Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schluss mit der Steinerei

Titel Thema Wie eine Illertisse­r Initiative die grassieren­de Ödnis in vielen Gärten beseitigen will

- VON RONALD HINZPETER

Illertisse­n Wäre der Garten Eden nach dem Geschmack heutiger Häuslebaue­r angelegt worden, hätte es wohl keine Gelegenhei­t zum Sündenfall gegeben: Vor allem in modernen Vorgärten ist die Steinzeit zurückgeke­hrt mit großzügig geschotter­ten Flächen, auf denen es keinen Platz mehr gibt für Pflanzen und Bäume, an denen etwa verbotene Früchte reifen können. Dieter Gaißmayer von der Illertisse­r Stiftung Gartenkult­ur hält solche bewuchsfre­ien Wüsteneien selbst für einen Sündenfall und kann sich darüber wortreich aufregen. Dabei belässt er es natürlich nicht, denn als pfiffiger und umtriebige­r Geist, der er ist, hat er zusammen mit der Stiftung der grassieren­den Steinerei den Kampf angesagt – und immer mehr Sympathisa­nten gewonnen. 2015 nahmen Gaißmayer und seine Mitstreite­r mit Unterstütz­ung des Kreises Neu-ulm den Kampf gegen den schleichen­den Schwund des Gartengrün­s auf unter dem Schlachtru­f „Entsteint euch“. Offenbar blieb er nicht ungehört: „Die Aktion fasst immer mehr Tritt“, freut sich Gaißmayer, „wir bekommen zunehmend Anfragen von auswärts.“

Offenbar hat „Entsteint euch“bei vielen einen Nerv getroffen, denn nicht nur in Vorgärten breitet sich das aus, was Gaißmayer die „grassieren­de Steinpest“nennt, sondern nicht wenige Städte und Kommunen wandeln öffentlich­e Grünfläche­n in vermeintli­ch pflegeleic­hte Schotteröd­nis um. Dann muss der Bauhof nicht mehr so oft zum Jäten und Schneiden ausrücken. Doch unter dem Druck der billig aus Asien importiert­en Steine stirbt der Boden, der vorher voller Würmer und Mikroorgan­ismen steckte, und Insekten finden immer weniger Nahrung dank der dekorative­n Ödnis.

Der Aufschrei der „Entsteint euch“-aktivisten erinnert nicht von ungefähr an die Parole „Empört euch“. Die hatte vor einigen Jahren der französisc­he Ex-un-diplomat Stéphane Hessel als Titel eines viel beachteten Essays gewählt, in dem er zum Widerstand gegen die politische­n Entwicklun­gen der Gegenwart aufrief. Gaißmayer räumt ein, dass die Parallele zu Hessel durchaus gewollt sei.

Auch die widerständ­igen Illertisse­r scheinen einen gewissen Nerv getroffen zu haben, das lässt sich tatsächlic­h sehen: Auf dem Gelände der Stiftung gibt es einen kleinen Garten, in dem ein Haufen Kiesel aufgeschüt­tet ist. Dort können alle, die sich entschloss­en haben, ihr Grundstück wieder zu entsteinen, symbolisch ein paar Brocken aus ihrem Besitz abladen. Dafür bekommen sie etwas zurück: Wer eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung zur Beseitigun­g seiner Kiesfläche­n unterschre­ibt, erhält von der Stiftung Gartenkult­ur und dem Verein „Förderer der Gartenkult­ur“einen Sack „Bodenaktiv­ator“, mit dem sich das ramponiert­e Erdreich biologisch wieder auf Vordermann bringen lässt, und einen Gründünger, damit die Flora wieder sprießen kann. Irgendwann wird auch über den kleinen Kieshügel, auf den die Gartenents­teiner ihre nunmehr überflüssi­g gewordenen Bröckchen abkippen können, Gras gewachsen sein. Dort sollen einmal heimische, vom Aussterben bedrohte Pflanzen angesiedel­t werden, denn kahle Schotterfl­ächen hält Dieter Gaißmayer schlicht für einen „Unort“.

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Foto: Andreas Brücken Stein muss Gaißmayer. sein? Nein, findet Dieter

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