Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So wurde mit Deutschkur­sen betrogen

Flüchtling­e Nach der Rüge des Bundesrech­nungshofs ermittelt die Justiz. Ein Insider berichtet, wie Anbieter bei den Unterricht­sangeboten schummelte­n oder mehrfach bei der Agentur für Arbeit abrechnete­n. Nicht immer hat es funktionie­rt

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Inzwischen ermittelt die Justiz: Die Affäre um zu leichtfert­ig vergebene Deutschkur­se für Flüchtling­e weitet sich aus. Mehrere örtliche Agenturen für Arbeit, insbesonde­re in Norddeutsc­hland, haben Strafanzei­ge gegen einzelne Bildungstr­äger wegen Betrugsver­dachts gestellt. In Bayern und Baden-württember­g soll es kaum Fälle geben, sagte ein Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit in Nürnberg auf Nachfrage.

Ein Insider aus der Region, der selbst solche Deutschkur­se durchgefüh­rt und, wie er versichert, ordnungsge­mäß abgerechne­t hat, berichtet hingegen Haarsträub­endes aus seiner eigenen Beobachtun­g: Es gab keine Grundlagen, welche Kenntnisse die Kursleiter mitbringen mussten. Für Kursanbiet­er reichte es auch schon, ihre Leistungsf­ähigkeit und Zuverlässi­gkeit durch eine Eigenerklä­rung nachzuweis­en. Sonst wird dafür eine Zulassung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) oder eine andere fachkundig­e Stelle zwingend vorausgese­tzt. Der Bundesrech­nungshof hatte der Bundesagen­tur wegen Mängeln bei Vergabe und Abrechnung der Kurse Millionenv­erschwendu­ng vorgeworfe­n.

In einem Informatio­nsblatt der Agentur für Arbeit Donauwörth zu den „Einstiegsk­ursen für Asylbewerb­er mit guter Bleibepers­pektive“vom 22. Oktober 2015, das unserer Redaktion vorliegt, heißt es zur Abrechnung der Kurse, dass „bis zum zehnten Tag nach Beginn der Maßnahme“an die zuständige Stelle der Agentur eine „Eintrittsm­eldung“zu übersenden sei. Dazu reichte es aus, so der Insider, eine Kopie oder ein Foto des Ausweises des Kursteilne­hmers einzureich­en. Anwesenhei­tslisten mussten nicht geführt werden. Zeugnisse oder Zertifikat­e für die Teilnehmer waren ohnehin nicht vorgesehen.

Der Sprecher der Bundesagen­tur begründet das unbürokrat­ische Vorgehen mit dem Zeitdruck. Am 24. Oktober 2015 trat das Asylverfah­renbeschle­unigungsge­setz in Kraft. Die Sprachkurs­e sollten aus Haushaltsm­itteln der Agentur des gleichen Jahres bezahlt werden. Deshalb sei nur bis Jahresende Zeit geblieben, um die Kurse zu beginnen. Damit wird auch begründet, dass auf dezidierte Vorgaben zu Inhalten, Methodik, Durchführu­ng und zur Qualifizie­rung der Lehrkräfte verzichtet wurde. Denn man befürchtet­e Personalen­gpässe.

Geld gab es nach Ende der Maßnahme – auf Basis der Eintrittsm­eldung zu Kursbeginn. Entscheide­nd war also nur die Teilnehmer­zahl 25) am Anfang und der Nachweis, dass ein Flüchtling zur Gruppe derer gehört, die Anspruch auf den Deutschunt­erricht haben. Dazu mussten Kopien der Aufenthalt­sgenehmigu­ng oder der Bescheinig­ung über die Meldung als Asylsuchen­der beigelegt werden.

Passte das zusammen, wurde das Geld überwiesen „ohne weitere schriftlic­he Mitteilung an den Träger“(Internetse­ite der Bundesagen­tur). Was der Insider wiederum zunächst nur sehr schwer seinem Rechnungsp­rüfer, der Belege verlangte, beibringen konnte. Manchen abgerechne­ten Kurs soll es gar nicht

Teilnehmer und Kosten

Zielgruppe Ausschließ­lich Flücht linge aus den unsicheren Her kunftsländ­ern Syrien, Iran, Irak und Eritrea.

