Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Steinewerfer bedroht Opfer Familie
Prozess Jörg B. hat einen Betonklotz auf die A 7 geworfen und damit beinahe vier Menschen getötet. Doch anstatt vor Gericht Reue zu zeigen, ruft er dem Vater zu: „Ich knall dich ab“
Ellwangen Jörg B. steht vor Gericht, weil er einen zwölf Kilo schweren Betonbrocken auf die A7 geworfen haben soll. Er hätte damit beinahe die vierköpfige Familie Öztürk aus Laupheim (Landkreis Biberach) ausgelöscht. Doch wer nun erwartet hat, dass der mutmaßliche Täter zum Prozessauftakt am Landgericht Ellwangen Reue zeigt oder sich entschuldigt für das Leid, das er den Öztürks angetan hat, sieht sich auf dramatische Weise eines Besseren belehrt.
Als Familienvater Serdal Öztürk mit seiner Zeugenaussage beginnt und schildert, wie er den Unfall erlebt hat, kommt es zum Eklat. Der Angeklagte fällt ihm wutentbrannt ins Wort: „Ich baue mir eine Waffe und knall dich ab“, schreit Jörg B. Bis dahin war der wahrscheinlich psychisch kranke Angeklagte in Jeans-blouson und mit militärgrüner Schiebermütze grinsend und gelangweilt dagesessen.
Serdal Öztürk bleibt ruhig und besonnen, obwohl B. weiter droht: „Wenn ich wieder draußen bin, musst du aufpassen. Ich kann Nahkampf und habe Waffen.“Dann brüllt er noch, dass er nicht schuld an dem Unfall sei.
Der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg macht dem Treiben ein Ende. Er droht dem Angeklagten „Ordnungsmaßnahmen an und lässt ihm zusätzlich zu den Fuß- auch Handfesseln anlegen. Dann ist Ruhe.
Man kann kaum erahnen, was dieser unfassbare Auftritt des Angeklagten in Serdal Öztürk und seiner Frau Deniz, 26, auslöst. Es ist wie ein zweiter Albtraum nach jener Nacht, in der die Familie auf den Betonbrocken gefahren ist. Von einer Brücke soll Jörg B. in der Dunkelheit am 25. September 2016 den Betonstein auf die A7 geworfen haben – und zwar in der Absicht, Menschen zu töten, wie die Staatsanwaltschaft erklärt.
Wie ein Donnerschlag erwischt das Unglück Familie Öztürk. Sie sind auf dem Heimweg von einer Hochzeit, als ihr Wagen gegen 1.30 Uhr gegen den Betonklotz prallt und sich mehrfach überschlägt. Mutter Deniz, 26, und Vater Serdal, 33, werden bei dem Unfall nahe Giengen/brenz schwer verletzt. Tochter Nisa, 6, und Sohn Yusuf, 5, kommen wie durch ein Wunder mit Prellungen und Schürfwunden davon. Sie sind aus dem Auto geschleudert worden.
Bis heute leidet die Familie an den Folgen, den körperlichen wie den seelischen. Besonders die Mutter. Aber Serdal und Deniz Öztürk erfahren auch, dass Nachbarn, Freunde und unzählige andere Menschen in ihrer Heimatstadt Laupheim sie in dieser schweren Zeit nicht allein lassen. Einige sitzen im Gerichtssaal, andere warten davor – und erzählen Reportern, was sie über die Öztürks denken und warum sie nach dem Unfall eine Hilfsaktion gestartet haben. „Das sind prima Menschen“, sagt der Kaufmann Leander Baumgart. Alle mögen die Familie. Als sich die Nachricht von dem Unfall verbreitete, rief Baumgart auf der öffentlichen Facebookseite „Laupheimer ist ...“zur Hilfe auf. „Die Reaktion war überwältigend“, sagt er. Deniz Öztürks Verletzungen waren so schwer, dass nach einer Schädel-basis-fraktur mit Hirnblutungen und einer Halswirbelfraktur eine Querschnittslähmung drohte. Zudem musste ihr rechter Unterschenkel amputiert werden. Sie sitzt im Rollstuhl, ist teils gelähmt und kann ihre Notdurft – wie sie als Zeugin mit leiser Stimme erzählt – nicht ohne Hilfe verrichten. Die Familie hat mit einem Grundstock von Spenden über 35000 Euro ein neues Haus gekauft, in dem sie nach Umbauten barrierefrei leben kann.
Der Eklat im Gerichtssaal lässt allerdings ahnen, dass dies alles andere als ein leichtes Verfahren wird. Kurz vor Ostern soll das Urteil gefällt werden. Möglicherweise werden viele Menschen es als milde empfinden. Denn es kann sein, dass es trotz der Anklage wegen versuchten Mordes keine Gefängnisstrafe geben wird. Jörg B. ist nach Aussage von Gutachtern psychisch krank. Sie attestieren ihm eine „schwere seelische Abartigkeit“und erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit. Damit kommt auch eine Einweisung in die geschlossene Psychiatrie infrage.
Serdal Öztürk hatte vor dem Prozess Reportern gesagt, eine mehrjährige Haftstrafe würde er für angebracht halten. Wichtiger als das sei für ihn und seine Familie jedoch dies: „Wir sind froh, dass wir am Leben sind.“