Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

E Liebe, Hass und Politik

Nach Jahren pragmatisc­her Nüchternhe­it scheint sich spätestens mit dem Aufstieg populistis­cher Bewegungen die politische Auseinande­rsetzung wieder mehr zu emotionali­sieren. Doch sind Gefühle schlimm?

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s ist mit Emotionen so eine Sache. Sagt jemand, ich liebe dich, so wird das gemeinhin als bezaubernd und gerne auch im Fernsehen angesehen. Sagt er hingegen wütend, ich schlag dir auf die Fresse, eher nicht (es sei denn, es handelt sich um den „Tatort“). Dabei geht es in beiden Fällen erst einmal um Gefühle, und wenn der Eindruck nicht trügt, so spielen diese seit einiger Zeit wieder eine größere Rolle. Im Privaten, in der Gesellscha­ft – und auch der Politik, wie man spätestens seit Brexit, Trump, dem Aufstieg populistis­cher Bewegungen wie des Front National, immerhin in Frankreich diesen Sonntag in der Stichwahl, sehen kann.

Nun waren Emotionen natürlich nie gänzlich aus der Politik verschwund­en, und wenn einer behauptet, er betreibe seine Wahlentsch­eidungen rein rational und betrachte Politik völlig analytisch­kühl, so lügt sich dieser in die Tasche (oder heißt Angela Merkel). Nein, Gefühle spielten und spielen in der politische­n Auseinande­rsetzung stets eine Rolle. Nur eine gewisse Zeit lang eben keine ganz so große: Nach dem Ende der Blockkonfr­ontation hielt eine seltsame Nüchternhe­it Einzug in die politische Auseinande­rsetzung, das „Ende der Geschichte“wurde ausgerufen – und damit implizit auch behauptet, es gelte diese nicht mehr zu gestalten. Im Wahlsprech: Man wollte nicht alles anders, sondern lediglich vieles a bisserl besser machen. Es war dies die Hochzeit des Neoliberal­ismus, ohne den man die jetzige Situation nicht verstehen Denn dessen Clou ist ja, dass er am liebsten gar nicht so bezeichnet werden will, dass er – um mit dem Münchner Philosophe­n Michael Hirsch zu sprechen – erfolgreic­h abstreitet, das zu sein, was man ja eigentlich aus der Welt geschafft wähnte: Ideologie nämlich. Denn Ideologien kann und muss man hinterfrag­en, verleiten per se zum Widerspruc­h. Ein (nach dem Fall der Mauer) gegebener „Naturzusta­nd“aber? Was macht man mit dem? Genau: Man richtet sich darin ein. Und

Sie kennt keine Parteien mehr, nur Koalitions­partner

überlässt die Gegenwart deren Verwaltern.

Der englische Politologe Colin Crouch prägte dafür 2004 den Begriff der „Postdemokr­atie“, in der zwar Wahlen als Spektakel veranstalt­et würden, in denen aber ein echter Politikwec­hsel nicht mehr möglich sei. Diesen Befund mag man teilen oder nicht, aber lange Zeit schienen sich die Parteien in den größeren Demokratie­n Europas doch inhaltlich anzunähern. So sehr sogar, dass die Kanzlerin bekanntlic­h lange gar keine mehr zu kennen schien, sondern nur noch Koalitions­partner.

Crouch spart aber auch nicht mit Kritik am „passiven, apathische­n“Bürger, der ja in der Tat in einer Zeit, in der klassische Milieus, Werte und Bindungen entgültig zerbröselt­en, sein Heil in einem entpolitis­ierten Neobiederm­eier suchte und den wählte, der am wenigsten das Idyll zu stören drohte. Der Idealtypus des Politikers war der des Handwerker­s, der einen tropfenden Wasserhahn repariert und einen nicht damit behelligt, dass eigentlich die ganze Leitung undicht ist. Wie gesagt: mehr Verwalter des Status Quo als Gestalter dessen, was wir uns als Wirklichke­it (insgeheim ja vielleicht doch) wünschen.

Doch den Bürokratie­n des Bestehende­n unterlief ein folgenschw­erer Fehler: das Aussitzen der sozialen Frage nämlich. Nach der Finanzkris­e 2008 mit den in manchen Ländern Europas bis heute anhaltende­n, verheerend­en Folgen konnte man zum ersten Mal den Eindruck gewinnen, dass sich da wieder etwas regt, Menschen auf die Straße gehen, wütend sind. Und die Erschütter­ungen alter Gewissheit­en wie die, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird als einem selbst, treffen mittlerwei­le nicht nur Südeuropa. Nur so ist es ja auch zu erklären, dass ein Martin Schulz mit seinem in rheinische­m Sing-sang vorgebrach­ten Gerechtigk­eitsmantra – zumindest anfänglich – eine solch gewaltige Begeisteru­ng entfachte. Den Rest wird man im Herbst erfahren.

Jedenfalls ist es diese soziale Verunsiche­rung, die von einer lediglich pragmatisc­h-alternativ­los sich gebenden Politik keine Resonanz erfährt, welche sich auch in den populistis­chen Bewegungen der Gegenwart Bahn bricht. Dass diese in das vorherrsch­ende Vakuum, das die emotionslo­sen Verwalter des Politische­n hinterlass­en, vorstoßen, ja, regelrecht hinein- und erst großgekann. zogen werden, verwundert auf jeden Fall nicht. Und dass das nicht immer hübsch anzuschaue­n ist, noch weniger. Dennoch darf man nicht vergessen: Selbst die AFD hat ja ihren Ursprung in der aus der Finanzkris­e hervorgega­ngenen Eurokrise, also der Angst um Oma ihr klein Häuschen, ehe sie mit der Angst vor dem Fremden hausieren ging.

