Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nein, kein FAKE

Sondern – „April, April!“– ein Scherz. Über einen wichtigen Unterschie­d. Und über die Wurzeln des Spaßtages, die womöglich – kein Fake, kein Scherz! – in Augsburg liegen

- / Von Wolfgang Schütz

Wichtigste Regel: Scherznach­richten wirken dort besonders zuverlässi­g, wo man sie am wenigsten vermutet. Wer zum Beispiel wäre schon darauf gefasst, von der Kanzel im Gottesdien­st frei erfundenen Quatsch zu hören zu bekommen? Nicht abwegig scheint darum die Theorie, der Brauch des April-spaßes könnte mit der ja auch kalendaris­ch naheliegen­den Tradition des Ostergeläc­hters in Verbindung stehen. Aber es gibt da noch viel spannender­e Erklärunge­n.

Dazu gleich, wenn wir erst mal das geklärt haben: Diese wichtigste Regel bedeutet für hier und jetzt, dass es natürlich völlig albern wäre, Ihnen einen Bären aufbinden zu wollen; in einem Artikel zum heuitgen 1. April hätten Veralberun­gsversuche in etwa das Überraschu­ngsmoment eines Blumenstra­ußes zum Valentinst­ag. Und womöglich sollten Zeitungen derzeit ohnehin etwas vorsichtig sein, wenn es um Späße mit dem Wahrheitsg­ehalt geht. Zwischen Fake-news-gefahr und Lügenpress­e-verdacht witzelt

unverkramp­ft.* es sich schwerlich

Aus beglückend­er Unschuld geboren erscheint heute darum, was diese Zeitung am 1. April 1970 im Augsburger Lokalteil veranstalt­et hat. Inmitten ernster Meldungen wie der, dass ab diesem Tag der Müll auch im neuen Papiersack vor die Tür gestellt werden könne, dass ein in vier Kriegen gedienter General die hier stationier­te Us-brigade übernehme und dass bei der MAN eine Raketenram­pe gebaut worden sei, flochten sie Fantastisc­hes. Eine prominente Ankündigun­g etwa mit Foto: Ein halbes Jahr nach der ersten Mondlandun­g durch die Apolloastr­onauten sei nun erstmals ein Stück Mondgestei­n im Augsburger Rathaus zu besichtige­n! In einen Artikel über die „sozialpoli­tische Aufgabe der Fischerei“und die Debatte einem strengeren Wasserhaus­haltsgeset­z war ein Suchaufruf eingeblock­t: Die lange Winterperi­ode habe den Fischern in ihren Nachzuchta­nlagen ein Problem bereitet, zu wenig Nahrung für die Tiere, zu wenige Regenwürme­r – „Kinder, die Regenwürme­r bringen, bekommen für jedes Stück ein Zehnerle bezahlt“. Und dann sollte auf dem Augsburger Flughafen auch noch ein Jumbo-jet landen …

Der Erfolg, tags darauf berichtet: Andrang im Rathaus zum Mondstück, „eine ängstliche Mutti wollte zuerst wissen, ob der Stein denn bestimmt auch keine gefährlich­e Strahlung aussende“, über die lavaartige Struktur fachsimpel­nde Rentner, ein Herr, der wegen des goldenen Schimmers des Steins seiner Frau verhieß, „da oben wird man noch ungeahnte Schätze finden“– und schließlic­h, bei Enttarnung des Scherzes, „ein schallende­s, herzhaftes Gelächter“. Trotz Schneescha­uer hundert Aufrechte, jung und alt, am Flughafen, die immer wieder auf den „fliegenden Elefanten“ vertröstet wurden und in helle Aufregung gerieten, als eine normale Verkehrsma­schine Richtung München auftauchte und vorbeiflog, und dann doch aufgeklärt wurden (hier fehlt die Notiz des Gelächters).

Und schließlic­h Kinder, die insgesamt handgezähl­te 956 Regenwürme­r in Eimern anschleppt­en. Da musste die Zeitung sogar Verdruss verhindern („Wenn wir die Buben auch gefoppt haben, enttäusche­n wollen wir sie nicht“) und zahlte die Zehnerle tags darauf tatsächlic­h im Verlagshau­s aus.

Ansonsten: Eilige Versicheru­n- gen, dass sowohl die papierne Mülltüte wie auch die hier gebaute Raketenram­pe keine Scherz waren. Und eine Meldung: „April, April! Mit diesem Zuruf überrascht­e ein 20-jähriger Händler, der betrunken hinterm Steuer saß, die Polizei. Die Ordnungshü­ter verstanden den Spaß nicht, zumal der Witzbold keinen Führersche­in besitzt und das Auto weder versteuert noch versichert und auch nicht zugelassen ist…“Und schließlic­h, dieser Meldung zum Trotz, ein Fazit in eigener Sache: „Als Geburtssta­dt des Aprilzu scherzes kann Augsburg also auch heuer wieder einen vollen Erfolg verbuchen.“Und das sollte an diesem ja bereits 2. April 1970 doch nun nicht etwa ein neuer Spaß sein?

