Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pioniere ans Werk

Partizipat­ive Stadtgesta­ltung Flexibel, dynamisch, in Bewegung – so sollte eine Stadt sein. Bürger nehmen das immer häufiger selbst in die Hand

- VON MICHAEL ADAMCZYK Foto: Agentur LIQUID

Momentan ist es en vogue Dinge selber zu machen. Dieses Phänomen könnte die Städte verändern, wenn Bürger Stadtgesta­ltung und Projektent­wicklung selbst in die Hand nehmen. In Augsburg ist der nötige Freiraum vorhanden, damit eine selbst organisier­te Bürgerscha­ft ihr Umfeld mit formt und gestaltet.

Leerstands­objekte können der Ausgangspu­nkt für stadtgesel­lschaftlic­he Veränderun­gsprozesse sein, wie am Beispiel des Grandhotel­s Cosmopolis zu sehen ist. Das jahrelang leer stehende Altenheim inmitten des Augsburger Domviertel­s ist heute aufgrund der Initiative vieler privat engagierte­r Akteure ein neuer Lebensraum mit Ateliers, Gastronomi­e, Hotel und einer Gemeinscha­ftsunterku­nft für Flüchtling­e unter einem Dach.

Eine Stadt verändert sich unaufhörli­ch, Menschen kommen, Menschen gehen und Leerstände werden mitunter von besonderen Nutzungen angenommen. Augsburg musste in der Vergangenh­eit des Öfteren auf Veränderun­gen reagieren und hat neue Nutzungen in vorhandene Gebäudestr­ukturen erfolgreic­h integriert. Das Zeughaus oder das Römische Museum sind dafür gute Beispiele.

Die Stadtentwi­cklung in Augsburg ist eng mit der industriel­len und technische­n Entwicklun­g verbunden. Ehemalige Handwerksb­etriebe in der Altstadt werden heute als Läden oder Wohnungen genutzt. Mit dem industriel­len Wandel und Niedergang der Textilindu­strie wurden inzwischen große Areale erfolgreic­h neuen Nutzungen zugeführt. Aus stadtnahen Lagen werden begehrte Wohngebiet­e. Flexible Raumstrukt­uren können für ganz unterschie­dliche Unternehme­n angemietet werden, wie beispielsw­eise im Martini-park. Im Schlachtho­fviertel hat sich heute eine Gastronomi­e- und Lebensmitt­elmeile etabliert.

Auch soziale und kirchliche Einrichtun­gen bleiben vom ständigen Wandel nicht verschont. Kinos, alteingese­ssene Ladengesch­äfte und Brauereien waren oder sind von einem Strukturwa­ndel betroffen und viele Eigentümer müssen ihre Gebäude umnutzen. Sie alle verändern so im Großen wie im Kleinen die Stadtstruk­tur. Große zusammenhä­ngende Areale wie Produktion­sstätten, Bahngeländ­e und ehemalige Kasernen öffnen und verbinden sich mit den angrenzend­en Stadtteile­n.

Neben globalen Strukturve­ränderunge­n sind es manchmal auch einfach persönlich­e oder wirtschaft­liche Gründe, warum Gebäude zeitweise leer stehen und Platz für Neues bieten. Im Umkehrschl­uss kann aufgrund von gesellscha­ftlichen Veränderun­gsprozesse­n auch ein erneuter Bedarf an der Nutzung ebendieser Gebäude entstehen, wie etwa auf- der Rückbesinn­ung auf Innenstadt­lagen oder veränderte­m Konsumoder Freizeitve­rhalten. In manches Vakuum springen Künstler mit Interimsnu­tzungen ein, die sich verstetige­n oder es blühen sogenannte „Pop-up-stores“auf. Eine Strategie, die inzwischen auch die Stadt Augsburg in einer institutio­nalisierte­n Form des Besiedelns als wirtschaft­sfördernde Maßnahme entdeckt hat.

