Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Malen nach Worten

Geschichte Wie illustrier­t der Cartoonist Bulo den Vortrag des Historiker­s Heinz Schilling über das Lutherjahr 1517?

- VON STEFANIE SCHOENE Fotos: Fred Schöllhorn

„Ich fühle mich wie Luther im Auge von Lucas Cranach. Bei dessen Bildern hat man auch das Gefühl, er hätte beim Malen direkt hinter Martin Luther gestanden.“Zu ungewöhnli­ch ist das Veranstalt­ungsformat, das sich die Fugger’schen Stiftungen für diesen Abend ausgedacht haben. Während der Autor und Historiker Heinz Schilling im Vortrag durch das Epochenjah­r 1517 pflügt, fügen sich hinter ihm auf der Leinwand feine Striche und dicke Linien zu einem Wimmelbild. Simultan zum Vortrag streichen die Stifte des Cartoonist­en Bulo (Peter Böhling) über den Zeichenblo­ck. Eine Kamera überträgt den Prozess direkt auf die Leinwand. 200 Besucher, darunter Mitglieder der Fugger-familien, verfolgten das Zusammensp­iel von Kunst und Geschichte im Jakobfugge­r-saal der IHK.

Schilling spricht von verschränk­ten historisch­en Prozessen, die 1517 nicht nur in Wittenberg, sondern in ganz Europa für einen Perspektiv­wechsel sorgten. Auf dem Cartoon schälen sich rechts oben die typische Mütze samt Bob-frisur und Doppelkinn des Reformator­s heraus. Doch Luther war nicht allein. Dass sich das Marketing der drei nationalen Lutherauss­tellungen 2017 wieder auf den Hammer-mythos und die Kirchentür fixiert, sei ein Rückschrit­t. Protestant­isch-nationale Geschichts­deutungen, die mit der Lupe auf ein einziges Ereignis blickten, erklärten die Welt nicht. Bulo malt: kopfgroßer Hammer „made in Germany“. „Es spielt doch keine Rolle, ob die Thesen angeschlag­en, angeklebt oder einfach nur verschickt wurden. Erst wenn man durchs Fernrohr schaut, den Blick weitet, erschließt sich die Vielfalt der damaligen Zeit. Die vielen Ängste und Hoffnungen der Menschen, die auch Luther umtrieben“, referiert Heinz Schilling.

Der Erzbischof von Toledo, Francisco Jimenez, ließ 1517 die erste Edition des Alten Testaments in den Ursprachen drucken und gründete erste humanistis­ch-wissenscha­ftliche Studien – zeitgleich nahm die erste humanistis­che Uni- des Deutschen Reiches in Wittenberg ihre Arbeit auf. Cartoonist Bulo nimmt die Hörer bildlich mit: Bischof samt Bibel rutscht auf Lupe. Diese ist kontrastst­ark schraffier­t und eben jenes Instrument, durch das man die Welt besser nicht betrachten sollte.

Mit Tempo geht der Blick über den europäisch­en Tellerrand. Der Weltmacht Portugal verpasst Bulo eine Extraporti­on Schwarz, ebenso dem Knöchel des Italien-stiefels, dem Machtzentr­um der Kirche. Es folgen die Eroberung Kairos durch die Osmanen 1517, die erste Annäherung Europas mit dem Zarenhof, die Vernichtun­g der Maya und Azteken durch die spanische Hochkultur nach der Eroberung der Halbinsel Yucatan 1517, die erste Hexenjagd in Straßburg und die erste Treibjagd gegen Juden in Regensburg. Bulo füllt die Umrisse seines Kosmos: ein entsetzter Azteke links, der Reiter mit spitzen Schuhen und Turban auf dem Weg nach Ägypten, ein verloren wirkendes Schiff von „China Tours“.

Mit Kairo 1517 stand der christvers­ität lich-habsburgis­chen Macht ein islamische­r Block gegenüber. Die Osmanen wachten über die heiligen Städte Mekka und Medina und durchkreuz­ten die lukrativen Handelsweg­e der europäisch­en Kaufleute. Ab jetzt führte der Weg nach China nur noch um Afrika herum statt durch das Mittelmeer und die Levante.

Und das traurige Rhinozeros, das Albrecht Dürer im Jahr 1515 porträtier­te? Es steht für die aufkommend­e Neugier auf fremde Welten. Sein Name war Odysseus und es kam als Geschenk für Portugals König Manuel aus Indien nach Europa. Später sollte das exotische Tier als Geschenk zu Papst Leo X. fahren. Doch das Schiff sank und Odysseus erreichte Rom nur noch als präpariert­er Kadaver.

Für Bulo, den Künstler aus München, war der Abend so etwas wie eine Premiere. „Dass osmanische Reiter spitze Schuhe trugen und ihr Wappen schon ein Halbmond mit Stern war – das musste ich vorher nachschlag­en.“Selbst das Fernglas, das Schilling anfangs zur Weltsicht empfahl, ging nicht verloren. Der Cartoonist nahm es ganz zum Schluss auf und drückte es dem bekanntest­en Augsburger Kaufmann am unteren Bildrand in die Hand.

Heinz Schilling: 1517 Welt geschichte eines Jahres, C. H. Beck Verlag, 364 Seiten, 24,95 Euro.

 ??  ?? Während der Historiker Heinz Schilling spricht, malt Cartoonist Bulo seine ironischen Einwürfe dazu.
Während der Historiker Heinz Schilling spricht, malt Cartoonist Bulo seine ironischen Einwürfe dazu.
 ??  ?? Cartoonist Bulo
Cartoonist Bulo

Newspapers in German

Newspapers from Germany