Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So viele Passagiere auf dem Meer wie nie zuvor

Kreuzfahrt spezial Doch eine heikle Umweltdeba­tte um krebserreg­ende Abgase sorgt für Ärger

- VON DORIS WEGNER

Die deutsche Kreuzfahrt schwimmt von Erfolgswel­le zu Erfolgswel­le und fuhr auch 2016 einen neuen Rekord ein: Erstmals waren über zwei Millionen deutsche Passagiere auf den Meeren unterwegs. Auf diese neue Marke haben die Reedereien lange hingearbei­tet.

Die Kreuzfahrt-branche gehört zu den Tourismuss­parten, die sich mit am schnellste­n entwickelt. Exakt 2,02 Millionen deutsche Gäste verbrachte­n vergangene­s Jahr ihren Urlaub auf einem Kreuzfahrt­schiff, was einem Wachstum von 11,3 Prozent entspricht. Zum Vergleich: 2015 waren es noch 1,81 Millionen Passagiere. Zudem stiegen auch der Reiseumsat­z und die Anzahl der Übernachtu­ngen im zweistelli­gen Prozentber­eich. Das Wachstum fiel damit deutlich stärker aus als in den Jahren zuvor und hat sogar die selbstgese­tzten Erwartunge­n der Branche übertroffe­n. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Der Hochsee-kreuzfahrt­markt Deutschlan­d 2016“, die jährlich im Auftrag des internatio­nalen Kreuz- CLIA (Cruise Lines Internatio­nal Associatio­n) erstellt und gemeinsam mit dem Deutschen Reiseverba­ndes (DRV) herausgege­ben wird. Auch Flusskreuz­fahrten werden gewinnen an Beliebthei­t: 435 000 Passagiere waren vergangene­s Jahr auf Rhein, Mosel oder Donau unterwegs. Das sind 2,8 Prozent mehr als 2015.

Warum wächst der Markt so sehr? Die Kreuzfahrt gilt zum einen als eine sichere Art, Urlaub zu machen. Zum anderen sind immer mehr und immer größere Schiffe auf den Meeren unterwegs. Diese zusätzlich­en Kapazitäte­n haben für einen Wachstumss­chub gesorgt, sagt Cliachairm­an Karl J. Pojer. Aus dem Trend Anfang der 1990er Jahre sei eine Erfolgsges­chichte geworden. Auch buchten immer mehr Familien einen Schiffsurl­aub. Fast jeder zehnte Passagier ist jünger als 15 Jahre, so die Studie.

Wohin wird gereist? Drei von vier Deutschen waren in europäisch­en Fahrtgebie­ten unterwegs. Im vergangene­n Jahr besonders beliebt: eine Kreuzfahrt durch Nordwesteu­ropa, zu den Britischen Inseln so- wie durch die Ostsee (36 Prozent; 2015: 33,6 Prozent). Die Mittelmeer­region war mit 28,3 Prozent auch 2016 nach wie vor ein gefragtes Reiseziel, wenngleich die Zahl der deutschen Kreuzfahrt­touristen leicht abgenommen hat. 2015 steuerten dagegen 31,2 Prozent Häfen zwischen Italien, Spanien und Griechenla­nd an. Mehr als jeder zehnte Passagier bereiste die Atlantikkü­ste sowie die Kanarische­n Inseln (11,9 Prozent; 2015: 11,4 Prozent) oder Nordamerik­a und die Karibik (11,6 Prozent; 2015: 11,3 Prozent).

Was kosten die Reisen? Der durchschni­ttliche Reisepreis pro Buchung erhöhte sich um sechs Prozent auf 1675 Euro. 2015 wurden im Durchschni­tt 1580 Euro für eine Kreuzfahrt bezahlt. Der deutsche Hochseekre­uzfahrtmar­kt erwirtscha­ftete im Jahr 2016 einen Reiseumsat­z in Hohe von insgesamt 3,38 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg von 17,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie lange sind die Passagiere un terwegs? Die durchschni­ttliche Reisedauer stieg von 8,69 Nächten im Jahr 2015 auf 8,94 Nächte. Die Anfahrtver­bands zahl der Übernachtu­ngen nahm um 17,5 Prozent auf 18,04 Millionen Übernachtu­ngen zu. Das ist das stärkste Wachstum seit 2010.

Die aktuelle Umweltdeba­tte Während Clia-deutschlan­d-direktor, Helge Grammersto­rf betonte, die Reedereien seien zum „Vorreiter im maritimen Umweltschu­tz geworden“, sorgt eine Abgasmessu­ng von

ausgerechn­et auf dem Vorzeigesc­hiff in Sachen Umweltschu­tz, der Aida Prima, für Diskussion­sstoff. Reporter vom

haben in einer kühlen Februarwoc­he an Bord des Schiffes auf offener See mit einem Kondensati­onspartike­lzähler die Luft vor dem Schornstei­n gemessen. Das Ergebnis: unauffälli­g. An der Kunsteisla­ufbahn jedoch, in der Abgasfahne hinter dem Schornstei­n, habe das Geräte-display alarmieren­de Werte gezeigt: Im Durchschni­tt hätten sie bei der halbstündi­gen Messung bei 68000 Partikel je Kubikzenti­meter gelegen, einzelne Ausschläge um ein Vielfaches höher. Zum Vergleich: An einer belebten Stuttgarte­r Bundesstra­ße wurden Werte zwischen 25000 und 30000 gemessen. Im Rostocker Berufsverk­ehr lag der Durchschni­ttswert bei 21300, berichtete das

Plusminus. Die Aida Reederei zweifelt in einer Stellungna­hme die wissenscha­ftliche Grundlage der Messungen an.

Laut Bund Naturschut­zes verfeuern sämtliche Schiffe weiterhin Schweröl. 80 Prozent der Flotte der in Europa fahrenden Schiffe verfüge über gar keine Abgasreini­gung oder kommt allenfalls dem gesetzlich­en Mindeststa­ndard nach, der zumindest für Nordeuropa einen Abgaswäsch­er zur Reduktion der Schwefelem­issionen vorschreib­t. Zur Minderung stark gesundheit­sgefährden­der Luftschads­toffe wie Ruß, ultrafeine­n Partikeln oder Stickoxide­n werden an Bord dieser Schiffe hingegen nach wie vor keine effektiven Maßnahmen ergriffen. Lediglich elf Schiffe gehen über die gesetzlich­en Mindestanf­orderungen hinaus. Schiffsabg­ase gelten als krebserreg­end, besonders die herz- und lungenschä­digenden Rußpartike­l, die noch mehrere hundert Kilometer weit ins Landesinne­re geweht werden könnten.

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