Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Die Gesellschaft hat den Jungen kaputt gemacht“
Porträt Xavier Sabata singt in Augsburg den Kaspar Hauser. Warum er seine Rolle noch einmal neu kennengelernt hat
Wenn ihm ein Wort nicht gleich auf Anhieb einfällt, wechselt der Countertenor Xavier Sabata ansatzlos vom Deutschen ins Englische. Und wenn er dort nicht fündig wird, sagt er es auf Spanisch. Das ist seine Muttersprache. Sabata ist ein Sänger, der in ganz Europa auftritt und sich mühelos verständigen kann. Nun spielt er in Augsburg eine Rolle, die so ganz und gar sein Gegenteil ist: den mysteriösen Kaspar Hauser.
Für Sabata ist das die „traurigste Geschichte“. „Die Gesellschaft hat den Jungen doch kaputt gemacht“, sagt er. Erst wurde Kaspar Hauser bestürmt, bestaunt und begafft. Der Junge war eine Sensation, behauptete er doch, jahrelang in einem Verlies gefangen gehalten worden zu sein. Die wildesten Gerüchte rankten sich um ihn. Als das öffentliche Interesse nachließ, wollte fast niemand mehr etwas von ihm wissen.
Dem Countertenor ist die Rolle von dem Komponisten Hans Thomalla tatsächlich auf den Leib geschrieben worden. Sabata sang den Part auch bei der Uraufführung 2016 in Freiburg. Weil in Augsburg das Große Haus für die Produktion nicht zur Verfügung steht, kommt die Oper, die beide Städte gemeinsam produziert haben, hier im Textilund Industriemuseum anders auf die Bühne, nämlich szenisch eingerichtet von Frank Hilbrich, der auch in Freiburg Regie führte.
Weil das Orchester nicht im Graben spielt, sondern hinter den Musikern auf der Bühne, hat Sabata die Komposition noch einmal anders kennengelernt. „Ich höre jetzt neue Töne und Details“, sagt er. Und er schaut anders auf seine Rolle. „Ich kann mehr spielen, noch mehr Seiten dieses Charakters zeigen.“
Wie sehr ihm das Darstellen seiner Gesangsrollen liegt, zeigt schon ein Blick in Sabatas Werdegang. Be- vor er sich zum Sänger hat ausbilden lassen, stand er als professioneller Schauspieler auf der Bühne, hat in Tschechow- und Shakespeare-inszenierungen mitgewirkt. „Nach fünf, sechs Jahren wollte ich aber etwas anderes machen“, erzählt er. Sabata, der 1976 im spanischen Avia geboren ist, wollte in anderen Ländern auftreten, mehr von der Welt sehen. „Weil es mir immer leicht gefallen ist, mit meiner Kopfstimme zu singen, habe ich die Ausbildung zum Sänger gemacht.“
Sein Debüt als Sänger hat Sabata 2004 gegeben. Seitdem ist er auf den Bühnen Europas unterwegs. „In Deutschland trete ich gerne auf, hier fühle ich mich sehr wohl“, sagt er. Um englische, französische, deutsche, italienische Opern zu singen, ist es ihm auch immer wichtig, die Sprachen zu lernen. Das verändere den Zugang zum Verständnis. „Man muss die Sprache auch im Körper haben“, findet er. Ihn fasziniert das breite musikalische Spektrum als Countertenor. Sabata bekommt Barockpartien angeboten, immer wieder aber auch zeitgenössische Produktionen, in denen seine darstellerischen Fähigkeiten gefragt sind.
Als Countertenor arbeitet Sabata im dreizehnten Jahr. Die Opernhäuser engagieren ihn nie fest, sondern immer nur für einzelne Produktionen. Seinen Lebensmittelpunkt hat er in Brüssel, aber in dieser Spielzeit hielt er sich dort nie länger als fünf Tage am Stück auf. „Ich fühle mich wohl, so zu leben“, sagt er, er lerne viele Menschen und Städte kennen. Über die Opernproduktion „Kaspar Hauser“war er nun das erste Mal in Augsburg – „eine schöne Stadt“.
In der Oper über den Rätselmenschen Kaspar Hauser bringt er die schiefen Töne in die heile, harmonische Nürnberger Welt. Und erst als Kaspar Hauser stirbt – Opfer eines Attentäters oder Selbstmord? – atmet die Gesellschaft wieder auf. „Jetzt kann sie die Geschichte des Kaspar Hauser so erzählen, wie sie will. Jetzt kann ihr Kaspar Hauser dabei nicht mehr widersprechen“, sagt Sabata. Auch deshalb ist es für ihn die traurigste Geschichte.
Die letzten drei Termine von „Kaspar Hauser“im Textil und Industrie museum sind Sonntag, 7. Mai, Dienstag, 9. Mai und Mittwoch, 10. Mai.