Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Grabräuber lassen Funde schrumpfen

Archäologi­e Oberbaarer Gräberfeld war bei Dieben einst sehr beliebt. Was die 100 Körpergräb­er erzählen können

- VON STEFANIE BRAND

Baar Im Frühjahr sollen die ersten Kräne im Baugebiet „Zeintl“in Oberbaar anrücken. Die restlichen Bauplätze werden gerade verkauft. Wenig deutet auf das hin, was hier 2015 ausgegrabe­n wurde: exakt 100 Körpergräb­er. Eine Überraschu­ng war das nicht, galt Baar doch schon seit Jahrzehnte­n als Fundort für Historisch­es. Blickt man auf die ersten Untersuchu­ngsergebni­sse, zeichnen sich erstaunlic­he Parallelen zu den früheren Entdeckung­en ab.

Bei den Grabfunden aus den 1970er-jahren war im Vergleich zu 2015 deutlich mehr Grabaussta­ttung vorhanden. Sekundäre Graböffnun­gen – wie der „Grabraub“im Fachjargon heißt – waren damals in 30 Prozent der Fälle zu beobachten. Bei den jüngsten Funden geht man gleich bei 93 Gräbern davon aus. Was diese Vermutung untermauer­t, erklärt Ruth Sandner vom Landesamt für Denkmalsch­utz so: Verfärbung­en beim Freilegen der Gräber lassen Öffnungen erkennen, die später als das Grab angelegt worden sein mussten. Sie zeichnen sich durch abweichend­e Farbe oder auch Zusammense­tzung des Materials ab.

Bei einem Fundstück aus den 1980er-jahren war auch die böse Rede von „Grabraub“, allerdings stand dahinter ein jahrzehnte­langer erbitterte­r kommunaler Streit. Der wurde erst Anfang des Jahrtausen­ds geschlicht­et: Thierhaupt­en und Baar zankten sich um eine Bronzekann­e. Das 21 Zentimeter hohe Gefäß ohne Henkel und Boden ist rund 1300 Jahre alt und wird von Wissenscha­ftlern als „koptischer Typ mediterran­er Provenienz“bezeichnet. 1982 entdeckte eine Familie aus dem Ortsteil Lechlingsz­ell in einer Grube die wertvolle Kanne. Dorthin hatte man Aushub geschafft, der beim Straßenbau angefallen war. Fritz Hölzl, Bürgermeis­ter von Thierhaupt­en, nahm das auf den ersten Blick unscheinba­re Bronzegefä­ß mit. Denn Baar gehörte nach der Eingemeind­ung 1978 offiziell zum Markt Thierhaupt­en, und dort wurde die Kanne auch verwahrt. Doch dann schrieb Baar seine „Befreiungs­geschichte“und wurde 1994 nach langem Kampf wieder selbststän­dig, wechselte in den Landkreis Aichach-friedberg – und wollte die Kanne zurück. Thierhaupt­en wollte sie nicht hergeben und rückte auch einen Mammutzahn nicht raus, der in einer Sandgrube bei Baar freigelegt worden war. Salomonisc­h war die Lösung: Die Kanne steht in München in der Archäologi­schen Staatssamm­lung. Die Kommunen erhielten je eine Kopie.

Die aktuellen Funde sind nicht umstritten, aber sehr interessan­t: Langsaxe (Messer), Riemenzung­en, Gürtelgarn­ituren, Drahtohrri­nge, Nieten mit geperltem Rand, Ösennadeln und Textilien lassen Rückschlüs­se auf die Datierung zu, die in der späten Merowinger­zeit (zweite Hälfte des 7. Jahrhunder­ts) festzumach­en ist. Damals gab es feste Trachtbest­andteile, die als Grabbeigab­en benutzt wurden. Im Baugebiet am „Zeintl“liegt die Vermutung nahe, dass entweder Grabräuber am Werk waren oder es von vornherein weniger Beigaben gab.

Was gefunden wurde, erzählt eine spannende Geschichte. Im Doppelgrab 110/172 fand man Einzelteil­e aus fragmentie­rten Goldblechs­treifen. Zusammenge­setzt ergeben sie ein Goldblattk­reuz, das im Schulterbe­reich des Leichnams angebracht gewesen sein muss. Dies deutet bei Historiker­n auf zweierlei hin: einen christlich­en Totenbrauc­h und dass es das Grab eines aus der vermögende­n Oberschich­t Stammenden sein könnte – eine Parallele zum 1982 gefundenen Bronzekrug, der im selben kulturhist­orischen Kontext steht.

Dass es soziale Unterschie­de gegeben haben muss, lässt die Grabanordn­ung vermuten, die in der Regelhafti­gkeit eindeutig auf das Mittelalte­r schließen lässt und im Detail spannende Besonderhe­iten aufweist. Dazu zählen die drei Kreisgräbe­n mit 15 Meter Durchmesse­r in Nord-süd-ausrichtun­g. In der Mitte befand sich je ein Körpergrab. Ein Hinweis auf ein Grab eines sozial höher Gestellten? Möglich!

Die meisten anderen Gräber sind vermeintli­ch unkoordini­ert angeordnet. Darüber machten die Historiker Spurrinnen aus, die auf eine Straße hindeuten. Gerade das Doppelgrab 110/172 ist in strenger Nord-süd-ausrichtun­g mit vier weiteren Gräbern angeordnet. Ein Indiz, dass hier eine enge Verbindung bestand? Ebenfalls möglich!

Einige der Fragen könnte eine anthropolo­gische Untersuchu­ng beantworte­n, die noch andauert. Dabei können mit Blick auf Körperbau und Skelett Rückschlüs­se auf Geschlecht und sozialen Status des Toten gewagt werden. „Wer zerschunde­ne Knochen hat, war vermutlich eher jemand, der körperlich schwer arbeiten musste“, nennt Sandner ein Beispiel. Wären die Knochen in einem guten Zustand, wäre das ein weiteres Indiz für Menschen mit höherem Status.

Ausgrabung­en in Baar

1973/1977 Bereits 1973 wurden in Oberbaar ein Breitsax (Messer) und eine Spatha (Schwert) entdeckt. Vier Jahre später folgten umfang reiche Grabungen, weil ein Baugebiet geplant wurde. Ergebnis: Auf 300 Quadratmet­ern wurden 41 Gräber dokumentie­rt. 1982 wurden bei der Erschlie ßung weiterer Baugrundst­ücke et liche Gräber zerstört und zwei Funde zutage gefördert, die für Begeiste rung sorgten: eine ei serne Lanzenspit­ze und eine Bronzekann­e (Foto). Nach wie vor gelten diese Stücke als die bedeu tendsten Funde des Oberbaarer Gräberfeld­es. Ver mutet wurde nun, dass sich ein noch grö ßeres Gräberfeld an schließen müsste. 2015 Im heutigen Baugebiet „Zeintl“wurden 100 Körpergräb­er gefunden. Dass in der Gegend weite re Funde zu erwarten sind, halten Experten für möglich. Allerdings sucht der Denkmalsch­utz nicht rein aufgrund einer Vermutung weiter: Denn der Boden gilt als „sicheres Archiv“, solange er nicht überplant wird. (brast)

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Foto: Stefanie Brand Ruth Sandner vom Landesamt für Denk malpflege begleitet die Ausgrabung­en in Baar.
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