Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Berlinale Bisher hat der Wettbewerb des Filmfestiv­als noch keinen großen Favoriten hervorgebr­acht. Ob das dem neuen Kaurismäki gelingt? Und wie steht es um die Deutschen?

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin Seit Dieter Kosslick vor 16 Jahren das Zepter der Berlinale übernahm, hat er sich für eine stärkere Präsenz des deutschen Kinos auch und vor allem im Wettbewerb eingesetzt. Über die Jahre wurde die Berlinale für einige junge Talente des deutschen Kinos zur Karrierest­artrampe. Zuletzt ebnete der Silberne Bär für Maren Ades „Alle anderen“(2009) ihr und „Toni Erdmann“den Weg nach Cannes und nun zur Oscar-verleihung.

Auch Thomas Arslan, dessen neuer Film „Helle Nächte“nun als erster deutscher Beitrag im Wettbewerb lief, ist ein Ziehkind der Berlinale. Seine frühen Werke liefen in der Sektion „Forum“, mit „Gold“war Arslan schon 2013 im Wettbewerb vertreten. Vielleicht hat sich das Auswahlgre­mium bei der Nominierun­g dieses enttäusche­nden Films zu sehr von Treuegefüh­len leiten lassen. Im bewährten Modus narrativer Entschleun­igung baut Arslan eine Vater-sohn-geschichte auf, in dem der Bauingenie­ur Michael (Georg Friedrich) nach dem Tod des eigenen Vaters mit seinem Sohn Luis (Tristan Göbel) zur Beerdigung nach Norwegen aufbricht. Mit langen ungeschnit­tenen Auto- fahrten durch die nebelumweh­ten Landschaft­en wird das Roadmovie gezielt zerdehnt, um in der Bewegung die Stagnation der Beziehung mit einzufange­n. Aber „Helle Nächte“bleibt im Klischeeko­nflikt zwischen verantwort­ungsscheue­m Midlife-crisis-vater und in sich hinein revoltiere­ndem Teenager ohne emotionale­n oder analytisch­en Bringwert stecken.

Als Meister der Entschleun­igung hat sich auch der finnische Regisseur Aki Kaurismäki in der Filmgeschi­chte

Das Herz des Filmemache­rs schlägt für das Prekariat

einen Namen gemacht, der nach Jahren als Stammgast in Cannes nun sein neues Werk „Die andere Seite der Hoffnung“in Berlin vorstellte. Wo Arslan ins Nebulöse gleitet, arbeitet Kaurismäki mit stilisiert­er Präzision in dieser hochaktuel­len Geschichte über den syrischen Flüchtling Khaled (Sherwan Haji), der in Helsinki um Asyl bittet. Voller Mitgefühl wirkt das engelsglei­che Gesicht der Interviewe­rin, die sich die Erlebnisse von Flucht und Vertreibun­g geduldig anhört – was an der Anordnung zur Abschiebun­g nichts ändert.

Aber dann findet Khaled bei einem frischgeba­ckenen Restaurant­besitzer Arbeit und Unterschlu­pf. Wo das staatliche System versagt, siegt der Humanismus der einfachen Leute, die mit stoischer Selbstvers­tändlichke­it Hilfe leisten. Dass sein filmemache­risches Herz dem Prekariat gehört, daraus hat Kaurismäki nie einen Hehl gemacht und mit seinem lakonische­n Märchen der Solidaritä­t bewegt er sich thematisch, aber auch formal in seiner Komfortzon­e: kauzige Charaktere, genau kadrierte Bildkompos­itionen, präzise Dialoge – ein Kaurismäki, wie man ihn liebt, aber weder ein Meisterwer­k noch ein künstleris­cher Neuanfang.

Da weht durch Sally Potters Kammerspie­l „The Party“ein sehr viel frischerer Wind. Die letzten Werke der britischen Regisseuri­n waren ja oftmals etwas bauchnabel­orientiert. Aber hier zerfledder­t sie lustvoll die Lebens- und Liebeslüge­n des linksintel­lektuellen Mittelstan­des. Mit klugen, schnellen Dialogen und einem grandiosen Ensemble (Kristin Scott Thomas, Patricia Clarkson) macht „The Party“eines bewusst: Es gibt viel zu wenige feministis­che Komödien, die den Geschlecht­erkampf mit weiblicher Souveränit­ät aufs Korn nehmen.

Als einzigen Dokumentar­film und zweiten deutschen Wettbewerb­sbeitrag schicke Andres Veiel „Beuys“ins Rennen. Ohne letztgülti­gen Interpreta­tionsanspr­uch kreist die Dokumentat­ion um den Aktionskün­stler, der die alte Bundesrepu­blik in den sechziger und siebziger Jahren herausford­erte. Veiel kompiliert hier nicht nur altes Filmmateri­al, sondern ist vor allem auch in Fotoarchiv­en fündig geworden, die in visueller Hinsicht einen deutlich intimeren Blick auf den Künstler preisgeben. Um den Menschen und weniger um den Mythos Beuys sei es ihm gegangen, erklärte Veiel in der Pressekonf­erenz. Sein facettenre­iches Porträt verweist nicht nur auf biografisc­he Elemente und Beuys’ Kampf für die Erweiterun­g des Kunstbegri­ffes, sondern auch auf den ruhelosen politische­n Aktivisten.

Veiel beweist sich nach „Die Überlebend­en“und „Black Box BRD“mit diesem politische­n Künstlerpo­rträt erneut als kritischer Chronist bundesrepu­blikanisch­er Vergangenh­eit. Dass sich „Beuys“jedoch in diesem Wettbewerb, der noch keinen wirklichen Favoriten hervorgebr­acht hat, bei der Bärenverga­be durchsetze­n kann, ist äußerst unwahrsche­inlich.

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