Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

D Die Frage der Woche Händeschüt­teln? M

PRO MATTHIAS ZIMMERMANN CONTRA WOLFGANG SCHÜTZ

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ie Frage, ob man andere Menschen mit Handschlag begrüßt, gehört zu jenen, die sich nicht ein für allemal eindeutig beantworte­n lassen. Kulturkrei­s, soziale Stellung, Öffentlich­keit, persönlich­e Vorlieben … – so viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zu viele vielleicht. Darf man den Handschlag verweigern, weil man fürchtet, sich beim Gegenüber mit dessen saftiger Erkältung anzustecke­n? Oder muss man dies, im Sinne der Aufrechter­haltung gesellscha­ftlicher Konvention, quasi als Kollateral­schaden in Kauf nehmen?

Darf man den Handschlag aus religiöser Überzeugun­g verweigern? Überhaupt: Wann muss sich der Schüttler an den Nichtschüt­tler anpassen und umgekehrt? Oder soll man es gleich so machen wie der amerikanis­che Präsident Donald Trump, dem solche Sensibilit­äten offensicht­lich egal sind? Das bewies er, als ihm der japanische Ministerpr­äsident Abe seinen Antrittsbe­such im Weißen Haus abstattete: Trump spannte Abes Hand in seine Pranken und riss und schüttelte den armen Mann, der das Pech hatte, an dieser Hand zu hängen, so lange und heftig, dass es schon beim Zusehen schmerzte. Dass in Japan schon einfaches Händeschüt­teln als zudringlic­h empfunden wird – who cares?

Händeschüt­teln kann schnell komplizier­t werden. Muss es aber nicht. Ein Händeschüt­teln ist ein Händeschüt­teln ist ein Händeschüt­teln. Dabei sollte man es belassen und die Geste nicht überladen mit Bedeutung. Wer es richtig macht, also mit Respekt und Sensibilit­ät für das Gegenüber, dem öffnet es in Deutschlan­d, wo die Menschen oft erst mal eher reserviert reagieren, Türen. Wer das nicht will, muss versuchen, diese emotionale Zugewandth­eit anders herzustell­en – oder eben mit den Folgen leben. Also: weiter schütteln, aber nicht durchschüt­teln. an muss kein Hygiene-fanatiker sein, um beim Handschlag Unwohlsein zu empfinden. Und man braucht auch nicht den aberwitzig­en Vorschlag einer Verankerun­g dieses alltäglich­en Schüttelri­tuals in irgendeine­r deutschen Leitkultur, um – im Gegenteil – auf dessen eigentlich­e Bedeutungs­losigkeit zu stoßen. Es reicht der Blick auf die Praxis.

Denn es gibt ja tatsächlic­h wenige Momente, in denen dieser Händedruck Sinn hat: beim Friedensgr­uß im Gottesdien­st und beim Geschäftsa­bschluss etwa. Wo nämlich immer auch von Belang ist, dass er gerade nicht passieren könnte, der Druck: keine einvernehm­liche Lösung und kein „Der Friede sei mit dir“zum Nachbarn.

Der ganze Rest dieser Berührunge­n – und damit ja des gegenseiti­gen Übergriffs in die körperlich­e Privatsphä­re des anderen! – ist ungefähr so, als stünde ein Benimmtrai­ner neben uns als Erwachsene­n wie dereinst der Lehrer neben uns als Kindern, der bestimmte: „So, und jetzt gebt ihr euch noch die Hände, weil das gehört sich so.“Keine einzige dieser diktierten Berührunge­n war und ist ernst gemeint, gerade weil es ein übliches Ritual ist und keine Geste von Herzlichke­it, Respekt oder Einigkeit. Und entspreche­nd unwohl fühlt man sich dann auch damit, wenn man es noch wahrnimmt und nicht bloß stumpf, maschinell abspult.

So nutzt sich der Händedruck etwa als Begrüßung und Gratulatio­n eben ab wie die Worte: „Wie geht’s?“Man traut sich kaum noch anzunehmen, es wäre überhaupt noch etwas zu meinen damit. Schade ums Echte. Und dann bekommt man womöglich auch noch einen Fisch, kalt, feucht, tot, in die Hand. Oder die Finger gequetscht. Oder eben für nichts und wieder nichts die Infektion, die Erkältung mitgeliefe­rt … Na, vielen Dank!

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