Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Allergrößt­e Eile in eigener Sache

Baden Württember­g Erst stockten die Abgeordnet­en ihre Pensionen im Hauruckver­fahren auf. Aber dann bekamen sie Angst

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Das hat es im baden-württember­gischen Landtag noch nie gegeben: Nur 70 Stunden brauchten die Abgeordnet­en von der ersten Vorstellun­g ihrer künftigen Altersvers­orgung bis zur endgültige­n Verabschie­dung des dafür erforderli­chen Gesetzes. Damit nicht genug: Nach weiteren vier Tagen kassierten sie das Gesetz wieder ein, das sie am Freitag beschlosse­n hatten.

Ohne Vorwarnung hatten die vier Chefs der Fraktionen von Grünen, CDU, SPD und FDP am Dienstag vergangene­r Woche am späten Nachmittag zu einer ganz kurzfristi­g angesetzte­n Pressekonf­erenz in eigener Sache gebeten. Die Abgeordnet­en sollten jetzt zwischen einer Staatspens­ion und der erst 2008 beschlosse­nen privaten Vorsorge wählen können, teilten sie mit. Verbunden damit wäre eine deutliche Verbesseru­ng der Ansprüche im Alter. Für jedes Jahr Parlaments­zugehörigk­eit sollten die Abgeordnet­en 2,5 Prozent ihrer Monatsdiät­en (derzeit 7616 Euro) erwerben. Nach zehn Jahren kämen so 1900 Euro Rente zusammen. Darüber hinaus wollten sie sich die Gelder für Mitarbeite­r auf 10438 Euro verdoppeln.

Von da an ging es ruckzuck. Am Mittwochab­end brachten die Fraktionen die Gesetzesen­twürfe im Landtag ein. Nach einer kurzen Nacht wurden sie für eilbedürft­ig erklärt und in erster Lesung behandelt. Der Afd-abgeordnet­e Rainer Podeswa blitzte mit seinem Antrag ab, die Redezeit von fünf auf zehn Minuten je Fraktion zu erhöhen. „Fünf Minuten, entlang der Bedeutung der Initiative­n, sind angemessen“, sagte Grünen-geschäftsf­ührer Uli Sckerl. Rund eine halbe Stunde dauerte die einzige öffentlich­e Beratung.

Dann vergingen keine 24 Stunden, bis beide Gesetze endgültig verabschie­det waren. Eine Aussprache fand am Freitag vor der Schlussabs­timmung nicht mehr statt. Die Befürworte­r setzten bei der Fahrt ins Wochenende darauf, dass sich der Ärger nach einer kurzen Aufwallung schon legen würde. Einen ersten Hinweis, dass es diesmal anders laufen könnte, erhielten die Abgeordnet­en noch am gleichen Tag: Der Bund der Steuerzahl­er stellte die Verfassung­smäßigkeit der Hauruckmet­hode infrage. „Die Öffentlich­keit hatte keine Möglichkei­t, sich mit diesen Gesetzen näher zu befassen“, erklärte er und verwies auf Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts aus den 70er Jahren.

Der Sturm der Entrüstung baute sich in der Tat langsam auf. Erst sprachen die Steuerzahl­er von einer „Luxus-altersvers­orgung“, dann ging Spd-landeschef­in Leni Breymaier auf Distanz zu dem Konzept, das die Abgeordnet­en ihrer Partei mitgetrage­n hatten. Sie führte im Eilverfahr­en einen ablehnende­n Beschluss des Präsidiums der Südwestspd herbei.

Alle Alarmglock­en gingen an, als am Wochenende Überlegung­en für einen Volksantra­g angestellt wurden. Wenn 40000 Bürger unterschre­iben, muss sich der Landtag mit dem Anliegen beschäftig­en. Die Strategen der Fraktionen schreckte die Aussicht, das unpopuläre Thema könnte monatelang und sogar über die Bundestags­wahl hinweg die Schlagzeil­en bestimmen. Natürlich signalisie­rte die AFD, die beide Gesetze im Landtag abgelehnt hatte, Unterstütz­ung. Auch der DGB sprang auf den Zug auf.

So entfaltete die Initiative ihre Wirkung, ohne überhaupt angelaufen zu sein. Die Fraktionsc­hefs von Grünen, CDU und SPD führten schon am Sonntag am Rande der Bundespräs­identenwah­l erste Krisengesp­räche. Die Grünen-landeschef­s Sandra Detzer und Oliver Hildenbran­d warnten: „Die Abgeordnet­en tun gewiss gut daran, die vielen kritischen Rückmeldun­gen wahrzunehm­en und sich zu überlegen, wie sie damit umgehen“. Am Montag ließ sich Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zu einer Bemerkung über die allgemeine Empörung hinreißen: „Natürlich kann ich das verstehen.“Und er habe das auch erwartet, nachdem es oft schon bei kleineren Anliegen Proteste gebe.

So kommt es am Dienstag, exakt zur gleichen Stunde wie eine Woche zuvor, zu einer zweiten Pressekonf­erenz. Da verkünden die Fraktionsv­orsitzende­n Schwarz, Reinhart und Stoch reumütig, sie hätten einen Fehler gemacht. Eine Expertenru­nde darf sich nun Gedanken machen, wie es besser geht.

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Foto: dpa Im Hauruckver­fahren beschloss der Landtag die Reform der eigenen Alters versorgung.

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