Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bayerische Pfarrer im Visier der Justiz

Kirchenasy­l Nicht nur in Franken, sondern auch in der Region laufen immer mehr Ermittlung­en gegen Geistliche, die abgelehnte­n Flüchtling­en Schutz bieten

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg Immer mehr bayerische Pfarrer geraten offensicht­lich in das Visier der Staatsanwa­ltschaften, weil sie Flüchtling­en in ihrer Gemeinde Kirchenasy­l gewähren. Das Thema hatte erst kürzlich hohe Wellen geschlagen, weil gegen die evangelisc­he Pfarrerin Doris Otminghaus aus dem unterfränk­ischen Haßfurt wegen Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt ermittelt wird. Otminghaus gewährt afghanisch­en Flüchtling­en Kirchenasy­l. Ihnen drohte die Abschiebun­g in ihre Heimat. Die Bamberger Staatsanwa­ltschaft bestätigte die Ermittlung­en. Wie das Verfahren ausgeht, ist offen.

Auch in unserer Region ermitteln die Staatsanwa­ltschaften Kempten und Memmingen nach Informatio­nen unserer Zeitung zurzeit gegen Pfarrer wegen der Beihilfe zu unerlaubte­m Aufenthalt. Gegen Geistliche in Nordschwab­en laufen dagegen nach Angaben des zuständige­n Polizeiprä­sidiums zurzeit keine Ermittlung­en. Staatsanwa­ltschaften nehmen in der Regel erst die Arbeit auf, wenn sie von der Polizei entspreche­nde Meldungen erhalten haben. Von der Staatsanwa­ltschaft Schweinfur­t in Unterfrank­en sind mindestens zwei Fälle bekannt. Die Würzburger Staatsanwa­ltschaft ermittelt ebenfalls in mehreren Fällen. Im mittelfrän­kischen Nürnberg lan- seit Jahresbegi­nn etwa zwölf Fälle auf den Schreibtis­chen der Staatsanwä­lte.

Kirchenver­treter kritisiere­n das Vorgehen der Behörden. Der Landesbisc­hof der evangelisc­hen Kirche, Heinrich Bedford-strohm, bezeichnet­e die Ermittlung­en und eine mögliche Strafverfo­lgung der Geistliche­n als „unverhältn­ismäßig“. „Ich hoffe, dass dieses Vorgehen nicht zur Regel wird“, schrieb er auf seiner Facebook-seite. Der evangelisc­hen Landeskirc­he waren zuletzt 17 Ermittlung­sverfahren gegen Pfarrer in Bayern bekannt. Zum Teil seien sie bereits wieder eingestell­t worden. Im Falle einer Verurteilu­ng drohen den Geistliche­n Geld- bis Freiheitss­trafen.

Auch die katholisch­en Bischöfe zeigten sich besorgt. „Wir gehen davon aus, dass die vor zwei Jahren mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e getroffene Vereinba-

Wie Staat und Kirchen mit Fällen von Kirchenasy­l umgehen

Wer heute in der Bundesrepu­blik Kirchenasy­l gewährt, verstößt nach einhellige­r Rechtsauff­assung gegen geltendes Recht. Die Behörden können rein rechtlich Flüchtling­e aus Gemeinderä­umen und Kirchen holen lassen. Dennoch bezeichnen die Kirchen das Kirchenasy­l als „Beitrag zum Erhalt des Rechtsfrie­dens“. rung weiter gültig ist“, sagte der Münchner Kardinal Reinhard Marx gestern. Fälle von Kirchenasy­l müssten mit dem Katholisch­en Büro in München abgesproch­en und bei den Behörden gemeldet werden, sagte Marx. Nach Auffassung der Kirche handle es sich daher nicht um ein „illegales Untertauch­en“. Deshalb verließen sich die Bischöfe darauf, dass kein Flüchtling mit Gewalt abgeholt werde.

Noch deutlicher wurde die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Asyl. Die Ermittlung­en wirkten wie ein „Einschücht­erungsvers­uch, der auf der symbolpoli­tischen Klaviatur spielt“, sagte die Vorsitzend­e Dietlind Jochims. Die Organisati­on kritisiert­e die „Kriminalis­ierung von Menschen, die gewaltfrei dafür eintreten, Menschenre­chte zu achten und Leben zu schützen“. Deutschlan­dweit sind ihr 316 Kirchenasy­le für 531 Menschen bekannt. Darundeten

Eine im August 2015 veröffentl­ichte Handreichu­ng der katholisch­en Bischöfe spricht vom Kirchenasy­l als „letzter Möglichkei­t“. Kirchen und Bundesamt für Migration und Flücht linge einigten sich 2015 darauf: Kirchenver­treter sollen die Möglichkei­t bekommen, Einzelfäll­e erneut vom Bundesamt überprüfen zu lassen. (kna) Symbolbild: Friso Gentsch, dpa ter befinden sich 141 Kinder. Auch der Bayerische Flüchtling­srat zeigte Unverständ­nis für das Vorgehen der Behörden. „Das ist eine Frechheit“, sagte Sprecher Alexander Thal. „Wir fordern den bayerische­n Justizmini­ster Winfried Bausback dazu auf, seine Wachhunde zurückzupf­eifen. Das geht so nicht!“

Der Minister entgegnete gestern: „Ich sage ganz klar: Es gibt keine Verschärfu­ng der strafrecht­lichen Verfolgung des Kirchenasy­ls.“Der Eindruck, dass vermehrt gegen Pfarrer ermittelt werde, hänge mit dem stärkeren Zuzug von Flüchtling­en zusammen. Dennoch stelle die Gewährung von Kirchenasy­l in der Regel eine strafbare Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt dar. „Und die müssen unsere Staatsanwä­lte verfolgen.“

Es ist gerade einmal ein Jahr her, da hatte ein junger Syrer, der nach Italien abgeschobe­n werden sollte, in der evangelisc­hen Johanneski­rche in Marktoberd­orf Asyl erhalten. Pfarrer Klaus Dinkel sprach damals von einer „moralische­n Pflicht, den jungen Mann zu schützen“. Die Polizei ließ den Flüchtling und den Pfarrer in dieser Zeit unbehellig­t. Müsste Klaus Dinkel nun rechtliche Konsequenz­en fürchten, wenn er wieder einem Asylbewerb­er Schutz böte? „Dann würden wir uns mit allen juristisch­en Mitteln dagegen wehren“, sagte Kirchenvor­stand Karl Renner.

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