Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
99 Prozent Überflüssige?
Zukunft Die Ressourcen werden nicht für alle reichen. Aber wenige könnten leben wie im Paradies. Wenn der Computer entscheidet …
100 Millionen Menschen. Für so viele wird es wohl reichen. Ein Leben in absoluter Sicherheit und mit allem Komfort, in bester Gesundheit und mit allen erdenklichen Freiheiten – das könnten ihnen die absehbaren technischen Fortschritte ermöglichen. Und 100 Millionen wären auch ausreichend für einen Gen-pool zur weiteren Entwicklung des Menschen. Das Problem ist: In absehbarer Zeit schon, wohl um das Jahr 2050, werden es auf der Erde 10 Milliarden Menschen sein.
Sollen die weiter um die für alle sowieso immer zu knappen und nie ganz gerecht zu verteilenden Ressourcen kämpfen und wettkämpfen? Oder ist es Zeit, das, was sich unterschwellig ohnehin abzeichnet, nun mit kühlem Verstand zu organisieren? Eine Auswahl von einem Prozent. Aber eben nicht aufgrund von Reichtum und Macht – sondern aufgrund von geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Bloß: Wohin mit den überflüssigen 99 Prozent Menschen? Und: Wer könnte das entscheiden?
Es ist NOW. So heißt ein Quantencomputer, der alle überhaupt verfügbaren Informationen dazu auswerten kann. Aus Wissenschaft und Geschichte, aus den persönlichen Daten der Menschen und ihrer Kommunikation. Denn alles ist für NOW zugänglich, weil in ihm die Datenströme der Internet-giganten zusammenlaufen. So übernimmt diese überragende Intelligenz mit überlegenem Wissen und neutraler Rationalität die Selektion der 100 Millionen, die in klimatisch gemäßigten Breiten unter paradiesischen Umständen leben. Ohne Lohnarbeit, von allgegenwärtiger Technik in sämtliche Annehmlichkeiten gebettet, von einer perfekten, übergeordneten Vernunft regiert.
Die nun überflüssigen 99 Prozent der Menschheit leben auf dem Rest der Erde, ohne Strom und ohne Netzverbindung, ohne Ordnung und Hierarchien – und gleiten aus der eben noch herrschenden Moderne rasend zurück in die Urzeit, zurück in die Natur. Die teilweise verseucht ist, hier und da von Clans beherrscht wird, wo Wasser und Essen täglich erkämpft werden wollen, aber auch eine archaische Form der Freiheit herrscht …
„NOW“– das ist auch der Name des Buches, das diese Zukunft ausbreitet (Penguin, 432 S., 13 ¤). Geschrieben von einem, der abgeschlossene Eliten kennt. Stephan R. Meier, geboren 1958, wuchs als Sohn des Chefs von BND und Verfassungsschutz im deutschen Herbst hinter Panzerglas auf. Später führte er Luxushotels in aller Herren Länder. Dann begann er sich für künstliche Intelligenz zu interessieren und deren Rolle in einer Welt der sich zuspitzenden Krisen. Was dabei herausgekommen ist, ist mehr als einfach nur sein erster Thriller nach zwei Sachbüchern.
Visionen der Science Fiction können durch konsequentes Weiterdenken und kluges Zuspitzen aufzeigen, welche Tendenzen unserer Gegenwart innewohnen. „NOW“knüpft so eindrücklich und schlüssig an für uns bereits absehbare Möglichkeiten an, dass sein Entwurf eben nicht einfach ein fantasievolles Gespinst bleibt. Als Thriller überzeugt das Buch auch nicht sonderlich, ist handwerklich Durchschnitt. Aber die Vision selbst macht frösteln. Ihre schneidende Kühle wirkt so rational und realistisch, dass man Autor Meier nur zustimmen kann, wenn er sagt: In den Jahren des Schreibens schon hatte er das Gefühl, dass sich die Wirklichkeit immer mehr seiner Geschichte annähere. So gesehen hätte „NOW“auch die Substanz für eine ganze Trilogie gehabt. % "
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% 2017 !