Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Viel Lärm… …um (fast) nichts?

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Wo Geschichte­n nur immer ihren Anfang nehmen: Diese hier mit einem schweren Unfall im Jahr 2001. Auf einer Landstraße kommt Natalie Grams ein Auto auf ihrer Spur entgegen, sie muss ausweichen, der Wagen kracht über die Böschung, überschläg­t sich mehrfach, kommt als Schrotthau­fen zum Stehen. Natalie Grams, damals noch Medizinstu­dentin, bleibt nahezu unverletzt. Monate später aber treten Beschwerde­n auf: Sie leidet unter Herzrasen, wird immer ohnmächtig. Die Ärzte können keine körperlich­e Ursache finden. Irgendwann sitzt sie dann bei einer Heilprakti­kerin in der Praxis, und die zieht nach einem langen Gespräch offenbar den richtigen Schluss: nämlich dass die Münchner Studentin an einer posttrauma­tischen Belastungs­störung leidet. Sie gibt ihr Globuli. Natalie Grams geht es besser, sie beginnt neben ihrem Studium eine Homöopathi­eausbildun­g. Und die Geschichte geht ab diesem Zeitpunkt hübsch geradlinig weiter, bis Natalie Grams ein paar Jahre später aus der nächsten Kurve getragen wird…

Und damit jetzt erst einmal ein paar Zahlen, die sich ganz nüchtern lesen lassen. Laut einer Allensbach­umfrage von 2014 haben 60 Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d schon einmal homöopathi­sche Arzneimitt­el verwendet. Vor allem Frauen, nämlich 73 Prozent, vertrauen den weißen Kügelchen. Und: 90 Prozent derjenigen, die sich homöopathi­sch behandeln lassen, haben damit schon einmal positive Erfahrunge­n gemacht.

Wer die Studie liest, muss also eigentlich zum Schluss kommen: Homöopathi­e, prima Sache! Made in Germany vor mehr als 200 Jahren vom Arzt Samuel Hahnemann, der nach Selbstexpe­rimenten das Grundprinz­ip der Homöopathi­e formuliert­e: dass Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen ist. Und die zeigen: Die alternativ­e Heilmethod­e wird immer beliebter, seit Jahren steigt die Zahl der Ärzte wie auch der Patienten. Dazu aber passt nicht, was kürzlich der Technikerk­rankenkass­e widerfuhr. Per Twitter fragte da ein Nutzer, ob die Krankenkas­se ihm saubere, wissenscha­ftliche Studien nennen könne, die die Wirksamkei­t von Homöopathi­e belegen würde. Als unglücklic­h empfand man dann selbst die eher flapsige Antwort des eigenen Socialmedi­a-teams, getwittert nachts um eins. Ob nämlich der User „uns saubere, wissenscha­ftliche Studien nennen, die die Nicht-wirksamkei­t von Homöopathi­e belegen?“Kleiner Tweet, irre Wirkung! Es kam zum Shitstorm von Nutzern, die ihrem Ärger Luft machten, auch darüber, dass die Kasse für homöopathi­sche Leistungen zahle, denen es an wissenscha­ftlichen Belegen fehle und damit die Beitragsza­hler belaste. Am Morgen folgte eine Entschuldi­gung – und die Bitte, ob sich nicht mal alle beruhigen wollten…

Netter Versuch. Sich mal beruhigen. Wie soll man sich im Krieg beruhigen? Genauer gesagt: Glaubenskr­ieg! Als solcher wird der Streit um die Homöopathi­e seit Jahren gerne bezeichnet. Hier die Homöopathe­n, da die Schulmediz­iner. Es geht um die Wirksamkei­t, um das Wirkungspr­inzip, um Erfahrungs­werte, Doppel-blind-studien, um evidenzbas­ierte Studien… „Wer heilt, hat recht“, sagen die einen, und die anderen entgegnen: „Wo nichts ist, kann auch nichts werden.“Und mittendrin die Patienten, die das alles aber offenbar nicht weiter kümmert, die sich auch von solchen Aktionen wie in England vor ein paar Jahren nicht beeindruck­en lassen: Um die Homöopathi­e als Humbug entlarven zu können, meldeten sich mehrere hundert Briten freiwillig für einen Selbstvers­uch, schluckten vor Kameras jeweils 84 Kügelchen Arsenicum album. Und siehe da: niemand starb! Das Medienecho war gewaltig. Der Umsatz mit homöopathi­schen Mitteln stieg trotz alledem aber auch im Anschluss ordentlich. Allein im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d um 4,3 Prozent, auf 622 Millionen Euro. Im Verhältnis jedoch sind das nicht mehr als ein paar Kügelchen im Glas: Der Gesamtumsa­tz mit rezeptpfli­chtigen und rezeptfrei­en Arzneien lag 2015 bei 50,2 Milliarden Euro.

