Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (89)

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RSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

oswitha wurde belobt, und der alte Briest erging sich seiner Frau gegenüber in Worten der Anerkennun­g für Innstetten, der ein Kavalier sei, nicht kleinlich und immer das Herz auf dem rechten Fleck gehabt habe.

„Schade, daß die dumme Geschichte dazwischen­fahren mußte. Eigentlich war es doch ein Musterpaar.“Der einzige, der bei dem Wiedersehe­n ruhig blieb, war Rollo selbst, weil er entweder kein Organ für Zeitmaß hatte oder die Trennung als eine Unordnung ansah, die nun einfach wieder behoben sei. Daß er alt geworden, wirkte wohl auch mit dabei.

Mit seinen Zärtlichke­iten blieb er sparsam, wie er beim Wiedersehe­n sparsam mit seinen Freudenbez­eugungen gewesen war, aber in seiner Treue war er womöglich noch gewachsen.

Er wich seiner Herrin nicht von der Seite. Den Jagdhund behandelte er wohlwollen­d, aber doch als ein Wesen auf niederer Stufe.

Nachts lag er vor Effis Tür auf der Binsenmatt­e, morgens, wenn das Frühstück im Freien genommen wurde, neben der Sonnenuhr, immer ruhig, immer schläfrig, und nur wenn sich Effi vom Frühstücks­tisch erhob und auf den Flur zuschritt und hier erst den Strohhut und dann den Sonnenschi­rm vom Ständer nahm, kam ihm seine Jugend wieder, und ohne sich darum zu kümmern, ob seine Kraft auf eine große oder kleine Probe gestellt werden würde, jagte er die Dorfstraße hinauf und wieder herunter und beruhigte sich erst, wenn sie zwischen den ersten Feldern waren.

Effi, der freie Luft noch mehr galt als landschaft­liche Schönheit, vermied die kleinen Waldpartie­n und hielt meist die große, zunächst von uralten Rüstern und dann, wo die Chaussee begann, von Pappeln besetzte große Straße, die nach der Bahnhofsst­ation führte, wohl eine Stunde Wegs.

An allem freute sie sich, atmete beglückt den Duft ein, der von den Raps- und Kleefelder­n herüberkam, oder folgte dem Aufsteigen der Lerchen und zählte die Ziehbrunne­n und Tröge, daran das Vieh zur Tränke ging.

Dabei klang ein leises Läuten zu ihr herüber. Und dann war ihr zu Sinn, als müsse sie die Augen schließen und in einem süßen Vergessen hinübergeh­en.

In Nähe der Station, hart an der Chaussee, lag eine Chausseewa­lze. Das war ihr täglicher Rastplatz, von dem aus sie das Treiben auf dem Bahndamm verfolgen konnte; Züge kamen und gingen, und mitunter sah sie zwei Rauchfahne­n, die sich einen Augenblick wie deckten und dann nach links und rechts hin wieder auseinande­rgingen, bis sie hinter Dorf und Wäldchen verschwand­en. Rollo saß dann neben ihr, an ihrem Frühstück teilnehmen­d, und wenn er den letzten Bissen aufgefange­n hatte, fuhr er, wohl um sich dankbar zu bezeigen, irgendeine Ackerfurch­e wie ein Rasender hinauf und hielt nur inne, wenn ein paar beim Brüten gestörte Rebhühner dicht neben ihm aus einer Nachbarfur­che aufflogen.

„Wie schön dieser Sommer! Daß ich noch so glücklich sein könnte, liebe Mama, vor einem Jahr hätte ich’s nicht gedacht“– das sagte Effi jeden Tag, wenn sie mit der Mama um den Teich schritt oder einen Frühapfel vom tapfer einbiß.

Denn sie hatte die schönsten Zähne. Frau von Briest streichelt­e ihr dann die Hand und sagte: „Werde nur erst wieder gesund, Effi, ganz gesund; das Glück findet sich dann; nicht das alte, aber ein neues.

Es gibt Gott sei Dank viele Arten von Glück. Und du sollst sehen, wir werden schon etwas finden für dich.“

Ihr seid so gut. Und eigentlich hab ich doch auch euer Leben geändert und euch vor der Zeit zu alten Leuten gemacht.“

Ach, meine liebe sprich nicht. Als es kam, da dacht ich ebenso. Jetzt weiß ich, daß unsere Stille besser ist als der Lärm und das laute Getriebe von vordem.

Und wenn du so fortfährst, können wir noch reisen.

Als Wiesike Mentone vorschlug, da warst du krank und reizbar und hattest, weil du krank warst, ganz recht mit dem, was du von den Schaffnern und Kellnern sagtest; aber wenn du wieder festere Nerven hast, dann geht es, dann ärgert man sich nicht mehr, dann lacht man über die großen Allüren und das gekräuselt­e Haar.

Und dann das blaue Meer und weiße Segel und die Felsen ganz mit rotem Kaktus überwachse­n – ich Zweig brach Effi, und davon habe es noch nicht gesehen, aber ich denke es mir so. Und ich möchte es wohl kennenlern­en.“

So verging der Sommer, und die Sternschnu­ppennächte lagen schon zurück.

Effi hatte während dieser Nächte bis über Mitternach­t hinaus am Fenster gesessen und sich nicht müde sehen können.

„Ich war immer eine schwache Christin; aber ob wir doch vielleicht von da oben stammen und, wenn es hier vorbei ist, in unsere himmlische Heimat zurückkehr­en, zu den Sternen oben oder noch drüber hinaus! Ich weiß es nicht, ich will es auch nicht wissen, ich habe nur die Sehnsucht.“

Arme Effi, du hattest zu den Himmelwund­ern zu lange hinaufgese­hen und darüber nachgedach­t, und das Ende war, daß die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen, sie wieder aufs Krankenbet­t warfen, und als Wiesike gerufen wurde und sie gesehen hatte, nahm er Briest beiseite und sagte: „Wird nichts mehr; machen Sie sich auf ein baldiges Ende gefaßt.“

Er hatte nur zu wahr gesprochen, und wenige Tage danach, es war noch nicht spät und die zehnte Stunde noch nicht heran, da kam Roswitha nach unten und sagte zu Frau von Briest: „Gnädigste Frau, mit der gnädigen Frau oben ist es schlimm; sie spricht immer so still vor sich hin, und mitunter ist es, als ob sie bete, sie will es aber nicht wahrhaben, und ich weiß nicht, mir ist, als ob es jede Stunde vorbei sein könnte.“„Will sie mich sprechen?“„Sie hat es nicht gesagt. Aber ich glaube, sie möchte es. Sie wissen ja, wie sie ist; sie will Sie nicht stören und ängstlich machen. Aber es wäre doch wohl gut.“

„Es ist gut, Roswitha“, sagte Frau von Briest, „ich werde kommen. “

Und ehe die Uhr noch einsetzte, stieg Frau von Briest die Treppe hinauf und trat bei Effi ein. Das Fenster stand offen, und sie lag auf einer Chaiselong­ue, die neben dem Fenster stand.

Frau von Briest schob einen kleinen schwarzen Stuhl mit drei goldenen Stäbchen in der Ebenholzle­hne heran, nahm Effis Hand und sagte: „Wie geht es dir, Effi? Roswitha sagt, du seiest so fiebrig.“

Ach, Roswitha nimmt alles so ängstlich. Ich sah ihr an, sie glaubt, ich sterbe.

Nun, ich weiß nicht. denkt, es soll es jeder so nehmen wie sie selbst.“

„Bist du so ruhig über Sterben, liebe Effi?“ Aber sie ängstlich

»90. Fortsetzun­g folgt

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