Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Blaue Reiter galoppierte ihm davon
Malerei Adolf Erbslöh war ein starker Maler, doch als Kollegen wie Marc und Kandinsky in die Abstraktion aufbrachen, blieb er zurück. Trotzdem wurde er zu einer Schlüsselfigur der Moderne. Zwei Ausstellungen erinnern an den Künstler
Murnau Er war ein sehr guter Maler. Aber er war nicht radikal, nicht kühn, nicht visionär genug. Die Gegenständlichkeit hinter sich zu lassen, davor scheute er zurück. Sein Beitrag als Wegbereiter der Avantgarde war gleichwohl entscheidend, auch wenn die Kunstrevolution dann vor seinen Augen stattfand, ohne ihn, den guten Geist und umtriebigen Mitbegründer der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.). Adolf Erbslöh blieb zurück, als seine weltberühmt werdenden Kollegen Wassily Kandinsky und Franz Marc mit dem Blauen Reiter ins Abenteuer der Abstraktion davongaloppierten.
Geniekult passte nicht zu Erbslöh, diesem zur Freundschaft und Verlässlichkeit berufenen, uneitlen Mann, der eine stille Schlüsselfigur der Moderne war und doch kaum bekannt ist. Erbslöh starb 1947 im Alter von 66 Jahren in Oberbayern. Er war ein uneigennütziger Ermöglicher, ein „Maler, Freund und Förderer“, wie die aktuelle Ausstellung
Seine Bildmotive fand er auch im Ries
im Schlossmuseum Murnau betitelt ist, die den engagierten Künstler und seine Rolle vor allem im aufregenden Münchner Kunstgeschehen vor dem Ersten Weltkrieg herausstellt.
Der 1881 in New York geborene Kaufmannssohn, dessen expressionistische, später auch kubistisch beeinflussten farbstarken Gemälde sich zu nicht geringem Anteil in Privatsammlungen befinden, wird um seinen 70. Todestag am 2. Mai nicht nur gewürdigt durch Ausstellungen in Murnau und seiner Heimatstadt Wuppertal. In dem nach fünf Jahren Vorarbeit 2016 erschienenen Werkverzeichnis seiner Gemälde heißt es, es sei nun an der Zeit, Adolf Erbslöh „seine gebührende Rolle im Kunstgeschehen seiner Zeit zurückzugeben“. Das Werkverzeichnis beinhaltet auch zahlreiche Landschaftsgemälde, die im nördlichen Schwaben, in Harburg im Ries entstanden, wo sich der Künstler oft aufhielt.
Adolf Erbslöh, der zunächst an der Kunstakademie Karlsruhe stu- hatte – gemeinsam mit Alexander Kanoldt, später herausragender Vertreter der Neuen Sachlichkeit und ein wichtiger Künstlerfreund –, setzte seine Ausbildung 1904 in München fort, wo er 1907 eine Tochter aus wohlhabendem Haus heiratete. Erbslöh fand Kontakt zum Münchner Kreis um Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Alexej Jawlensky, die neben anderen wie Alfred Kubin, Karl Hofer und Alexander Kanoldt 1909 zu Gründungsmitgliedern der Neuen Künstlervereinigung München wurden.
Erbslöh ist von Anfang an dabei – zunächst als Schriftführer und später als Vorsitzender ist er eine einflussreiche Figur in dem Kreis. Er fährt nach Paris, knüpft Kontakte zu Picasso und anderen. Er organisiert Ausstellungsmöglichkeiten im Rheinland und verschafft den Künstlern der N.K.V.M. überregionales Echo und Beachtung. „Die pompöse Wohnung des Herrn Erbslöh, der sehr reich zu sein scheint“, wie ein Künstler berichtet, wird zu einem beliebten Treffpunkt der Maler in München. Erbslöh kauft den Kollegen auch Bilder ab – durchaus eine Form des Mäzenatentums. Der Schriftdiert steller Stan Nadolny, dessen Familie eng mit Erbslöh befreundet war, schreibt in einem aktuellen Beitrag zum Werkverzeichnis: „Er muss ein freier Mensch gewesen sein, furchtlos und wohlwollend, dazu mit der Gabe der Selbstvergessenheit und einer großen Bereitschaft, sich für andere einzusetzen.“
Besonders intensiv entwickelt sich Erbslöhs Freundschaft zu dem 17 Jahre älteren Jawlensky, den Erbslöh bewundert und dem er jahrzehntelang bis in den Tod eng verbunden bleibt. 1936 schreibt Erbslöh in einem Brief an Jawlensky: „Du weißt, dass Du mir ein innig geliebter Freund und Bruder bist und wie von Herzen ich Dich verehre als Mensch und Künstler. Du warst immer mein eigenes künstlerisches Gewissen und wie oft frage ich mich heute noch, wenn ich eine Arbeit fertig habe: Was würde mein geliebter Jawlensky dazu sagen?“
Erbslöh hielt 1941 auch die Grabrede auf Jawlensky. Zu dieser Zeit lebte der Künstler, dessen Werke im Dritten Reich als „entartet“gebrandmarkt waren, schon lange zurückgezogen in Irschenhausen südlich von München, wo er sich um seine Familie kümmerte.
Was er nach dem Ersten Weltkrieg malte, waren Porträts, Akte, Stillleben und Landschaften – eher akademisch konventionell und im Schatten der Moderne. An einer entscheidenden Weggabelung der Kunst, als Kandisky und Marc sich 1912 mit dem Blauen Reiter programmatisch lossagten von der gegenständlichen Malerei und damit auch von der neuen Künstlervereinigung München, war Erbslöh stehengeblieben. Der Kritiker Otto Fischer schrieb damals: „Von allen Mitgliedern der neuen Künstlervereinigung schien es, als ob er (Erbslöh) sich am langsamsten, am vorsichtigsten entwickelte. Von Anfang an ward zu seinen Bildern der Zugang dem Unvorbereiteten besonders leicht.“Wie Brigitte Salmen und Felix Billeter als Herausgeber des Werkverzeichnisses schreiben, teilte Adolf Erbslöh nach 1918 das Schicksal vieler Münchner Maler, die vom Weltkrieg desillusioniert nach Hause kamen „und in der Kunststadt nicht mehr richtig Fuß fassen und Anerkennung finden konnten“.
Die Rolle des jungen Künstlers allerdings war eine ganz andere. Die Retrospektive, die ihm das Wuppertaler Von-der-heydt-museum nun ausrichtet, drückt das mit dem Titel „Avantgardemacher“aus. Nie waren die Gelegenheiten zur Wiederentdeckung dieses ungewöhnlichen Künstlers vielfältiger und günstiger als in diesem Frühjahr 2017.
Ausstellungen Im Schloßmuseum Murnau bis 2. Juli (www.schlossmu seum murnau.de), im Von Der Heydt Museum Wuppertal bis 20. August (www.von der heydt museum.de). Das Werkverzeichnis der Gemälde von Adolf Erbslöh ist im Hirmer Verlag, Mün chen, erschienen. 260 Seiten, 500 Ab bildungen, 49,90 Euro.