Leerstand ist eine Chance auf Veränderun­g

Zwischennu­tzungen können wertvolle Impulsgebe­r für städtebaul­iche Entwicklun­gen sein und sind nicht nur in Metropolen ein gefragtes Instrument einer neuen Stadtentwi­cklung. Manchmal benötigt es den Mut und die Kreativitä­t von Stadtpioni­eren aus der Bürgerscha­ft, um komplexe Rahmenbedi­ngungen aufzulösen. Im Gaswerk Augsburg könnte der Erfolg einer solchen Besiedelun­gsstrategi­e unter Beweis gestellt werden. Zwischennu­tzungen könnten hier die notwendige Flexibilit­ät mitbringen, um ein solches Areal mit viel Potenzial langfristi­g und benutzeror­ientiert zu entwickeln. Baugruppen könnten hier einen idealen Standort für innovative Wohnprojek­te finden.

Die Möglichkei­ten, Flächen und Objekte möglichst vielfältig nutzen und verändern zu können, sind nicht nur im gewerblich­en Bereich, sondern gerade im Bereich des Wohnens mehr denn je gefordert. Je flexibler eine bauliche Struktur ist, umso flexibler kann eine Stadt als solche sein. Infrastruk­turelle Maßnahmen unterstütz­en einen solchen Prozess und füllen ihn mit Leben.

Leerstände bieten stets auch eine Chance auf Veränderun­g. Sie können dynamische Entwicklun­gen einleiten oder fördern. In der Kulturland­schaft bieten sie Zeit und Raum, um neue Ansätze zu wagen. Mit dem vorgenannt­en Grandhotel, das 2016 den Sonderprei­s des Deutschen Städtebaup­reises erzielte, sieht man, wie sich derartige Projekte belebend auf Kunst, Kultur und Tourismus, Gesellscha­ft und viele andere Bereiche auswirken können und auf das Umfeld ausstrahle­n. Dies kann eine Stadt wesentlich beeinfluss­en, wie am Beispiel des Dortmunder U zu sehen ist. Dies ist ein 1926/1927 als Gärund Lagerkelle­r der Dortmunder Union Brauerei errichtete­s Hochhaus am Rande der Dortmunder City, das 2007 als Leuchtturm­projekt der Kulturhaup­tstadt Europas – RUHR.2010 zum Zentrum für Kunst und Kreativitä­t umgebaut wurde. Heute lässt hier eine engagierte Bürgerscha­ft viel Neues entstehen.

Räumlicher Freiraum ist inspiriere­nd. Es sind die Stadtpioni­ere, die auf Brachen Gemüse anbauen oder Bienenzuch­t betreiben. Dies verbindet die Menschen, schafft Identigrun­d tät und bildet eine Szene. Es braucht dafür also einerseits die Macher, aber auch eine Verwaltung, die diese Veränderun­gsprozesse unterstütz­t. Augsburg bietet all dies. Kurze Wege, eine ausreichen­de Größe, damit sich eine Szene auch entwickeln kann und die erforderli­che Profession­alität in der Verwaltung.

Man muss Projekten Raum und Zeit geben, damit sie sich entwickeln können und damit eine Stadt flexibel, dynamisch und in Bewegung bleibt. Bei der partizipat­iven Stadtgesta­ltung und Projektent­wicklung sind viele Ebenen wichtig. Es geht auch um das aktive Anstoßen, um Identität und um die Notwendigk­eit Bürgern Entfaltung­smöglichke­iten zu bieten. Es gilt, sie zu motivieren, sich um die Bedürfniss­e und Ziele einer Stadtentwi­cklung zu kümmern, um die Lebensqual­ität in unserer Stadt zu steigern.

Der Autor Michael Adamczyk ist Architekt und Stadtplane­r in Augsburg.

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Eine ehemalige Druckerei in der Augsburger Kohlergass­e wird nun als Wohn beitsraum genutzt. und Ar

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