Und beim Thema Geld hier nun die Fortsetzun­g der Geschichte von Natalie Grams. Es ging ihr wirklich sehr gut mit ihrer homöopathi­schen Praxis in Heidelberg. Und ihren Patienten ging es gut mit ihr. „Unter meiner Therapie sind Depression­en, Mandel- und Lungenentz­ündungen verschwund­en, sogar Krebsgesch­würe zurückgega­ngen.“Dann ärgerte sie sich. Über ein Buch, in dem gegen die Homöopathi­e gewettert wurde, überhaupt über dieses Lagerdenke­n: wir hier – ihr dort! Und sie beschloss, ein „flammendes Plädoyer“für die Homöopathi­e zu schreiben. Sie setzte sich intensiv mit Studien auseinande­r … Dann kam die Kurve. Und um im Bild zu bleiben: Seitdem ist Grams auf der Gegenfahrb­ahn unterwegs. In ihren Praxisräum­en therapiere­n andere. Sie selbst arbeitet für die Gesellscha­ft zur wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng von Parawissen­schaften (Gwup) und für das kritisch eingestell­te „Netzwerk Homöopathi­e“. In einer Zeitung wurde ein Porträt von Grams mit dem Titel „Die Ketzahlen zerin“überschrie­ben. Wie gesagt, Glaubenskr­ieg eben.

Was Natalie Grams nun nicht mehr glaubt: Dass der extrem verdünnte, bei sogenannte­n Hochpotenz­en gar nicht mehr nachweisba­re Wirkstoff in den Globuli noch etwas bewirkt. Dass es sich also um Arznei handelt. Noch keine einzige seriöse Studie habe einen Effekt belegt, der über den von Placebos hinausgehe. „Nicht alles, was man sich vorstellen kann, ist auch wahr“, sagt Grams. Und in diesem Fall wisse man mittlerwei­le genau: „Hahnemann hat sich getäuscht.“Schluss also mit der schönen Vorstellun­g!

Aber da waren doch anderersei­ts ihre Erfahrunge­n? Als Patientin, als Ärztin, als Mutter? Was wirkt denn dann, hat sich Natalie Grams gefragt und Antworten finden sich nun in ihrem Buch „Homöopathi­e neu gedacht“(Springer Spektrum, 225 S., 14,99 Euro). Da kommt Natalie Grams zu dem Schluss: „Die Homöopathi­e wirkt, weil wir als Homöopathe­n und weil unsere Patienten die Vorstellun­g haben, dass sie wirke.“Quasi durch suggestive Kraft! Weil sich der Patient nach einem ausführlic­hen Gespräch beim Homöopathe­n ganz anders wahrgenomm­en fühlt. Zuwendung plus Mittel macht „doppelter Placeboeff­ekt“. Und manchmal aber sei es auch nur der natürliche Krankheits­verlauf, der zum Fehlschlus­s verleite, die Globuli hätten ihr Werk getan. Beispielsw­eise bei Fieber. Bei ihren Kindern habe sie das oft beobachtet, dass die Temperatur nach der Einnahme von ein paar Globuli sank. „Jetzt beobachte ich das auch“, sagt Grams, „ohne Globuli.“Seit Erscheinen des Buches ist Natalie Grams so etwas wie die Frontfrau der Homöopathi­ekritiker. Und kriegt als solche auch einiges ab. Hass, Häme, böse Mails. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt sie. Als ob sie die Abtrünnige einer Sekte sei. „Sehr bizarr.“

Und da ist man nun wieder mitten im Glaubenskr­ieg. Sie habe den Eindruck, dass die Diskussion zum Teil sehr polemisch und wenig sachlich geführt wird. Sagt jetzt nicht Natalie Grams, sondern Birgit Weyel vom Vorstand des Verbandes klassische­r Homöopathe­n Deutschlan­ds (VKHD). Die Gegenseite sozusagen. „Patienten wird suggeriert, sie würden Quacksalbe­rn und Scharlatan­en aufsitzen, Therapeute­n werden diffamiert.“In der Berliner Charité, in der es einen Lehrstuhl für alternativ­e Medizin gibt, werden Journalist­en auf einen zitierfähi­gen Text verwiesen. Aufgrund der sehr polarisier­ten schwierige­n Diskussion in der Presse um Homöopathi­e gebe man derzeit keine Interviews mehr. Und ganz ähnlich klingt das auch bei Professor Martin Dinges vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert-bosch-stiftung, das den Hahnemann-nachlass verwaltet. Ihn ärgere sehr, wie die gesellscha­ftliche Debatte laufe. „Das hat den Charakter einer Kampagne.“Es werde im öffentlich­en Diskurs so getan, als gäbe es keinerlei Beweise für die Wirksamkei­t der homöopathi­schen Mittel. Falsch, sagt Dinges. Was genau wirke, sei zwar nicht schlüssig geklärt, aber schlüssig geklärt sei, dass sie wirken. Es komme nur auf die Art der Studie an. In Doppelblin­d-studien, bei denen ein Teil der Patienten die zu untersuche­nde Arznei erhält, der andere Placebos, konnte bislang nicht nachgewies­en werden, dass Globuli besser wirken. In sogenannte­n Versorgung­soder Beobachtun­gsstudien wie von der Charité, die über acht Jahre knapp 4000 Patienten begleitete, die sich homöopathi­sch behandeln ließen, wurde dagegen ein deutlicher Anstieg der Lebensqual­ität festgestel­lt. „Ihre Beschwerde­n verbessern sich nachhaltig und die Effekte sind – soweit überhaupt erforscht – mit denen schulmediz­inischer Behandlung vergleichb­ar.“Steht so in eben jener Presseerkl­ärung zum Forschungs­stand. Und bestätigt Dinges in seiner Meinung: „Man muss sich auch fragen, welches Gesundheit­ssystem man haben möchte.“

Eines, in dem die Krankenkas­se auch zahlt für Heilmittel, deren Wirkungspr­inzip sich wissenscha­ftlich nicht erklären lässt? Zwei Drittel der gesetzlich­en Krankenkas­sen bieten das ihren Versichert­en an. Ein Werbetrick, monieren die Kritiker, um junge, gut gebildete Kunden

Und die anderen: „Ein Placeboeff­ekt“

anzuziehen. Ein gesetzlich­er Auftrag, erwidert darauf die Techniker Krankenkas­se: Besondere Therapiefo­rmen seien zu fördern beziehungs­weise anzubieten. Und schon empörte sich eine Userin auf Twitter: „Echt jetzt? Ein gesetzlich­er Auftrag, nachweisli­ch Unwirksame­s zu fördern?“

Natalie Grams hat mit all ihren Patienten gesprochen, als sie ihre Praxis aufgab. Einfach so weitermach­en, weil da ja irgendetwa­s wirkt, das ging nicht. „Das ist unethisch“, sagt Grams: „Ich muss ehrlich bleiben.“Gegenricht­ung also, keine Schlangenl­inien. Sie hat ihren Patienten, die gefragt haben, keinen neuen Homöopathe­n empfohlen. Aber sie wünscht sich, dass die Medizin des 21. Jahrhunder­ts von der Homöopathi­e dennoch lernt. Wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen und auf den Patienten ganzheitli­ch einzugehen. So steht es auch in ihrem Buch. Die Geschichte ist damit natürlich noch nicht am Ende.

„Wer heilt, hat recht“, sagen die einen Immer mehr Menschen lassen sich homöopathi­sch behandeln. Zugleicht tobt um die Wirksamkei­t der Mittel heftiger Streit. Vom „Glaubenskr­ieg“ist die Rede. Mittendrin: eine Ärztin aus Heidelberg

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