Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Er war Brandts Blitzablei­ter

Nachruf Der Spd-politiker und Autor Horst Ehmke stirbt mit 90 Jahren

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Für seine unbändige Energie war er bei Freund und Feind fast schon berüchtigt, für seine Intelligen­z wurde er bewundert: Der Spd-politiker und Buchautor Horst Ehmke ist tot. Im Gedächtnis wird sein Einsatz für die Ostpolitik von Bundeskanz­ler Willy Brandt bleiben, mit dem ihn ein enges Vertrauens­verhältnis verband. „Ich war Brandts Blitzablei­ter!“, sagte Ehmke einmal. Doch das ist untertrieb­en. Immer wieder argwöhnten Parteifreu­nde, dass Ehmke Ambitionen auf das Kanzleramt hege.

1927 wird Horst Ehmke in Danzig geboren. Seine Wiege steht keineswegs in einer Arbeiterst­ube, sondern in einem Patrizierh­aus. Die Schule fällt dem Arztsohn leicht, in der Hitlerjuge­nd lernt er Segelflieg­en – was ihn wohl geradewegs in die Luftwaffe geführt hätte, wäre der Krieg nicht 1945 zu Ende gewesen. Kurz vor der Kapitulati­on wird der 18-jährige Gefreite verwundet, aber nach einer Krankheit Ende 1945 aus sowjetisch­er Gefangensc­haft entlassen. Später wird bekannt, dass Ehmkes Namen in den Mitglieder­listen der NSDAP steht. Doch bis zuletzt bestreitet Ehmke, in die Partei eingetrete­n zu sein.

Nach dem Krieg studiert er Jura – zeitweise an der renommiert­en Princeton-universitä­t in den USA. Danach legt Ehmke eine rasante Karriere als Staatsrech­tler hin. Die Brillanz, mit der Ehmke von 1963 bis 1966 das Nachrichte­nmagazin

und damit die Pressefrei­heit vor dem Bundesverf­assungsger­icht verteidigt, lässt aufhorchen. Im Jahr 1967 – also in Zeiten der Großen Koalition zwischen Union und SPD – wird er Staatssekr­etär im Justizmini­sterium, das er bereits zwei Jahre später übernimmt. Die Ochsentour durch die Parteigrem­ien bleibt ihm so erspart. Das allerdings nehmen ihm viele Parteifreu­nde nachhaltig übel.

Befindlich­keiten, die zunächst in der Spd-euphorie nach dem Machtwechs­el von 1969 untergehen. Die SPD regierte nun mit der FDP. Jetzt bricht Ehmkes große Zeit an: Kanzler Brandt – „Horst ist unser Spezialist für alles“– ernennt ihn zum Leiter des Kanzleramt­s. Mit unbändiger Energie modernisie­rt er die Regierungs­zentrale und hilft, die neue Ostpolitik durchzuset­zen. Doch nicht wenige Genossen sind der Omnipräsen­z des bürgerlich­en Quereinste­igers bald überdrüssi­g. In dieser Zeit wird auch das legendäre Zitat vom „flotten Hotte“kolportier­t, der seinem Fahrer auf die Frage „Wohin soll’s denn gehen?“mit „Egal wohin, ich werde überall gebraucht“geantworte­t haben soll. Nach dem rauschende­n Wahlsieg von 1972 sorgt Helmut Schmidt dafür, dass Ehmke zum Postminist­er degradiert wird. Mit dem Rücktritt Brandts 1974 endet auch Ehmkes Laufbahn in der „großen“Politik. Rückhalt in dieser schwierige­n Lebensphas­e gibt ihm seine zweite Ehefrau Maria. Die drei Kinder des Politikers stammen aus erster Ehe.

Ehmke bleibt in der SPD, für die er bis 1994 im Bundestag sitzt, ein wichtiger Mann. Dann die überrasche­nde Volte: Mitte der 90er Jahre reüssiert er als Autor. Seine Politkrimi­s – versehen mit einem Schuss Erotik – werden zu Bestseller­n.

Horst Ehmke ist am Sonntag in einer Bonner Klinik gestorben. Er wurde 90 Jahre alt.

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Foto: imago Eng verbunden – politisch und persönlich: Horst Ehmke und Willy Brandt beim SPD Bundespart­eitag 1986 in Nürnberg.

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