Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Damit Deutschland nicht zum Verlierer des Brexit wird Leitartikel
Großbritannien muss auch nach dem Ausstieg Partner der EU bleiben. Ein wichtiger Verbündeter geht verloren. Wo steht die SPD im Nord-süd-konflikt?
Von nun an gibt es kein Zurück mehr. Der vom Volk beschlossene Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union ist unwiderruflich in Gang gekommen. Der Abschiedsbrief der Premierministerin May markiert eine historische Zäsur. Erstmals kehrt ein Staat der EU den Rücken, um die „nationale Entscheidungskompetenz wiederherzustellen“(May). Das Axiom europäischer Politik, wonach die Einheit unumkehrbar sei, ist damit widerlegt. Es mag sein, dass die Briten einem tragischen, von Populisten beförderten Irrtum aufgesessen sind und den Austritt bald bitter bereuen werden – wer vermag das heute schon vorherzusagen. Ein schwerer Schlag für Europa ist der Brexit ganz gewiss. Die Briten waren nervige Partner. Doch ohne sie wird die EU schwächer sein und auf der globalen Bühne an Einfluss verlieren – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch. Und wenn es noch eines Beweises für die existenzielle Krise Europas bedurft hätte, so ist er durch den Brexit erbracht.
Brüssel und London stehen vor mühseligen Scheidungs-verhandlungen. Vielen Eu-politikern steht der Sinn nach Rache. Man will den Briten (und potenziellen Nachahmern) klarmachen, dass sich ein Ausstieg nicht lohnt und Gespräche über Handelsabkommen erst nach Begleichung einer gepfefferten Rechnung in Frage kommen. Nichts gegen eine harte Verhandlungslinie, die hat London auch. Eine Bestrafungsaktion jedoch ist weder in europäischem noch in deutschem Interesse. Das Vereinigte Königreich ist unser drittgrößter Absatzmarkt und ein Verfechter jenes freien Handels, von dem die Exportnation Deutschland lebt. In Paris oder Rom, wo protektionistische Politik geschätzt wird, will man eine kompromisslose Gangart. Der Bundesregierung muss an einem „weichen“Brexit gelegen sein, der Großbritannien den Weg zu einer fortdauernden engen Partnerschaft mit der EU ebnen hilft und die Handelsbeziehungen intakt hält. Im Falle schwerer Verwerfungen nämlich droht Deutschland zum Verlierer des Brexit zu werden.
Schon jetzt kommt das Goodbye der Briten Deutschland teuer zu stehen. Der mit Abstand größte Eunettozahler (grundsätzlich gut angelegtes Geld, weil die stärkste Wirtschaftsnation von der EU profitiert) wird einige Milliarden zusätzlich beisteuern müssen, um den britischen Ausfall zu kompensieren. Und, was viel schwerer wiegt: Deutschland geht im Ringen um die Richtung der europäischen Politik ein wichtiger Verbündeter verloren. Die Südeuropäer, die sowohl in der Eurozone als auch in der EU auf mehr Umverteilung und eine Schulden- und Transferunion drängen, bekommen im Kampf gegen die Stabilitätspolitik Berlins Oberwasser. Für Deutschland steht in diesem Nord-süd-konflikt eminent viel auf dem Spiel, weil es am Ende eines verlorenen Machtkampfes zum Zahlmeister Europas würde.
Es lohnte, auch darüber – und über die notwendige gründliche Reform der EU – im Bundestagswahlkampf zu reden. Von Angela Merkel weiß man, dass sie Begehrlichkeiten nach immer mehr deutscher Hilfe abzuwehren versucht und den unrealistischen Traum von noch „mehr Europa“begraben hat. Wo die SPD und Martin Schulz stehen, wissen wir nicht. Dass Außenminister Gabriel nun noch höhere Zahlungen in die Eukasse verlangt und den Griechen weitere Kredite ohne Gegenleistung verheißt, deutet auf einen grundlegenden europapolitischen Konflikt zwischen CDU/CSU und SPD hin. Deshalb wüsste man gern, ob der Kanzlerkandidat Schulz noch immer für Eurobonds (die Vergemeinschaftung von Schulden) ist und ob er in diesen Fragen näher bei Renzi, Tsipras & Co. als bei Merkel steht.