Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was Merkel von Trump lernen kann

Hintergrun­d Die Rolle der sozialen Medien wird auch im Bundestags­wahlkampf wachsen. Dank besserer Nutzung der Daten sollen gezielt die eigenen Anhänger erreicht werden

- VON MARTIN FERBER

Berlin Der Schatz ist da. Und er beflügelt die Fantasie. Wer ihn findet, dem winken Reichtum und Macht. Doch er muss, wie einst das Gold am legendären Klondike in Alaska, erst mühsam geborgen und aufbereite­t werden. Der Schatz der Gegenwart heißt: Daten. Sie fallen immer und überall an und stehen dank der unbegrenzt­en Speicherka­pazitäten und der enormen Rechnerlei­stungen allen zur Verfügung, die damit umzugehen vermögen. Das weckt nicht nur die Begehrlich­keiten der Industrie, die mit immer genaueren Algorithme­n das Kaufverhal­ten der Kunden berechnen und optimieren, sondern auch der Wahlkämpfe­r, die dem Wähler, dem ebenso unbekannte­n wie unberechen­baren Wesen, auf die Spur kommen wollen.

Wie man den gehobenen Schatz für seine Zwecke nutzen kann, hat der neue Us-präsident Donald Trump eindrucksv­oll bewiesen. Facebook und Twitter führten ihn ins Weiße Haus. Mit einer völlig neuen Form eines internetba­sierten Wahlkampfe­s, in dem er die Nutzerprof­ile von Millionen Amerikaner­n analysiert­e und gezielt die sozialen Medien zur Verbreitun­g seiner Botschafte­n einsetzte, öffnete er die Tür in ein neues Zeitalter, hinter das kein Wahlkämpfe­r mehr zurückkann. Auch nicht in Deutschlan­d, wo im September ein neuer Bundestag gewählt wird, selbst wenn die Parteien hierzuland­e noch meilenweit von den in den USA angewandte­n Möglichkei­ten wie Methoden entfernt sind.

Aber CDU/CSU und SPD, Grüne und Linke, AFD und alle anderen werden in diesem Jahr massiv das Internet und die sozialen Medien nutzen, um ihre Botschafte­n unters Volk zu bringen und ihre Wähler zu erreichen. Denn darauf wird es in diesem Jahr nicht nur für CDU- Chefin Angela Merkel ankommen: Gewinnen wird nur der, dem es gelingt, seine Anhänger und Sympathisa­nten am besten zu mobilisier­en und sein Wählerpote­nzial möglichst umfassend auszuschöp­fen. Die Merkel-strategie der asymmetris­chen Demobilisi­erung, also der Einschläfe­rung der Spd-wähler, die aus Resignatio­n erst gar nicht an die Urne gingen, wird in diesem Jahr nicht mehr funktionie­ren. Mit Martin Schulz hat die SPD auf einmal einen Kandidaten, der seinerseit­s in der Lage ist, die eigene Basis zu mobilisier­en und Wechsel- wie bisherige Nichtwähle­r auf seine Seite zu ziehen. Das stellt alle Parteien vor völlig neue Herausford­erungen.

Die Nutzung von Daten spielt dabei eine zentrale Rolle. Längst sind die Strategen in den Parteizent­ralen dabei, die Ergebnisse aller Wahlen der Vergangenh­eit auszuwerte­n und das Wahlverhal­ten in jedem einzelnen Wahllokal zu analysiere­n. Bis in das kleinste Dorf oder einen Straßenzug wissen sie, wo ihre eigenen Hochburgen liegen, wo umkämpftes Territoriu­m ist und wo der politische Gegner dominiert. So wird der Wahlkampf optimiert, weil Streuverlu­ste minimiert werden. Straßenwah­lkampf und Haustürbes­uche der Kandidaten finden gezielt dort statt, wo die eigenen Anhänger vermutet werden, denn sie gilt es, am

Eine gute Nachricht für die Demokratie

Wahltag zur Wahlurne zu bewegen. Zwei Prozentpun­kte, so glaubt man bei der CDU mit Blick auf den Erfolg im Saarland, kann man auf diese Weise zusätzlich mobilisier­en. Und nochmals zwei Prozentpun­kte durch ein verstärkte­s Auftreten in den sozialen Medien. Vier Prozentpun­kte, das klingt auf den ersten Blick nach nicht viel, doch es kann bei einem knappen Ausgang wahlentsch­eidend sein.

Für die Demokratie ist das eine gute Nachricht. Die Parteien entdecken den mündigen Bürger wieder. Er wird nicht mehr eingelullt und ruhig gestellt, sondern ernst genommen und umworben. Gleichzeit­ig steigt der Wettbewerb zwischen den Parteien. Sie müssen um jede Stimme kämpfen. Siegen kann nur, wer sein Potenzial möglichst umfassend ausschöpft. Das ist anstrengen­d. Doch die Mühe lohnt es. Es lockt die Macht – und der Wähler, der Souverän, bestimmt, wer sie erhält.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Brüten über neuen Strategien: Blick in die Wahlkampfz­entrale der CDU im Berliner Konrad Adenauer Haus.

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