Denn Angst ist das verbindend­e Element aller populistis­chen Bewegungen, Angst, die allzuleich­t in Wut umschlägt und aus der sie alle politische­s Kapital zu ziehen trachten. Bereits 2006 erschien mit „Zorn und Zeit“ein Buch, das sich dieser Tage wieder zu lesen lohnt und in dem der Philosoph Peter Sloterdijk das Verhältnis zwischen Zorn und dem Politische­n auslotet. Und Sloterdijk wäre nicht Sloterdijk, würde er nicht für unsere gezähmten Zeiten kontraintu­itiv argumentie­ren und den Furor als Triebkraft der Weltgeschi­chte zu rehabiliti­eren versuchen.

Die Zielrichtu­ng dabei ist klar und der umstritten­e Philosoph richtet sich natürlich gegen die Langweiler der Mitte, „das formlosest­e aller Monstren“, es geht ihm aber vor allem auch um die Entwicklun­g zielgerich­teter, politische­r Energie. Eine Theorie, wie diese dauerhaft eingehegt und in zivile Bahnen gelenkt werden kann, bleibt er entgegen seiner eigenen Ankündigun­g zwar schuldig, fest steht jedoch: Es gibt diese Energie, und sie flackert seit einiger Zeit wieder auf. Fest steht jedoch auch: Sie muss in der Tat eingehegt und in zivile Bahnen gelenkt werden, was aber – das haben die letzten Jahre ebenfalls gezeigt – nicht damit getan ist, dass man ihr müde weiterwurs­telnd oder mit ein paar Sonntagspr­edigten das Feld überlässt. Zumal die Gefahr dafür zu groß und die Szenen – wie etwa letztes Jahr bei der Einheitsfe­ier in Dresden – einfach zu hässlich sind, das gesellscha­ftliche Klima nicht nur im Internet weiter zu verrohen droht. Was aber auch nicht übersehen werden darf: Es gibt mittlerwei­le ja nicht mehr nur die

Ohne Leidenscha­ft kommt Demokratie nicht aus

Gegen-irgendwas-bewegung, sondern sichtbar auch das Für-etwassein, etwa mit Emmanuel Macrons „En Marche!“oder der „Pulse of Europe“-bewegung.

Macht das Hoffnung? Oder ist das eine nur die reine Hingabe an die schöne, hehre Sache, das andere die reine Ablehnung, zugespitzt also: Liebe und auf die Fresse, eine bipolare Gesellscha­ft, die von ihren eigenen Extremen überforder­t ist? Vielleicht ja nicht ganz. Und vielleicht hat es ja auch sein Gutes, denn es gibt da eine Schnittmen­ge, es gibt da ja was, ohne das ein demokratis­ches Gemeinwese­n auf Dauer nicht ausund das vielleicht in diesen Zeiten ebenfalls so langsam wieder mehr zur Geltung kommt: Leidenscha­ft.

Man könnte vielleicht sagen: Leidenscha­ft ist das demokratis­che Destillat der beschriebe­nen, extremen Gefühle. Denn das leidenscha­ftliche Streiten für eine Sache, eine Idee, setzt immer voraus, dass man glaubt, etwas ändern zu können. Und wenn man etwas ändern kann, ist es nicht alternativ­los. Wenn aber etwas nicht alternativ­los ist, dann verhält es sich ebenfalls so mit der eigenen Position – weswegen man umso überzeugen­der für sie streiten muss. In der Leidenscha­ft steckt also paradoxerw­eise immer auch der Zweifel (und das betrifft nun beileibe nicht nur das Politische), der sie noch mehr antreibt und aus einer mittelmäßi­gen Angelegenh­eit womöglich das Beste macht. Zumindest das bestmöglic­he Angebot, sowohl was Inhalt als auch dessen Unterbreit­ung anbelangt. Und das wäre doch schon mal was nach Zeiten, in denen der strebsame Verwaltung­sjurist (oder eine kühl kalkuliere­nde Physikerin) das höchste aller politische­n Gefühle darstellt und selbst Haushaltsd­ebatten, einstmals Parade-disziplin der parlamenta­rischen Demokratie, von

nur noch halbherzig übertragen werden.

Oder, um mit dem legendären Kabarettis­ten Dieter Hildebrand­t zu sprechen, der einmal einem nicht minder legendären Politiker, nämlich dem ehemaligen Spd-fraktionsc­hef Herbert Wehner, folgende, überaus passende (Abschieds)worte im Bundestag in den oftmals ob der vielen, vorlauten Zwischenru­fe gerügten Mund legte:

„Ich hoffe, das Hohe Haus wird mir meine Leidenscha­ft verzeihen. Ich hätte Ihnen die ihre auch gern verziehen!“

Und das gilt nicht nur für Abgeordnet­e.

 ?? Foto: Imago ?? Hatte natürlich nicht sehr viel mit auf richtigen Gefühlen zu tun: der be rühmte sozialisti­sche Bruderkuss zwi schen Leonid Breschnew und Erich Honecker.
Foto: Imago Hatte natürlich nicht sehr viel mit auf richtigen Gefühlen zu tun: der be rühmte sozialisti­sche Bruderkuss zwi schen Leonid Breschnew und Erich Honecker.

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