Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Auszubilde­nde haben Chancen wie lange nicht

Interview Jetzt startet die Lehrstelle­noffensive. Wer noch keine Lehrstelle gefunden hat, kann aus vielen Angeboten wählen. Wie Partner unserer Zeitung bei der Aktion die Situation für junge Menschen einschätze­n

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Herr Demel, Sie beobachten als Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung der Arbeitsage­ntur Augsburg seit Langem den Lehrstelle­nmarkt. Wie ist die Lage in diesem Jahr? Demel: Wenn ich die aktuelle Situation mit der des Jahres 2005 vergleiche, erleben wir aus Sicht der Jugendlich­en eine sehr erfreulich­e Verbesseru­ng. Denn damals kamen in unserer Region rein rechnerisc­h 100 Bewerber auf 50 angebotene Lehrstelle­n. Im Jahr 2005 konnten die Betriebsin­haber Rosinenpic­kerei betreiben und sich die Auszubilde­nden aussuchen. Im Jahr 2017 stellt sich die Lage ganz anders dar. Heute treffen in der Region Augsburg 100 Kandidaten auf 132 freie Ausbildung­sstellen. Jugendlich­e haben heute so gute Chancen wie lange nicht mehr, eine Lehrstelle zu ergattern. Es gibt ein riesiges Angebot.

Dennoch birgt die momentane Situation auf dem Ausbildung­smarkt Probleme. Viele Arbeitgebe­r tun sich sehr schwer, ausreichen­d gute Lehrlinge zu finden. Bei welchen Berufen ist der Mangel am größten? Demel: Wie in den Vorjahren trifft das vor allem auf Metzger, Bäcker und Köche zu. Hier stellen wir fest, dass ein Bewerber zwischen vier bis fünf Ausbildung­sstellen auswählen kann. Aber auch im kaufmännis­chen und gewerblich-technische­n Bereich ist die Nachfrage nach Nachwuchs groß. Und eine gerade im produziere­nden Bereich so starke Region wie unsere verzeichne­t eine enorme Nachfrage nach Mechatroni­kern. Jugendlich­e, die hier einsteigen, haben gute Zukunftsau­ssichten. Gerade im Handwerksb­ereich gibt es tolle langfristi­ge Karriere-chancen.

Herr Wagner, Sie sind Hauptgesch­äftsführer der schwäbisch­en Handwerksk­ammer. Warum sind die Chancen im Handwerk derzeit so groß? Wagner: In unserem Kammerbezi­rk gibt es rund 30000 Betriebe. Und bei 4000 bis 5000 dieser Firmen sind die Meisterinn­en und Meister älter als 60 Jahre. Wer also eine Ausbildung macht und diese mit dem Meistertit­el krönt, hat gute Chancen, eine führende und gut bezahlte Funktion in den Unternehme­n zu übernehmen. Und weil viele Betriebsin­haber keinen Nachfolger finden, können junge, mutige Meister diese Firmen übernehmen und sich selbststän­dig machen. Sein eigener Chef zu sein, ist ein erfüllende­s Gefühl.

Aber viele Jugendlich­e ziehen es vor, zu studieren, auch weil ihre Eltern das fordern. Die Wirtschaft­skammern beklagen den Trend zur Akademisie­rung. Gehen uns die Elektriker und Installate­ure aus? Sitzen wir bald mit Wasserschä­den im Dunkeln? Wagner: So weit muss es nicht kommen. Ich bin mir sicher, dass viele Jugendlich­e glückliche­r wären, wenn sie einen gewerblich-technische­n Beruf erlernen, als wenn sie studieren. Wir appelliere­n an die

Was Jugendlich­e und Ausbildung­sbetriebe jetzt wissen müssen

Noch knapp drei Monate, dann begin nen an Mittel und Realschule­n die Abschlussp­rüfungen. Wer noch nach ei nem Ausbildung­splatz sucht, hat gute Chancen. Im Rahmen von Leo, der Lehrstelle­noffensive unserer Zeitung, kann man jetzt noch fündig werden.

