Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Dieser Mann spaltet auch in Augsburg
Politik In der Stadt leben sowohl Befürworter des von Präsident Erdogan angestrebten Referendums als auch absolute Gegner. Es wird befürchtet, dass sich das Klima unter den Türken verschlechtert
Gislbahar Talip vom Sevil-imbiss in der Jakoberstraße muss nicht lange überlegen: Natürlich würde er für das vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem stimmen, sagt er. Wenn er könnte. Doch Talip kann nicht. „Ich bin deutscher Staatsbürger und darf somit nicht wählen. Aber viele aus meiner Familie werden für ihn stimmen.“Warum er sich so vehement für den Regierungskurs von Erdogan ausspricht, hat der türkischstämmige Augsburger schnell erklärt: Weil Erdogan hart für sein Land arbeitet und durch die Opposition in der Türkei nur daran gehindert werde. „Mit mehr Macht kann er auch mehr für sein Land erreichen“, betont der Imbissbetreiber.
Die Wogen schlagen sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland und Österreich kurz vor der Abstimmung über die türkische Verfassungsänderung hoch: Tag vergeht, an dem nicht über Proteste und Wahlkampfauftritte berichtet wird. „Jetzt sieht man, wie sehr man Erdogan in Europa hasst“, sagt Gislbahar Talip. Er sieht in diesen Tagen vor allem eins: die Rechtsverletzung der Versammlungsund Meinungsfreiheit.
So offen wie der Imbissbetreiber wollen nicht viele türkeistämmige Augsburger über die Situation sprechen. Ein Mitglied der Vikz-moschee in der Eschenhofstraße in Oberhausen verweist auf den Pressesprecher in Köln. Im Moscheeverein „DITIB – Türkisch-islamischeunion zu Haunstetten“will man sich ebenfalls nicht äußern: „Wir sind nicht politisch motiviert, deshalb wollen wir auch kein politisches Thema kommentieren.“Wer seine Meinung auch auf der Straße kundtut, ist der Augsburger Grünenstadtrat Cemal Bozoglu. Vergangenen Samstag stand er am Informationsstand der Initiative „Nein, zur Verfassungsänderung“am Königsplatz. Die polarisierenden Kom- mentare Erdogans zeigten, dass es in Sachen Referendum ein Kopf-ankopf-rennen werden wird. „In Deutschland leben rund 1,5 Millionen wahlberechtigte türkeistämmige Menschen, in Holland sind es nochmals 400000.
Da zählt jede Stimme“, sagt Bozoglu. Seiner Meinung nach sei es ein Rechtsbruch, dass türkische Minister überhaupt im Ausland Wahlkampf betrieben. „Die sollen sich raushalten. So verläuft der Wahlkampf nicht sauber.“Zudem säe Erdogan durch die tägliche Berichterstattung nur noch mehr Zwietracht. „So erhält er noch mehr Aufmerksamkeit. In Holland gehen die Türken deshalb auch auf die Straße“, sagt der Stadtrat.
Beunruhigt verfolgt er die Geschehnisse der vergangenen Zeit. „Wir machen uns auch Sorgen, dass durch diese Entwicklung das Klima unter den aus der Türkei stammenden Augsburgern verschlechtert wird“, sagt Bozoglu. Die für das Referendum wahlberechtigten Persokein nen können vom 27. März bis zum 9. April im türkischen Konsulat in München ihre Stimme abgeben. Die „Nein-initiative“hat aus diesem Grund Anfang April vier kostenlose Busfahrten von Augsburg nach München organisiert.
„Wir machen keine Gesinnungsprüfung, aber natürlich nehmen wir die Leute mit, die tatsächlich auch gegen das Referendum stimmen werden. Die Ja-initiative organisiert ihre eigenen Busfahrten“, sagt Bozoglu.
Margret Spohn, Leiterin des Büros für Migration, Interkultur und Vielfalt der Stadt Augsburg, bekommt die polarisierende Stimmung unter den türkischstämmigen Augsburgern ebenfalls mit. „Da gehen Risse durch die Familie, wo unterschiedlich gewählt wird. Es herrscht Unverständnis auf drei Seiten: von denjenigen, die für das Referendum sind, von denen, die dagegen sind, und von den Augsburgern ohne Migrationshintergrund, die diese emotionale Phase verfolgen.“Viele, die mit „Ja“stimmten, hätten noch nie in der Türkei gelebt.
„Mit Erdogan haben sie eine Identitätsfigur gefunden, die ihnen Stolz vermittelt, von der sie wahrgenommen werden. Sie stimmen für das Referendum, ohne vielleicht genau zu wissen, was das konkret für die politische Kultur in der Türkei bedeuten könnte“, sagt Margret Spohn.