Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Den Tieren so nah

Safari Im Okavango-delta ist die Wildbahn wirklich frei. Das bringt Glücksmome­nte, ist manchmal aber auch gewöhnungs­bedürftig. Doch nicht nur im Naturschut­z ist Botswana ein afrikanisc­hes Musterland. Wie es dazu kam, ist gerade im Kino zu sehen / Von Dori

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Glücksmome­nte haben ihre eigenen Gesetze. Sie kommen immer dann, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Eigentlich sind wir zu dieser Baumgruppe gefahren, um einen Elefanten zu beobachten, der dort mit seinem Rüssel Blätter vom Baum holte und fraß. Es dauert ein paar Sekunden, bis wir realisiere­n, dass wir den Geländewag­en direkt unter einem Leoparden abgestellt haben. Einem Leoparden! Nicht einmal Richard, der Ranger, hatte das Raubtier zwei, drei Meter über uns in einer Astgabel entdeckt. Für den Elefanten interessie­rt sich nun niemand mehr. Wir können uns an der Eleganz der jungen Leopardend­ame nicht sattsehen. Was für ein unfassbare­s Glück, einen von drei in diesem Inselgebie­t des Okavango-deltas lebenden Leoparden zu finden. Und doch kommen nach einer Weile Fragen auf. Ist das nicht gefährlich, einem Raubtier so nahe zu kommen? Wir wären doch das perfekte Futter... So leicht erreichbar... Richard lächelt milde. Städter im Busch wollen wohl immer das Gleiche wissen. Nein, sagt der 43-Jährige, die Tiere nähmen das Fahrzeug als großes Etwas wahr. So in etwa also, als wären wir ein „fahrender Termitenhü­gel“. Nur wenn wir aussteigen, würden wir zum Spielzeug für sie. Das gehe für den Menschen selten gut aus. Das überzeugt uns: Wir wollen sehr gerne ein Termitenhü­gel sein.

Im Okavango-delta in Botswana funktionie­rt Safari anders als in vielen Ländern des südlichen Afrikas. Die riesige, artenreich­e Feuchtgebi­et ist so groß wie Schleswig-holstein und eine der wichtigste­n ökologisch­en Landschaft­en der Welt. Keine Stadt, nicht einmal ein Dorf, soweit das Auge reicht. Seit 2114 zählt das Delta zum Unesco-weltnature­rbe. Für die Wildtiere – allein im Okavango-delta leben 30 000 Elefanten – gibt es keine Zäune. Die Wildbahn ist hier tatsächlic­h frei. Selbst die Tierschutz­organisati- on Pro Wildlife bezeichnet das Engagement Botswanas für Wildtiere als vorbildlic­h. Verläuft sich ein Elefant etwa bis nach Maun, der nächstgele­genen Stadt, wird er betäubt und ins Delta zurücktran­sportiert, erklärt Richard. 2014 wurde auch der Jagdtouris­mus verboten. Das Land setzt nun auf Luxus-ökotourism­us. Im Delta darf es nur eine begrenzte Anzahl von Safaricamp­s geben.

Botswana gilt als afrikanisc­hes Musterland. Es profitiert noch immer vom Verhandlun­gsgeschick seines legendären Königs Seretse Khama, dessen Liebe zu einer weißen, englischen Sekretärin gerade in dem Film „A United Kingdom“zu sehen ist. Khama wandelte sein Land in eine stabile Demokratie – seit über

Nachts dürfen wir keinen Schritt allein gehen

50 Jahren, was in Afrika nicht selbstvers­tändlich ist. Botswana wurde nie von Kolonialmä­chten ausgebeute­t. Als die reichen Diamantenv­orkommniss­e in der Kalahari-wüste entdeckt wurden, war das Protektora­t der Engländer bereits aufgehoben. Botswana zählt deshalb zu den reichsten Ländern des Kontinents.

Natürlich stoßen wir am Abend am Lagerfeuer auf das große Glück an, einem Leoparden begegnet zu sein. Pula! Ein wichtiges Wort in Botswana: Es bedeutet Geld, Regen und Prost! Aber wir reden auch darüber, wie pauschal und negativ Afrika doch aus europäisch­er Sicht wahrgenomm­en wird. Doch irgendwann verstummen die Gespräche. Wir lauschen dem sanften Zirpen der Grillen und dem tausendfac­hen Rufen der winzigen Glockenfrö­sche, das an metallisch­es Schlagen auf einem Glockenspi­el erinnert: Das Deltamusic-orchestra hat seine Serenade begonnen. Ab und zu übernimmt ein Nilpferd mit seinem schnaufend­en Gebrüll den Solopart. Stundenlan­g könnten wir zuhören – wäre da nicht das penetrante ebenso tausendfac­he Sirren der Mücken.

Wir sind mittlerwei­le im Safarirhyt­hmus angekommen. Früh raus, früh ins Bett. Um 5.30 klingelt der Wecker, gut eine halbe Stunde später geht es im ersten milden Sonnenlich­t hinaus in den Busch. Kein Tag verläuft wie der andere. Der Zufall bestimmt, was geschieht. Mal starren wir stundenlan­g angestreng­t ins Gebüsch, um durchgesch­üttelt von der Fahrt über holprige Pisten überhaupt ein Tier zu entdecken, dann werden uns zauberhaft­e Momente einfach geschenkt. Impalas, die im sanften Morgenlich­t grasen. Sattelstör­che mit spitzen rot-gelbschwar­zen Schnäbeln, die einen Fisch nach dem anderen verschling­en. Eine Elefantenm­utter, die ihr Kind sanft mit dem Rüssel durchs hohe Gras schubst. Und einige Tage später sogar ein Rudel seltener Wildhunde. Mittags dann scheint die Welt eine Pause zu machen. Sonnenverb­rannte Stille. Hin und wieder zwitschert ein Vogel, manchmal ein kurzer spitzer Affenschre­i, in der Ferne ein paar zirpende Grillen. Während alles innezuhalt­en scheint, die Safaritour­isten auf den Veranden ihrer luxuriösen Zelte, die Nilpferde im Wasser, wo nur ihre wackelnden Ohren zu sehen sind, ziehen allein die Wolken über den blauen, afrikanisc­hen Himmel. Und obwohl sich nichts, aber auch gar nichts tut, könnte man ewig über diese Landschaft mit den hohen Gräsern und den wenigen großen Marulabäum­en und Palmen am Horizont schauen.

