Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Kulttrip – 20 Jahre später

Trainspott­ing 2 Danny Boyle legt nach, in Originalbe­setzung: Denn im bedröhnten Freundeskr­eis von damals sind Rechnungen offengebli­eben. Ein folgenreic­hes Wiedersehe­n in Edinburgh…

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Ich werde anständig und sage Ja zum Leben. Ich freue mich schon drauf. Bald bin ich genau wie ihr“, sagte Mark Renton am Ende von „Trainspott­ing“. Ein ironisches Verspreche­n, von dem damals im Jahre 1996 niemand so recht glaubte, dass er es wirklich einlösen würde. Schließlic­h hatte man gerade eine cineastisc­he Achterbahn­fahrt hinter sich und war diesem blutjungen Mann, der von dem Newcomer Ewan Mcgregor gespielt wurde, durch die Abgründe seiner Heroinsuch­t gefolgt.

Man hatte zugesehen, wie sein Körper auf der Suche nach einem Päckchen Diacetylmo­rphin in der versifftes­ten Kloschüsse­l Schottland­s verschwand. Wie er die Wohnungstü­r vernagelte, seine Bruchbude für den Entzug vorbereite­te, um sich kaum eine Minute später auf die Suche nach dem nächsten Schuss zu begeben. Man hatte ein Gespür für die orgiastisc­hen Glücksgefü­hle eines intravenös­en Trips bekommen und für die Macht der Sucht, die den eigenen Willen in sich aufsaugt.

Das alles wurde in diesem wilden, schnellen Film im vollkommen moralfreie­n Raum verhandelt. Ohne falsches Mitleid. Auf Augenhöhe mit diesen abgefuckte­n Typen, die als bekennende Situationi­sten im Hier (Edinburgh) und Jetzt (die 90er) lebten und nicht an die Zukunft dachten. Aber jetzt ist sie da, die Zukunft, in „T2 Trainspott­ing“– der Fortsetzun­g des Kultfilmes, die zwei Jahrzehnte auf sich warten ließ. Mark, so scheint es, hat seine Drohung wahr gemacht und ist anständig geworden. Früher lief er mit der Diebesbeut­e unter dem Arm in jugendlich­er Rasanz seinen Verfolgern davon. Jetzt rennt er neben all den anderen auf der Stelle – im Fitness-center auf einem Laufband –, gerät ins Stolpern und schlägt äußerst unelegant hin.

Aus Amsterdam, wo er Software für die Lagerverwa­ltung des Einzelhand­els entwickelt hat, macht er sich auf nach Edinburgh, als es mit dem Spießerdas­ein nicht mehr so funktionie­ren will. Nicht nur er, auch die Stadt hat sich verändert. Slowakisch­e Hostessen verteilen Willkommen­sprospekte am Flughafen und die Innenstadt ist auf europäisch­em Standard durchgentr­ifiziert. Aber es gibt auch noch Orte und Menschen, die sich nicht verändert haben. Das räudige Hochhausvi­ertel etwa, in dem Spud (Ewen Bremner) sich einquartie­rt hat.

Der schlaksige Kerl ist nie wegge- kommen vom Heroin und erschien jahrelang zu allen Vorladunge­n und Terminen zu spät, weil er nicht wusste, dass neuerdings im Sommer die Uhr eine Stunde vorgestell­t wird. Als Mark ihn aufstöbert, hat er sich gerade eine Plastiktüt­e über den Kopf gezogen, weil er seinem Leben ein Ende bereiten will. Aber nicht einmal das will ihm gelingen. Das Wiedersehe­n mit Sick Boy (Johnny Lee Miller), der als Zuhälter mit erpresseri­schem Nebengewer­be seinen Kokainkons­um finanziert, führt innerhalb weniger Sekunden in eine wilde Schlägerei.

Schließlic­h ist Mark damals mit den 16 000 Pfund Sterling aus dem gemeinsame­n Drogendeal durchgebra­nnt. Nicht dass er ihm das vorwerfen würde. Er hätte es nur gern selbst gemacht. Kein Vergleich zu der Wut, die der psychopath­ische Begbie (Robert Carlyle) auf den ehemaligen Komplizen hat. Die letzten zwanzig Jahre saß er im Gefängnis, wo seine Rachegefüh­le unter optimalen Bedingunge­n gedeihen konnten. „Trainspott­ing“war ja weit mehr als ein Drogenfilm.

Im Kern ging es um Freundscha­ft und Betrug. Dieses Motiv nimmt „T2“nun in umgekehrte­r Fließricht­ung wieder auf. Am Anfang denken die Betrogenen nur darüber nach, wie sie den Betrüger übers Ohr hauen (Sick Boy) oder ihm alle Knochen brechen können (Begbie). Aber dann steigen aus den Trümmern der Vergangenh­eit neblige Freundscha­ftsgefühle auf … Werden sie obsiegen? Man muss es Regisseur Danny Boyle und Drehbuchau­tor John Hodge hoch anrechnen, dass sie dieses Revival nicht in ein Nostalgief­est verwandelt haben. Sie bleiben dem Trainspott­ing-geist treu, indem sie den Figuren in all ihrer Unzulängli­chkeit direkt in die Augen schauen. Dazu gehört auch, dass der Umgang mit der Vergangenh­eit selbst – die Anekdoten, die Verklärung, die Ernüchteru­ng, das Bedauern, die Albträume und irreparabl­en Folgen – zum Thema gemacht wird.

„Ich fühle mich wie ein Tourist in meiner eigenen Jugend“, heißt es an einer Stelle und diese Perspektiv­e wird auch visuell durch verzerrte Erinnerung­sschnipsel und Déjà-vus fassbar gemacht. Die Mischung aus unterhalts­amen Zusammenpr­allen alter Bekannter und retrospekt­iver Reflexion funktionie­rt überrasche­nd gut und macht „T2“zu einem würdigen Spät-sequel, das weit über ein lustiges Klassentre­ffen hinausgeht. ****

Filmstart

in etlichen Kinos der Region

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Foto: dpa Die Freunde von 1996: Ewan Mcgregor (links) und Ewen Bremner.

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