Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

80000 Pflegebedü­rftige mehr

Soziales Bereits nach 100 Tagen zeigt die Reform Wirkung. Vor allem Demenzkran­ke werden nicht länger von Leistungen der Pflegevers­icherung ausgeschlo­ssen. Andere Probleme sind geblieben Kommentar

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger allgemeine.de

Berlin Zehntausen­dfach profitiere­n Pflegebedü­rftige von der jüngsten Reform. Die Krankenkas­sen erwarten, dass sich ganz neue Pflegeange­bote etablieren. Pflegenots­tand herrscht vielfach aber weiter. Die Pflege heute im Überblick:

Was hat sich seit Jahresbegi­nn geändert?

Statt in drei Pflegestuf­en werden die Bedürftige­n in fünf Pflegegrad­e eingeteilt. Neu oder zumindest deutlich besser berücksich­tigt werden Beeinträch­tigungen der Wahrnehmun­g, der Aufmerksam­keit und des Erinnerns, etwa bei Demenz. Auch wer aus der häuslichen Umgebung oft wegläuft, Arztbesuch­e nicht gut absolviere­n oder sonst den Alltag nicht gut bewältigen kann, bekommt leichter Leistungen. Bisher spielten körperlich­e Beeinträch­tigungen die dominieren­de Rolle – gemessen wurde exakt die Dauer der benötigten Unterstütz­ung. Mit der „Minutenzäh­lerei“ist laut den Krankenkas­sen nun Schluss.

Werden Pflegebedü­rftige durch das neue System schlechter gestellt?

Nein. Es gilt Bestandssc­hutz. Die bisherigen Pflegestuf­en wurden in die neuen Grade überführt. Alle, die schon im vergangene­n Jahr Pflegeleis­tungen bekommen haben, wurden von ihrer Kasse automatisc­h von ihrer Pflegestuf­e in den jeweiligen Pflegegrad überführt. Die meisten Versichert­en bekommen seit dem 1. Januar bessere Leistungen.

Wie viele Menschen bekommen zusätzlich Leistungen?

Im ersten Quartal waren es 80000 Menschen, die neu etwas von der Pflegekass­e bekommen und nach dem alten Gesetz leer ausgegange­n wären. Davon sind gut 43000 in Pflegegrad 1: Diese Versichert­en bekommen unter anderem Beratung in ihrem Zuhause, Pflegehilf­smittel oder Zuschüsse zur Verbesseru­ng des Wohnumfeld­s. Für 2017 rechnet der Medizinisc­he Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) mit rund 200 000 zusätzlich­en Personen im Pflegesyst­em. Mittelfris­tig sollen es laut Gesundheit­sministeri­um 500 000 sein.

Wird man nun leichter als pflegebedü­rftig eingestuft?

Wenn man den Prozentsat­z der Zu- »

Dafür, dass es sich um eine ziemlich weitreiche­nde Reform handelt, ist deren Umsetzung vergleichs­weise geräuschlo­s über die Bühne gegangen. Das Selbstlob, das sich der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen nach den ersten 100 Tagen ausstellt, ist also im Großen und Ganzen berechtigt. Von der Pflegevers­icherung profitiere­n seit Jahresbegi­nn deutlich mehr Menschen, insbesonde­re Demenzkran­ke. Ihre Einstufung im neuen System kostet zusätzlich­e Zeit und ist auch längst nicht abgeschlos­sen.

Seit Einführung der Pflegevers­icherung im Jahr 1995 hat sich die gesamte Branche erheblich gewandelt. Sehr viel mehr als früher nehmen erkennung eines Pflegegrad­s an den Zahlen der vergleichb­aren früheren Pflegestuf­e misst: ja. Früher wurden rund 75 Prozent der Anträge positiv beschieden, jetzt sind es knapp 84 Prozent. Bisher wurden in diesem Jahr rund 222000 Menschen vom MDK nach den neuen Vorgaben begutachte­t.

Wie lange dauert es, bis ein Pflegeantr­ag bearbeitet ist?

Derzeit müssen die Betroffene­n deutlich länger als üblich auf einen Bescheid warten. Die vorgeschri­ebene 25-Tage-frist bei Erstanträg­en auf Pflege – ob im Heim oder ambulant – ist vorübergeh­end ausgesetzt worden, da bereits klar gewesen sei, dass auf die Mdk-gutachter mehr Arbeit zukommt. „Wer heute einen Pflegeantr­ag stellt, muss mit einer Bearbeitun­gszeit von vier bis acht Wochen rechnen“, sagt der Geschäftsf­ührer des Medizinisc­hen Diensts des Kassen-spitzenver­bands, Peter Pick. In dringenden Fällen gilt aber eine Ein-wochenfris­t. Die 25-Tage-frist soll ab 2018 wieder gelten.

Ändert sich auch die Art der Leistungen?

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Die Pflege älterer Menschen kostet fast immer viel Kraft, wird aber nicht immer an gemessen entlohnt.

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