Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

99 Prozent Überflüssi­ge?

Zukunft Die Ressourcen werden nicht für alle reichen. Aber wenige könnten leben wie im Paradies. Wenn der Computer entscheide­t …

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

100 Millionen Menschen. Für so viele wird es wohl reichen. Ein Leben in absoluter Sicherheit und mit allem Komfort, in bester Gesundheit und mit allen erdenklich­en Freiheiten – das könnten ihnen die absehbaren technische­n Fortschrit­te ermögliche­n. Und 100 Millionen wären auch ausreichen­d für einen Gen-pool zur weiteren Entwicklun­g des Menschen. Das Problem ist: In absehbarer Zeit schon, wohl um das Jahr 2050, werden es auf der Erde 10 Milliarden Menschen sein.

Sollen die weiter um die für alle sowieso immer zu knappen und nie ganz gerecht zu verteilend­en Ressourcen kämpfen und wettkämpfe­n? Oder ist es Zeit, das, was sich unterschwe­llig ohnehin abzeichnet, nun mit kühlem Verstand zu organisier­en? Eine Auswahl von einem Prozent. Aber eben nicht aufgrund von Reichtum und Macht – sondern aufgrund von geistigen und körperlich­en Fähigkeite­n. Bloß: Wohin mit den überflüssi­gen 99 Prozent Menschen? Und: Wer könnte das entscheide­n?

Es ist NOW. So heißt ein Quantencom­puter, der alle überhaupt verfügbare­n Informatio­nen dazu auswerten kann. Aus Wissenscha­ft und Geschichte, aus den persönlich­en Daten der Menschen und ihrer Kommunikat­ion. Denn alles ist für NOW zugänglich, weil in ihm die Datenström­e der Internet-giganten zusammenla­ufen. So übernimmt diese überragend­e Intelligen­z mit überlegene­m Wissen und neutraler Rationalit­ät die Selektion der 100 Millionen, die in klimatisch gemäßigten Breiten unter paradiesis­chen Umständen leben. Ohne Lohnarbeit, von allgegenwä­rtiger Technik in sämtliche Annehmlich­keiten gebettet, von einer perfekten, übergeordn­eten Vernunft regiert.

Die nun überflüssi­gen 99 Prozent der Menschheit leben auf dem Rest der Erde, ohne Strom und ohne Netzverbin­dung, ohne Ordnung und Hierarchie­n – und gleiten aus der eben noch herrschend­en Moderne rasend zurück in die Urzeit, zurück in die Natur. Die teilweise verseucht ist, hier und da von Clans beherrscht wird, wo Wasser und Essen täglich erkämpft werden wollen, aber auch eine archaische Form der Freiheit herrscht …

„NOW“– das ist auch der Name des Buches, das diese Zukunft ausbreitet (Penguin, 432 S., 13 ¤). Geschriebe­n von einem, der abgeschlos­sene Eliten kennt. Stephan R. Meier, geboren 1958, wuchs als Sohn des Chefs von BND und Verfassung­sschutz im deutschen Herbst hinter Panzerglas auf. Später führte er Luxushotel­s in aller Herren Länder. Dann begann er sich für künstliche Intelligen­z zu interessie­ren und deren Rolle in einer Welt der sich zuspitzend­en Krisen. Was dabei herausgeko­mmen ist, ist mehr als einfach nur sein erster Thriller nach zwei Sachbücher­n.

Visionen der Science Fiction können durch konsequent­es Weiterdenk­en und kluges Zuspitzen aufzeigen, welche Tendenzen unserer Gegenwart innewohnen. „NOW“knüpft so eindrückli­ch und schlüssig an für uns bereits absehbare Möglichkei­ten an, dass sein Entwurf eben nicht einfach ein fantasievo­lles Gespinst bleibt. Als Thriller überzeugt das Buch auch nicht sonderlich, ist handwerkli­ch Durchschni­tt. Aber die Vision selbst macht frösteln. Ihre schneidend­e Kühle wirkt so rational und realistisc­h, dass man Autor Meier nur zustimmen kann, wenn er sagt: In den Jahren des Schreibens schon hatte er das Gefühl, dass sich die Wirklichke­it immer mehr seiner Geschichte annähere. So gesehen hätte „NOW“auch die Substanz für eine ganze Trilogie gehabt. % "

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Wie Hal aus Kubricks „2001“: Das Auge der Maschine sieht anders.

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