Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wo Cajetan und Luther sich anschrien
Serie (5) Das Verhör hat in den Fuggerhäusern stattgefunden: Der Rebell soll widerrufen
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass-handel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Es hätte ein geistreicher Disput unter gleichrangigen Gelehrten werden können. Doch dazu war Kardinal Thomas de Vio, genannt Cajetan nach seiner Heimatstadt Gaeta, im Sommer 1518 nicht nach Augsburg gekommen. Als päpstlicher Legat seiner Heiligkeit Leo X. sollte er den rebellischen Mönch Martin Luther, den Leo einen „Sohn der Bosheit“nannte, streng verhören und zum Widerruf seiner unerhörten Thesen bringen. Andernfalls hatte er die Vollmacht in der Tasche, Luther als einen hartnäckigen Ketzer verhaften zu lassen, um ihn der päpstlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen. Luther drohte das Todesurteil.
Es fehlte nicht an Versuchen, Luther noch vorher weichzuklopfen. Ins St.-anna-kloster kam unter anderem ein Gesandter des Markgrafen von Montferrant („nach der Meinung aller angestiftet und unterwiesen vom Legaten“), um Luther mit vielen Worten und „äußerst vernünftigen Ratschlägen“zu überreden, vor Cajetan widerstandslos seine Fehler zu widerrufen, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Der Mönch möge auch kein theologisches Turnier vor dem römischen Kardinal veranstalten. Solches Taktieren war Luther jedoch zuwider. „So hänge ich jetzt zwischen Hoffnung und Furcht“, schrieb er am 10. Oktober 1518 an Georg Spalatin, den Sekretär seines Kurfürsten.
Am Dienstag, 12. Oktober 1518, ging das Verhör los. Mit fünf Begleitern trifft Luther im Fuggerhaus am Weinmarkt ein – mit Prior Johannes Frosch, zwei Patres und zwei kurfürstlich-sächsischen Juristen. Luther wirft sich demütig dreimal vor Cajetan nieder, dreimal fordert der Kardinal ihn auf, sich zu erheben. Cajetan habe ihn „sehr freundlich und beinahe ehrerbietig“empfangen, erinnert sich Luther einen Mo- nat später – und nur diese Schilderung der Begegnung ist uns überliefert. Er wolle die Sache milde und väterlich regeln, habe Cajetan versichert, allerdings nicht darüber disputieren. Dann habe der Kardinal im Auftrag des Papstes ihm drei Fragen vorgelegt: 1. dass ich mich eines Besseren besinnen und meine
Irrtümer widerrufen
Luther in Augsburg
sollte; 2. dass ich verspräche, von diesen Dingen in Zukunft abzusehen und 3. auch von allen Dingen, durch die die Kirche verwirrt werden könnte. Trotzdem lässt sich Cajetan, in Italien ein gefürchteter Debattenredner, am ersten Tag auf einen theologischen Schlagabtausch ein. Luther erbittet Bedenkzeit.
Am Mittwoch, 13. Oktober, gibt er eine formelle Erklärung ab, dass er die Heilige Römische Kirche verehre und ihr folge, aber dass er zum Widerruf gedrängt werde, ohne gehört und widerlegt worden zu sein. Cajetan erlaubt Luther eine schriftliche Stellungnahme. Der Professor aus Wittenberg ist in seinem Element: Etliche Seiten mit Argumenten wirft er aufs Papier und schließt mit Emphase: „Ich leiste nur denen Widerstand, die es im Namen der römischen Kirche bewerkstelligen, dass unser Babylon errichtet wird.“Der Legat wird am 25. Oktober an Kurfürst Friedrich schreiben, Luther habe Bibelstellen zitiert, die „überhaupt nicht hergehörten und die er falsch verstanden hat“.
Am Donnerstag, 14. Oktober, kommt es zum Eklat in den Fuggerhäusern. Cajetan duldet jetzt keine Erklärung mehr, mit ganzer Autorität fordert er den Widerruf. Die beiden Männer schreien sich an, Luther ist so vorwitzig, den Kardinal in lateinischer Grammatik zu belehren. Luther verlässt den Raum, Cajetan ruft ihm nach: „Geh und kehre nicht mehr zurück zu mir, außer dass du widerrufen willst!“
Luther schreibt am selben Tag nach Wittenberg, Cajetan möge ein namhafter Scholastiker sein, aber kein christlicher Denker; dazu eigne er sich so wenig wie ein Esel zum Harfenspiel. Auch wenn er noch eine Woche in Augsburg blieb, zu Cajetan ging Luther nicht mehr.