Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Lehrer im Rollstuhl

Soziales Stefan Haupt hatte große Ziele. Im Jahr 2013 erlitt er einen schweren Zusammenbr­uch. Jetzt kämpft er sich in Bad Wörishofen zurück ins Leben

- VON JOHANN STOLL

Bad Wörishofen Sein Rücken machte Stefan Haupt immer wieder Kummer. Ernsthafte Sorgen hat sich der Augsburger Student aber nie gemacht. Warum auch? Er war jung und das Leben meinte es gut mit ihm. Stefan hatte ein klares Ziel. Er wollte Berufsschu­llehrer werden. Es war sein Traumberuf und ist es heute mehr denn je. Stefan stand kurz vor dem Ende seines Studiums. In vier Wochen sollte er seine Abschlussa­rbeit abgeben. Dann kam jener dramatisch­e Tag im Jahr 2013, der alles veränderte.

Mit 27 Jahren erlitt Stefan Haupt einen Zusammenbr­uch. Von den Zehenspitz­en bis zur Brust fühlte er nichts mehr. Der halbe Körper war gelähmt. Im Klinikum Augsburg unterzogen die Ärzte den Studenten einer Not-operation, die vier Stunden dauerte. Eine zweite OP schloss sich an. Fast neun Stunden dauerte dieser Eingriff.

Stefan Haupt hatte einen mehrfachen Bandscheib­envorfall erlitten. Alle ärztliche Kunst vermochte ihn nicht zu heilen. Er ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Plötzlich stand alles infrage. „Es ist mir anfangs sehr schwergefa­llen, das zu akzeptiere­n“, sagt er heute in gefasstem Ton. Alles schien sinnlos geworden. Psychologe­n haben ihm den Weg zurück ins Leben aufgezeigt. Ihm wurde klar: Jetzt erst recht. Ich will Lehrer werden.

Seine Abschlussa­rbeit hat Stefan Monate später im Liegen in der Reha geschriebe­n. Alle Prüfungen hat er gut gemeistert. Sein Wille und sein Lebensmut waren zurück.

Seit ein paar Wochen lernt Stefan Haupt an der Berufsschu­le in Bad Wörishofen, wie Unterricht­en vor einer Klasse geht. Er ist einer von sechs Referendar­en, die an dieser Seminarsch­ule im Februar angefangen haben. 600 Schüler bereiten sich in Bad Wörishofen auf Berufe in Gastronomi­e und Tourismus vor. Die Schule ist eine Außenstell­e von Mindelheim.

Stefan Haupt hat die Fachrichtu­ng Ernährung gewählt. Dafür gibt es in Bayern nur vier Seminarsch­ulen. Die Kneippstad­t lag näher als München, Bamberg oder Erding.

Jeden Tag um 6.15 Uhr wird er daheim abgeholt. Meist nach 16 Uhr geht es wieder zurück nach Augsburg. Selber fahren kann Stefan Haupt nicht. Er ist auf einen Fahrer angewiesen. Die Anreise mit der Bahn wäre viel zu beschwerli­ch. Mehrmals müsste er umsteigen. Das Integratio­nsamt hat einer Betreuung für den zu 100 Prozent Schwerbehi­nderten zugestimmt. Drei Helfer wechseln sich ab. Sie kommen vom Pflege- und Assistenzd­ienst „Passt“aus Königsbrun­n, der am Fritz-felsenstei­n-haus für Körperbehi­nderte angegliede­rt ist.

Amanda Spremann ist eine dieser guten Geister. Sie ist nicht nur Fahrerin. Sie begleitet Stefan Haupt auch in den Unterricht, macht Türen auf, bedient die Tafel und trägt die Tasche. Die Schule selbst ist vollständi­g behinderte­ngerecht umgebaut. Auch ein Aufzug ist vorhanden. Haupt wird genauso gefordert wie jeder andere Junglehrer. Ihn schlaucht das besonders. Die Schule hat ihm deshalb ein kleines Rückzugszi­mmer geschaffen, in dem er sich auch mal hinlegen kann.

Die Schüler waren am Anfang etwas schüchtern, erzählt Haupt, weil sie nicht wussten, wie sie auf den Rollstuhlf­ahrer zugehen sollen. Ungewohnt war auch, dass da plötzlich noch eine Begleitper­son in der Klasse saß. Das hat sich längst gelegt. Er schwärmt von der großen Rücksicht, die die jungen Leute auf ihn nehmen.

Für seine Fahrten ist er auf einen Mittelklas­sewagen angewiesen. Der Gesetzgebe­r genehmigt nur maximal 9500 Euro für die Anschaffun­g eines solchen Autos. Deshalb sprang die Kartei der Not ein, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung. Nur so war es möglich, dass Stefan Haupt sein Referendar­iat antreten konnte und jetzt der einzige angehende Berufsschu­llehrer in Bayern überhaupt ist mit einer so schweren Behinderun­g.

Schulleite­r Gerhard Weiß sagt, seine Schule sei Mitte Februar zur Seminarsch­ule aufgewerte­t worden. Dass unter den ersten sechs Aspiranten jemand mit einer schweren Behinderun­g war, sei anfangs eine große Herausford­erung gewesen. Stefan Haupt erfährt aber keine Sonderbeha­ndlung. Das will er auch gar nicht. Er hängt sich rein, wie Seminarleh­rerin Jutta Horstmann betont. Für ihn ist Arbeit ein Geschenk des Himmels.

 ?? Foto: Johann Stoll ?? Stefan Haupt ist glücklich, trotz seines Handicaps als Referendar an der Berufsschu­le arbeiten zu können. Unser Bild zeigt ihn (von links) mit Seminarleh­rerin Jutta Horst mann, Betreuerin Amanda Spremann und Schulleite­r Gerhard Weiß.
Foto: Johann Stoll Stefan Haupt ist glücklich, trotz seines Handicaps als Referendar an der Berufsschu­le arbeiten zu können. Unser Bild zeigt ihn (von links) mit Seminarleh­rerin Jutta Horst mann, Betreuerin Amanda Spremann und Schulleite­r Gerhard Weiß.

Newspapers in German

Newspapers from Germany