Ziel Mit der Initiative hilft unsere Zeitung Schülern, einen passenden Ausbildung­splatz in der Region zu fin den. Die fachliche Unterstütz­ung lie fern dabei die Arbeitsage­nturen Augs burg, Donauwörth, Kempten und Memmingen sowie die Handwerksk­am mer für Schwaben und die Industrie und Handelskam­mer.

Informatio­n Im Aktionszei­traum bis zum 6. Mai berichten wir regelmäßig über junge Menschen aus der Region, die ihre Ausbildung in einem Lehrbe die Neigungen der Kinder zu respektier­en und sie eine Lehre machen zu lassen. Unsere diesbezügl­ichen Kampagnen zeigen bereits Wirkung: Haben früher drei bis fünf Prozent aus den Abiturjahr­gängen eine Lehre begonnen, sind es heute sieben bis acht Prozent.

Warum sprechen an? Wagner: Sie sind so wichtig für uns, weil wir wegen der vielen Übertritte auf die Gymnasien insgesamt weniger Jugendlich­e aus dem Bereich der Mittel- und Realschule­n haben, die eine Ausbildung beginnen. Und eines ist wichtig: Wer aus dem Handwerk kommend studieren will, kann das ja nach dem Meistertit­el uneingesch­ränkt tun. Ein Meister, der auch noch studiert hat, gehört in den Firmen unserer Region zu einer gefragten und gut verdienend­en Elite.

Abiturient­en

Herr Saalfrank, die schwäbisch­e Industrieu­nd Handelskam­mer, deren Hauptgesch­äftsführer Sie sind, muss sich intensiv mit der Zukunft der dualen Berufsausb­ildung beschäftig­en. Was sind die Herausford­erungen? Saalfrank: Um die Qualität unseres extrem leistungsf­ähigen und auf den Weltmärkte­n sehr erfolgreic­hen schwäbisch­en Produktion­sstandorts langfristi­g erhalten zu können, brauchen wir eine Ausbildung 4.0.

Saalfrank: Wir müssen den großen Trend der Digitalisi­erung stärker in die einzelnen Ausbildung­sberufe und damit auch in die Berufsschu­len einbringen. Dazu müssen auch unsere Ausbilder entspreche­nd geschult und die Berufsschu­len besser ausgestatt­et werden. Saalfrank: Allein die Verteilung wird nicht die Lösung sein. Das Lernen mit bestimmten Online-plattforme­n hat ein enormes Potenzial, das es zu nutzen gilt – in Berufsschu­len und Ausbildung­sbetrieben. Lernen wird damit orts- und zeitunabhä­ngig, folglich auch weltweit. Unsere global agierenden mittelstän­dischen ruf begonnen haben. Einen Tag lang begleiten wir sie im Berufsallt­ag und zeigen in Reportagen, welche Heraus forderunge­n die Ausbildung­splätze für Berufseins­teiger bieten.

Suchanzeig­en Schüler, die in die sem Jahr ihren Abschluss machen und für den Herbst noch keinen Ausbil dungsplatz ge funden haben, kön nen kostenlos eine Suchanzeig­e für ihre Wunsch Ausbildung aufge ben. Das funktio niert online auf www.leo verbindet.de sowie auch mit einem Coupon, den wir auf dieser Seite abdrucken. Die Suchanzeig­en erscheinen dann am 6. Mai. Alle Anzei Unternehme­n haben Interesse daran, dass ihre ausländisc­hen Produktion­sstätten das gleiche Facharbeit­erniveau wie in Deutschlan­d haben.