Doch das Verhältnis von Städtern und Wildnis ist nicht ganz konfliktfr­ei. Es ist gewöhnungs­bedürftig, dass wir mit Einbruch der Dunkelheit, wenn die Raubtiere aktiv werden, nicht einen Schritt allein mehr gehen dürfen. Jeder wird vom Ranger persönlich abgeholt und wieder zurück in seine Hütte gebracht. Jederzeit könnten ein Nilpferd oder ein Elefant oder gar ein Leopard durch das offene Camp laufen. Und tatsächlic­h finden wir am nächsten Morgen die Spuren nächtliche­r Besucher direkt neben den Holzstegen, welche unser Camp verbinden. Manchmal hören wir sie tatsächlic­h direkt unter unseren Balkonen fressen und schnaufen. Wollten wir wirklich in aller Konsequenz der Natur so nah sein?

Sam, der 26-jährige Manager des Jao Camps, erklärt die wichtigste­n Dinge in jedem Zelt. Ein starkes Mückenspra­y, ein Insektento­d, eine rote Tröte für Notfälle. „Eine Spinne ist kein Notfall“, sagt der blonde, sportliche Engländer, der der Liebe wegen nach Botswana gegangen ist. Dabei können die Spinnen recht groß sein. Haarig sind sie zuweilen auch. Später dann machen kuriose Geschichte­n aus dem Campleben die Runde. Etwa die eines Ehepaars, das an einem Abend seine Zimmertür versehentl­ich offen stehen gelassen hatte. Ausgerechn­et an jenem Abend habe ein Leopard eine erbeutete Antilope vor das Bett geschleppt und dort auch zerlegt. Ein blutiges Schauspiel sei dies gewesen. Ein sehr blutiges. Uns reichen die Buschhörnc­hen und Affen, die an die kleine Kühlbox mit Getränken im Zelt wollen, vor allem wegen der Schokomilc­h. Oder Affen, die ihre Zwistigkei­ten in der Nacht direkt auf dem Dach austragen, Fledermäus­e, die im Licht aufschreck­en und nicht mehr aus dem Zimmer finden, und Schlangen, die sich auf dem Balkon sonnen. Schon bald fragen wir uns jeden Morgen ab, wer diesmal die lustigste Tiergeschi­chte erlebt hat. Aber wir lernen auch: Schon bald können wir im Sand die Spur eines männlichen Leoparden von der eines weiblichen unterschei­den. Und wir lernen, Geduld zu haben. Dass man dem Glück eine Chance geben muss, um einen großen Moment zu erleben.

So wird ganz unversehen­s aus dem schlichten Zuruf eines anderen Rangers – „Da hinten steht ein Elefant am Wasser“– ein besonderes Erlebnis. Wir sind mit dem Motorboot in die riedgesäum­ten Kanäle des Deltas gefahren. Was wir zunächst nicht sehen: Hinter dem Elefanten ist eine Herde von 20 Tieren im Dickicht verborgen. Wir können es gar nicht glauben, als sie nach und nach dem Wasser immer näher kommt. Zwei Babys knabbern vor unseren Augen das süße Papyrusgra­s – und das alles im warmen Licht der Abendsonne. Schon lange haben wir aufgehört, zu fotografie­ren, und schauen einfach zu, wie sich die Herde im Wasser spiegelt.

Wir bleiben lange, vielleicht zu lange. Es wäre gefährlich, in den unübersich­tlichen Kanälen bei Dunkelheit unterwegs zu sein, wenn die Nilpferde aktiv werden, um an Land zu fressen. Mit Hochgeschw­indigkeit fährt Richard das Boot durch die Wasserrinn­en. Das Wasser peitscht, wir schlingen Tücher vor die Gesichter. Unfassbar viele Mücken! Das Licht schwindet zusehends. Als der Motor holpert, weil sich die Wurzel einer Wasserlili­e im Antriebsra­d verheddert, schauen wir uns besorgt an: eine Nacht hier draußen? Das Boot kommt mit dem letzten Licht im Camp an. Punktlandu­ng. Fünf Minuten später ist es zappendust­er und das Kreuz des Südens ist am Sternenhim­mel zu sehen. Noch so ein Glücksmome­nt.

 ?? Fotos: Doris Wegner ?? Das Okavangode­lta in Botswana ist das größte Binnendelt­a der Welt. Die Wasserland­schaft zählt wegen ihres Artenreich­tum Unesco Welterbe. Für die Tiere, etwa die seltenen Wildhunde, ist die Freiheit nicht durch Zäune begrenzt.
Fotos: Doris Wegner Das Okavangode­lta in Botswana ist das größte Binnendelt­a der Welt. Die Wasserland­schaft zählt wegen ihres Artenreich­tum Unesco Welterbe. Für die Tiere, etwa die seltenen Wildhunde, ist die Freiheit nicht durch Zäune begrenzt.
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