Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Watschelga­ng zum Titelsamml­er

Leichtathl­etik Der Neusässer Erich Sturz ist 76 Jahre alt – und mehrfacher Welt- und Europameis­ter im Senioren-gehen. Wie der Rentner zu dieser ungewöhnli­chen Sportart kam

- VON MAXIMILIAN GSCHWILM Foto: Siegfried Kerpf

Alles begann für Erich Sturz im Jahr 1965 – mit einem flüchtigen Blick auf ein Plakat. „Augsburger Volkslauf“stand dort in großen Lettern geschriebe­n. Es war die erste Breitenspo­rt-veranstalt­ung, die in der nachkriegs­zeitlichen Fuggerstad­t stattfand. Insgesamt 1743 Läufer, Geher und Marschiere­r nahmen am Spurt durch den Siebentisc­hwald teil.

Der in Rehling aufgewachs­ene Sturz war sofort begeistert. Zehn Kilometer waren in maximal 100 Minuten zu absolviere­n, für das Startgeld erhielten die Sportler dann eine Medaille. Das sollte locker zu schaffen sein, dachte sich Sturz, und machte mit seinem Bruder, der allerdings schnell ausstieg, die ersten Gehversuch­e. Am Ende schaffte der Jungspund die Strecke in exakt 82 Minuten.

Die schönsten Pokale stehen im Esszimmer

Heute ist Erich Sturz 76 Jahre alt. Und seine gute Stube in Neusäßhamm­el funkelt nur so vor Medaillen, Pokalen und anderen Auszeichnu­ngen. „Nur die schönsten dürfen ins Esszimmer“, erklärt seine Frau Christl lächelnd. Erich Sturz ist ein akribische­r Titelsamml­er im Seniorenbe­reich. In einer Sportart, die nur wenige auf dem Zettel haben: dem Gehen.

Nur bei Olympische­n Spielen wird das Gehen präsent. Der auf den ersten Blick ungewöhnli­che, aber keineswegs ungesunde Laufstil bleibt dann im Kopf hängen. Ähnlich wie eine Ente hatschen die Sportler die Teerstreck­e entlang. Die Regeln besagen, dass ein Geher niemals den Bodenkonta­kt verlieren darf und das Bein beim Aufsetzen gestreckt sein muss. Sonst droht die Disqualifi­kation. „Das ist mir aber noch nie passiert“, versichert Sturz.

39 Teilnahmen an deutschen Meistersch­aften, 19 Teilnahmen an Europameis­terschafte­n und acht Teilnahmen an Weltmeiste­rschaften. Seit Erich Sturz als Bautechnik­er in Rente ging, ist er im Senioren-gehsport erfolgreic­h. 27 Medaillen bei deutschlan­dweiten Vergleiche­n und jeweils vier Siege bei Welt- und Europameis­terschafte­n im Teamwettbe­werb stehen in seiner sportliche­n Vita, alles fein säuberlich dokumentie­rt. Gerne blickt er auf die einzelnen Momente zurück. „Ein absoluter Traum für mich“, sagt Sturz stolz.

Mit befreundet­en Mannschaft­skameraden ist der 76-Jährige beim Univiertel-sportverei­n MBB-SG Augsburg aktiv. Trainiert wird aber meistens vor der eigenen Haustür, am liebsten abends auf dem Weldenbahn­radweg zwischen Neusäß und Aystetten. Sturz schmunzelt: „In der Früh ist es zwar auch schön, aber ich bin eher ein Langschläf­er.“Mindestens zwei Mal pro Woche muss er mit den Hüften wackeln, vor Wettkämpfe­n sogar vier bis fünf Mal. „Bei jedem Sauwetter“, merkt der fitte Rentner an.

Seit der Jahrtausen­dwende geht Sturz verstärkt auf großen Wettbewerb­en an den Start, früher in der Klasse M55 oder 60, heute in der Klasse M 75. Oftmals sind es nur zehn Geher, die um die Medaillen kämpfen, allerdings aus Ländern wie Lettland, England, Italien, Australien und Großbritan­nien. Auch wenn sich Sturz als „echten Wettkämpfe­r“bezeichnet, nennt er seine Mitstreite­r nie Gegner, sondern Sportkamer­aden. Kommunizie­rt wird aufgrund von Sprachbarr­ieren meist mit Händen und Füßen.

Treuer Begleiter auf den weiten Reisen per Zug oder Flugzeug ist Ehefrau Christl. Immer dort, wo die Wettkämpfe stattfande­n, wurde im Hause Sturz auch Urlaub gemacht. Sei es 2005 im spanischen San Sebastian, als über 20 Kilometer die erste Goldmedail­le im Team zu Buche stand, oder 2006 in Linz, als Sturz mit seinem Mbb-kameraden Horst Lenz über die halbe Strecke Mannschaft­sweltmeist­er wurde. Oder auch 2008 in Ljubljana (Slowenien), als nur eine einzige Sekunde zum Titelgewin­n gefehlt hatte.

Trotz der zahlreiche­n internatio­nalen Medaillen hat sich der nimmermüde Geher im Alter von 76 Jahren noch ein großes Ziel gesetzt: In diesem Jahr will Sturz, der sich ansonsten mit Morgengymn­astik fit hält, unbedingt zum 50. Mal das Deutsche Sportabzei­chen erfolgreic­h ablegen. Leichte Fersenprob­leme machen ihm gerade noch zu schaffen, dennoch sollten die Diszipline­n Sprint, Schwimmen, Sprung, Ausdauer und Kugel allesamt machbar sein. Das sagt ein Mann, der nach schlechten Fußballerf­ahrungen im Kindesalte­r – Stichwort Eigentor – von sich behauptet: „Eigentlich war ich nie so richtig sportlich.“

 ??  ?? Erich Sturz von der TG Viktoria Augsburg ist begeistert­er Geher. Eine Sportart, die den meisten nur von den Olympische­n Spielen bekannt ist. Selbst „Sauwetter“kann den 76 Jährigen nicht von seinem Training abhalten.
Erich Sturz von der TG Viktoria Augsburg ist begeistert­er Geher. Eine Sportart, die den meisten nur von den Olympische­n Spielen bekannt ist. Selbst „Sauwetter“kann den 76 Jährigen nicht von seinem Training abhalten.

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