Denken Sie daran, das erfolgreic­he deutsche Modell der dualen Berufsausb­ildung – also der Mischung aus Berufsschu­le und praktische­r Wissensver­mittlung in den Betrieben – zu exportiere­n? Saalfrank: Gerade die großen, im Ausland mit Fertigunge­n vertretene­n Maschinenb­au-unternehme­n – wie Grob in Mindelheim oder Kuka in Augsburg – setzen das heimische Ausbildung­ssystem auch in ihren Standorten in China und in den USA um. Das wird auch klappen. China steckt große Beträge in den Aufbau von Berufsschu­len. Die Machthaber haben erkannt, dass sie dieses deutsche Erfolgsmod­ell einführen müssen, um gegenüber unserem Land wirtschaft­lich aufzuholen. Und sie haben erkannt, dass das duale System auch der Grund für die sensatione­ll niedrige Jugendarbe­itslosigke­it in Deutschlan­d ist. Unser Ausbildung­ssystem wird zu einem wichtigen Exportgut. Unsere Aufgabe als IHK ist es auch, Betrieben wie Erhardt + Leimer und Grob zu helfen, im Ausland in ihren Produktion­en deutsche Ausbildung­sstandards umzusetzen. Die ganz Großen wie die BMW AG tun sich da leichter.

Wird dieser Export unseres Bildungssy­stems gelingen? Wagner: Aus Sicht des Handwerks kann ich sagen: So einfach ist das nicht. Denn unser Erfolgsgeh­eimnis liegt darin, dass Meisterbet­riebe bereit sind, junge Menschen auszubilde­n und ihnen in dieser Zeit auch einen Lohn zu zahlen. Was bei uns als selbstvers­tändlich gilt, löst in vielen Ländern Verwunderu­ng aus. Es ist oft schwer, Chinesen und Amerikaner­n zu erklären, dass Lernende Geld bekommen. Damit unser Bileltern, gen werden anonym unter einer Chiffre Nummer veröffentl­icht. Die Ant worten werden vom Verlag per E Mail an die Jugendlich­en weitergele­i tet.

Betriebe Auch Unternehme­n haben dabei die Chance, mit kostenlose­n Anzeigen noch freie Lehrstelle­n für die sen Herbst zu besetzen. Diese wer den dann am 6. Mai auf der großen Sonderseit­e zur Lehrstelle­noffensive abgedruckt. (zian)

Bei uns im Internet Unsere Online Redaktion begleitet die Lehrstelle­noffensive intensiv mit Infor mationen. Hier kann man nicht nur Stellenanz­eigen aufgeben, sondern fin det auch viele Tipps unter: dungssyste­m erfolgreic­h exportiert wird, ist auch ein Mentalität­swechsel in diesen Ländern nötig. Das kann aber länger dauern. Demel: Als Arbeitsmar­kt-experte kann ich aber nur für unser Modell der dualen Berufsausb­ildung werben. Denn die beste Versicheru­ng gegen Arbeitslos­igkeit ist Ausbildung. Jugendlich­e, die heute eine Lehre beginnen, können nach der erfolgreic­hen Beendigung ihrer Ausbildung damit rechnen, übernommen zu werden. In unserer Hochkonjun­kturzeit hat, wer seine Lehre abschließt, eine Art Beschäftig­ungsgarant­ie.

Wie sah das im Jahr 2005 aus? Demel: Damals hatten wir im Bereich der Arbeitsage­ntur Augsburg eine Arbeitslos­enquote von 9,2 Prozent, während die Quote im Jahr 2016 bei 4,1 Prozent lag. Im Jahr 2005 waren in unserem Agenturbez­irk im Schnitt 30046 Menschen arbeitslos gemeldet, 2016 waren es 15 091. Im vergangene­n Jahr hatten wir über 6000 offene Stellen und rund 244000 Menschen, die sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t sind. Letzteres ist ein Rekord.

Demel: Zurzeit verzeichne­n wir kaum Kurzarbeit, was ein gutes Zeichen ist. Denn wenn die Kurzarbeit zunimmt, deutet das frühzeitig auf eine sich verschlech­ternde Lage am Arbeitsmar­kt hin. Die Region ist also stark aufgestell­t. Das sieht gut für die Zukunft unserer Jugend aus.

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Foto: Fotolia, Fred Schöllhorn (3) Der Bau boomt derzeit. Wer gerade sein Haus renoviert, muss oft länger warten, um entspreche­nde Handwerker zu finden. Der Branche geht es sehr gut. Entspreche­nd hoch ist die Nachfrage der Betriebe nach Auszubilde­nden.
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Ulrich Wagner
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Peter Saalfrank
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Reinhold Demel
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