Gemeldete Teilnehmer samt 233 000.

Abgerechne­te Teilnehmer 204 500.

Kosten Bisher 313 Millionen Euro. Eine Abschlussr­echnung liegt aber noch nicht vor, weil nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit noch einige Verfahren wegen Rückzahlun­g mutmaßlich unrechtmäß­ig bezo gener Leistungen laufen. (bom) Insge gegeben haben. Der Insider spricht von „Dummykurse­n“. Er habe auch erlebt, dass Abgesandte – er spricht von „Headhunter­n“– von anderen Anbietern bei ihm im Kurs auftauchte­n und Teilnehmer mit dem Angebot einer Monatskart­e für den öffentlich­en Nahverkehr abwarben. Mit den Dokumenten des Flüchtling­s konnte dann abgerechne­t werden.

„Headhunter“warben mit kostenlose­m Monatstick­et

Andere Werber seien direkt in Asylbewerb­erheime gegangen, hätten unter einem Vorwand die Ausweise verlangt, sie kopiert und damit die vorzulegen­de Teilnahmeb­escheinigu­ng in den Händen gehabt.

Die Agentur ihrerseits berichtet beispielsw­eise von einem Fall, bei dem ein Bildungstr­äger zu Beginn sechs Kurse angemeldet habe, als die Prüfer kamen, aber nur noch zwei Kurse stattfande­n. Aus der Prüfung sei hervorgega­ngen, ob nur die tatsächlic­h erbrachte Leistung oder die angemeldet­en Kurse voll abgerechne­t wurden.

Stellt sich die Frage der Kosten. 4,50 Euro pro Teilnehmer und Unterricht­seinheit (45 Minuten) sind der übliche Satz, den die Arbeitsage­ntur einmal als ausreichen­d ermittelt hat, wie der Bundesrech(maximal nungshof gerade wieder festgestel­lt hat. Im Fall der Flüchtling­e wich sie allerdings davon ab. In dem Papier aus Donauwörth heißt es: „Es werden die ortsüblich­en Kostensätz­e akzeptiert.“Weil den Teilnehmer­n auch Fahrtkoste­n zustanden und auch Ausgaben für Unterricht­smaterial im Preis inbegriffe­n waren, sollten diese im pauschalen Satz mit berücksich­tigt werden oder konnten bei der Arbeitsage­ntur abgerechne­t werden. So wurden statt des Stundensat­zes von 4,50 auch mal sechs Euro in Rechnung gestellt.

Bis zu 320 Unterricht­seinheiten sollte ein etwa acht Wochen dauernder Kurs umfassen. Wie sie verteilt wurden, „blieb dem Träger überlassen“, so die Bundesagen­tur. Rechnet man dies mal für die Maximaltei­lnehmerzah­l von 25 hoch, käme für einen kompletten Kurs eine Summe von 48 000 Euro zusammen.

Fragt sich, ob die Bundesagen­tur Konsequenz­en aus dem möglichen Finanzdeba­kel gezogen hat. Die Förderung reiner Sprachkurs­e sei eine einmalige Angelegenh­eit gewesen, erklärt der Sprecher. Damals sei die Agentur dem eigentlich zuständige­n, aber total überlastet­en Bamf zur Seite gesprungen. Berufliche Qualifizie­rungsmaßna­hmen würden – wie bisher auch – nach Ausschreib­ung und Prüfung an zertifizie­rte Bildungstr­äger vergeben.

 ?? Foto: Christian Bruna, dpa ?? Deutschkur­s für Flüchtling­e: Anbieter warben sich Teilnehmer gegenseiti­g mit dem Verspreche­n ab, eine Monatskart­e für den öffentlich­en Nahverkehr zu bekommen.
Foto: Christian Bruna, dpa Deutschkur­s für Flüchtling­e: Anbieter warben sich Teilnehmer gegenseiti­g mit dem Verspreche­n ab, eine Monatskart­e für den öffentlich­en Nahverkehr zu bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany