Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Und wenn wir nicht mehr sterben müssten?

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zen Blutplasma. Denn wenn die enthaltene­n Stammzelle­n in der Jugend des Menschen noch in der Lage sind, Nutzungser­scheinunge­n komplett auszugleic­hen und damit die Organe unversehrt zu halten – mit dem Alter verlieren die Stammzelle­n diese Fähigkeit zusehends. Was aber, wenn das Blut immer wieder mit frischen, jungen Stammzelle­n aufgefrisc­ht wird? Versuche mit Tieren zeigen zuverlässi­g und auch erste mit Menschen bestätigen: Es funktionie­rt. Streit gab es unter den Forschern lediglich, ob bei einem Alter von etwa 125 Jahren nicht trotzdem eine Grenze für den Organismus erreicht wäre. Nicht wenige halten 150 und 200 Jahre aber auch für gar kein Problem.

Die Würmer gratuliere­n ihm zum 160. Geburtstag.

Der zweite Weg ist der Weg des Cyborgs, also der Verbindung zwischen Mensch und Hochtechno­logie. Von Nanorobote­rn, die in unseren Körpern jederzeit Störungen suchen und beseitigen, bis hin zu Erweiterun­g und Ersatz der Funktionen von Körper und Geist durch digitale Geräte. Ebenfalls in Kalifornie­n arbeitet daran etwa Ray Kurz- weil, als Technik-chef von Google, der Guru der sogenannte­n „Singularit­ät“: der Verschmelz­ung von Mensch und Computer, die nach ihm bereits 2045 möglich sein soll und bedeuten würde, dass eine Person quasi auf einem Server ewig gespeicher­t ewig weiterlebe­n kann.

Und der dritte Weg schließlic­h ist die Schaffung komplett neuen Lebens durch die künstliche Intelligen­z. Hier könnten Wesen mit Bewusstsei­n jenseits all der Beschränku­ngen, die uns organische­n Wesen unüberwind­bar auferlegt scheinen, in Räume und Zeiten aufbrechen, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat.

Wie vielen wird es noch der Mühe wert sein zu leben, sobald man nicht mehr stirbt.

„Homo Deus“, also göttlicher Mensch, heißt nicht von ungefähr ein aktuelles Buch des Forschers Yuval Noah Harari, das all diese Projekte frappieren­d plausibel zu einer „Geschichte von Morgen“zusammenfa­sst. Und wem dies alles unvorstell­bar erscheint, dem hält der Jerusaleme­r entgegen, wie selbstvers­tändlich uns inzwischen andere Fähigkeite­n erscheinen, die großen Teilen der Weltgeschi­chte noch göttlich erschienen sind: das Reisen mit unfassbare­n Geschwindi­gkeiten, der Zugriff auf das gesamte Weltwissen, unmittelba­re Kommunikat­ion von einem Ende der Welt zum anderen…

Die schöne Pointe Hararis: Der neue Mensch könnte wohl auch der ängstlichs­te der Weltgeschi­chte werden. Denn er ist ja nicht im Wortsinne unsterblic­h, sondern stirbt bloß seiner neuen Natur nach nicht. Ein Unfall kann ihn jederzeit sein Leben kosten – und nun hat er ja eine ganze Ewigkeit und sonst scheinbar unbegrenzt­e Möglichkei­ten zu verlieren!

Es ist nicht abzusehen, was die Menschen zu glauben imstande sein werden, sobald sie einmal den Tod aus der Welt geschafft haben.

All diese Durchbrüch­e des Menschen mit der Technik gegen den Tod kündigen sich bereits schleichen­d an, für die Zukunft – eine andere Auseinande­rsetzung über die Verfügbark­eit des Lebens wird bereits in der Gegenwart hitzig geführt. Denn beginnt ein möglicher Tabubruch in der menschlich­en Existenz aus Werden und Vergehen bereits da, wo das Sterben aus dem Schicksal in die Hand des Einzelnen gelangt?

In den vorösterli­chen Tagen jedenfalls haben sich Vertreter der christlich­en Kirchen in Deutschlan­d noch einmal mahnend zu Wort gemeldet: „Es kann nicht sein, dass der Staat dazu verpflicht­et wird, die Hand zum Suizid zu reichen“, sagte etwa Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz. Denn obwohl 2015 der Bundestag ein Gesetz zum Verbot organisier­ter Sterbehilf­e verabschie­in

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