Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was steckt hinter dem Luftalarm für Atomkraftw­erke?

Sicherheit Bei Passagierj­ets ohne Funkkontak­t wird bundesweit ein Akw-räumungsbe­fehl gegeben. Das wirft viele Fragen auf

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Gundremmin­gen Jüngst löste eine Nachricht über einen bundesweit­en Alarm in den deutschen Atomkraftw­erken Verunsiche­rung aus: Als vor knapp zwei Wochen der Funkkontak­t zu einer Passagierm­aschine der Air India abbrach, wurden vorsichtsh­alber sämtliche Anlagen bis auf eine Notbesatzu­ng evakuiert. Seitdem stellen sich einige Fragen: Müssen jedes Mal Mitarbeite­r dort ihre Arbeitsplä­tze verlassen, wenn es Probleme mit einem Flugzeug gibt? Gilt ein solcher Alarm auch für andere Einrichtun­gen? Und wie oft wird er eigentlich ausgelöst?

Aus Gründen der Geheimhalt­ung äußern sich die Betreiber der Kraftwerke nur vage. Nach Auskunft von RWE gebe es wenige solcher Alarme im Jahr. Das jeweilige Gelände werde dann geräumt, wenn ein Absturz möglich ist und der Ort nicht vorhergesa­gt werden könne. Die Reaktorgeb­äude an sich seien zwar gegen den Aufprall eines Jets besonders geschützt, aber Verwaltung­shäuser oder andere nicht, heißt es bei RWE. Deshalb verließen alle Mitarbeite­r das Gelände – bis auf den Krisenstab und das Leitstandb­eziehungsw­eise Schichtper­sonal. So ist es auch bei ENBW und Vattenfall geregelt. Preussen Elektra reagierte nicht auf eine Anfrage.

Das Bundesinne­nministeri­um verweist an das Nationale Lage- und Führungsze­ntrum für Sicherheit im Luftraum und damit an die Bundespoli­zei. Diese bestätigte nun, dass der Voralarm für alle Kernkraftw­erke ausgelöst wurde, somit auch für das in Gundremmin­gen im Landkreis Günzburg. Nicht betroffen seien die Anlagen, die gerade stillgeleg­t werden und kein „nukleares Inventar“mehr haben – obwohl es dort sehr wohl auch Personal gibt.

Man spricht von „Renegadefl­ugzeugen“, wenn das Flugverhal­ten von zivilen Maschinen den Verdacht erweckt, dass sie möglicherw­eise als Waffe für einen terroristi­schen oder anders motivierte­n Angriff genutzt werden. Der Alarm wird vorsorglic­h auch dann ausgelöst, wenn es keine konkrete Gefahr für ein bestimmtes Kraftwerk gibt, erklärt die Bundespoli­zei. Falls die Deutsche Flugsicher­ung über einen nicht näher genannten Zeitraum keinen Kontakt zu einem Flugzeug herstellen kann, wird es an das seit dem Jahr 2003 bestehende Nationale Lage- und Führungsze­ntrum gemeldet. Auf einem Kasernenge­lände im nordrhein-westfälisc­hen Uedem arbeiten Bundespoli­zei, Bundeswehr und Flugsicher­ung zusammen. Eine Alarmrotte – in diesem Fall waren es Eurofighte­r-abfangjäge­r des Fliegerhor­sts Neuburg an der Donau – steigt auf und identifizi­ert das Flugzeug. Über internatio­nal gängige Handzeiche­n wird versucht, mit den Piloten Kontakt aufzunehme­n. Sollte es sich nicht nur um ein Funkproble­m handeln, sondern eine Gefahr bestehen, kann Verschiede­nes befohlen werden: Die Maschine könnte abgedrängt, zur Landung gezwungen werden oder es könnte ein Warnschuss abgegeben werden. Aber die Möglichkei­ten sind beschränkt. Denn das Bundesverf­assungsger­icht hatte festgestel­lt, dass ein Abschuss nicht erlaubt ist, wenn Unbeteilig­te dabei

Grünen Abgeordnet­e will Bericht von Staatsregi­erung

sind, also etwa Passagiere in einem entführten Flugzeug sitzen.

Die Frage, ob der Alarm auch für andere Einrichtun­gen ausgelöst wird und welche Voraussetz­ungen dafür überhaupt erfüllt sein müssen, wird übrigens nicht beantworte­t. Die Grünen-landtagsab­geordnete Christine Kamm will nun einen Bericht einfordern, wie die Staatsregi­erung für solch einen Alarmfall Sicherheit­svorkehrun­gen schaffen will, da andere Objekte wie Bahnhöfe, Flughäfen oder Hochhäuser nicht geräumt worden seien.

 ?? Foto: dpa Archiv ?? Ein Flugzeug in der Nähe des schleswig holsteinis­chen AKW Brokdorf.
Foto: dpa Archiv Ein Flugzeug in der Nähe des schleswig holsteinis­chen AKW Brokdorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany