Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Osterbotschaft des Kaisers
Kaiser Wilhelm II. schreibt am 7. April 1917 an Kanzler Bethmann Hollweg – aber damit eigentlich an das ganze Volk: „ Mir liegt die Umbildung des preußischen Landtags und die Befreiung unseres gesamten innenpolitischen Lebens von dieser Frage besonders am Herzen… Nach den gewaltigen Leistungen des Volkes in diesem furchtbaren Kriege ist für das Klassenwahlrecht kein Raum mehr. Der Gesetzentwurf wird ferner die unmittelbare und geheime Wahl der Abgeordneten vorzusehen haben.“
Woher der demokratische Impuls der Majestät? Nach Hungerwinter und der Nachricht über eine Revolution in Russland wächst auch die Unruhe in Preußen und dem gesamten Deutschen Reich spürbar. Die konservative Regierung fürchtet, dass demnächst starke Streikbewegungen einsetzen – für ein Ende des Krieges und eine demokratischere Verfassung. So kommt der Kaiser hier auf Anraten des Kanzlers dem Volk auf halbem Weg entgegen. Tatsächlich wird der Streik vor allem in Berlin aufflammen, am 16. April, nach der Verhaftung des Gewerkschafters Richard Müller. Die Reichsregierung droht mit der Verhängung des Kriegsrechts, die Vertreterkonferenz der Gewerkschaften knickt ein, der Streik, an dem 300 000 Arbeiter aus 319 Betrieben teilgenommen haben, endet nicht nur erfolglos – ein Teil der Betriebe wird unter militärische Leitung gestellt. Auch gestreikt wurde in Leipzig, Magdeburg, Kiel, Hamburg, Bremen, Nürnberg. Und ebenfalls mit nur der einen Folge: Bethmann Hollweg erklärt, dass in Zukunft jeder Ausstand in kriegswichtigen Industriebetrieben als Sabotageakt angesehen werde. Generalfeldmarschall Hindenburg schreibt unterstreichend: „Jede noch so unbedeutende Arbeitseinstellung bedeutet eine unverantwortliche Schwächung unserer Verteidigungskraft und stellt sich mir dar als eine unsühnbare Schuld am Heere und besonders an dem Mann im Schützengraben, der dafür bluten muss.“Die Versöhnlichkeit der Osterbotschaft war schnell dahin.