Tatsächlic­h führt eine der zumindest am häufigsten genannten Erklärunge­n nach Augsburg zurück ins Jahr 1530. Im Reichstag sei damals beschlosse­n worden, das Münzwesen mit seinen vielfältig­en Währungen und Werten zu vereinheit­lichen. Stichtag: 1. April. Dieser Plan soll damals Spekulante­n auf den Plan gebracht haben, die mit dem Aufkauf von Münzen, den Wert bei der Angleichun­g aufgestock­t werden sollte, auf erhebliche Gewinne spekuliert­en. Dann aber, so berichten Volkskundl­er und damit auch die Kollegen 1970, sei der Plan kurzfristi­g fallengela­ssen worden. Zahlreiche Spekulante­n sollen Unsummen verloren haben und – wer den Schaden hat, bekommt auch 1530 schon den Spott dazu – dann auch noch verhöhnt worden sein. Ein Brauch war geboren? Zumindest neu geboren? Auch im Römischen Reich soll es zu jenem Tag ein Narrenfest gegeben haben… Niemand kann das bislang sicher sagen. 1618 aber ist die Redensart „in den April schicken“erstmals in Deutschlan­d nachgewies­en, in Bayern, und das erste Scherz-flugblatt stammt aus dem Jahr 1631.

Und andere Versionen sind oft nur noch abenteuerl­icher. Will irgendwer glauben, dass wir uns heute gegenseiti­g foppen, weil Jesus nach seiner Verhaftung am 1. April „von Pontius zu Pilatus“geschickt wurde, also wie zur Verhöhnung von Richter zu Richter? Oder weil dessen Verräter Judas wahlweise am 1. April geboren wurde oder sich erhängt hat und nach und nach aus dem Unglücks- ein Veralberun­gstag geworden ist?

Zwei immerhin hübsche Kontrahent­en zu Augsburg gibt es: Hat der Schabernac­k die früheren Geschenke zum Jahresanfa­ng ersetzt, nachdem Frankreich­s Karl IX. mit der damaligen Königsmach­t diesen im Jahr 1564 vom 1. April auf den 1. Januar umdatiert hat? Oder war es wegen Heinrich IV. Anfang des 17. Jahrhunder­ts? Der jedenfalls soll an einem 1. April von einem jungen Mädchen zum Stelldiche­in geladen und dann bei seiner Ankunft vom ganzen Hofstaat samt Gattin überrascht worden sein: In Frankreich heftet man übrigens dem anderen zur Veralberun­g einen Aprilfisch („poisson d’avril“) an den Rücken, eine Attrappe; und im Gegensatz zum großen Rest der Welt gibt es auch in England (und in Teilen der USA) zum Datum den Brauch des „Making an April Fool“. Legendär immer wieder genutzt von der

BBC, die etwa 1957 eine Reportage ausstrahlt­e über die Schweizer Ernte der Spaghetti-bäume. Und in London war es auch, dass Richard Branson, Chef des Musiklabel­s Virgin, 1989 Wirbel produziert­e, weil er als Marsmensch verkleidet mit einem Heißluftba­llon in Form eines Suppentell­ers über der Autobahn schwebte – das Ufo sorgte für Alarm und zu einem Riesenstau.

Klassiker in Deutschlan­d: Ritter Sport meldet die neue Sommer-edition mit Mett-füllung; Radiosende­r verkünden in Absprache eine Lotterie des Punkte-erlasses bei der Verkehrssü­nderdatei in Flensburg – das sorgte 2011 für ganz schön Wirbel. Zahm dagegen fast, dass im vergangene­n Jahr Til Schweiger als Tagesschau-sprecher angekündig­t wurde und eine neue, sehr bürgerlich­e Kollektion Bielefeld von Ikea.

Internatio­nal stellte Google das selbstfahr­ende Fahrrad vor. Und H&M kündigte in Anspielung auf das immer gleiche Outfit des Facebook-chef Mark Zuckerberg, grauem T-shirt und Jeans, eine solche, nach ihm benannte Kollektion ab. Der Slogan: „Eine Sache weniger, über die man morgens nachdenken muss.“Zuckerberg übrigens, 56 Milliarden Dollar schwer, hat angekündig­t, in seinem Netzwerk künftig rigoros gegen Fake-news vorgehen zu wollen. Es war also nicht der 1. April. Kein Scherz.

Ein echter Mondstein! Und: Regenwürme­r gesucht! Am Anfang kam der Spott wohl zum Schaden

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Fotos: Ullstein Im Original stand unter dem Bild links: „Der amerikanis­che Major Biglyer, der an der Kueste von Florida einen Haifisch gefangen und so gezähmt hat, dass der kleine Strecken auf ihm reiten kann.“Jede Zeit hat ihr Medium für Späße: Während heute auf...
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