haus Delphin stünden sie wohl auf der Straße. Das sieht man hinter vorgehaltener Hand auch bei der Stadt so: Viele Alternativen für suchtkranke Menschen, vor allem für Alkoholiker, gebe es nicht.
Frank Pöschl sagt, er hoffe, dass sich die Angst der Anwohner lege, wenn der Betrieb erst einmal läuft. Sorgen machen sich auch die Betreiber eines Cafés, das direkt neben dem künftigen Haus Delphin liegt. Pöschl dagegen glaubt nicht, dass es größere Konflikte geben wird. Bisher, im alten Gebäude, habe es oft Ärger durch andere Hausbewohner gegeben, um die sich niemand kümmerte. Das sei im neuen Haus nicht mehr der Fall. „Unsere Bewohner brauchen ein Zuhause“, sagt Pöschl. „Irgendwo müssen sie leben, auch wenn niemand sie haben will.“