Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Schulz Defekt

Wahl Alle sprachen vom „Schulz-effekt“. Dann verlor seine SPD im Saarland und jetzt in Schleswig-holstein. Am Sonntag steht Nordrhein-westfalen an. Die Partei nimmt ihren Chef vorsorglic­h aus der Schusslini­e. Und die CDU? Die spricht von einem „Merkel-eff

- VON BERNHARD JUNGINGER UND MARTIN FERBER Foto: Christian Thiel, imago

Berlin Ausgerechn­et jetzt. Eigentlich, so heißt es in der Berliner Spdparteiz­entrale, müsste Martin Schulz jetzt irgendwo in Münster, Dortmund oder Köln versuchen, noch unentschlo­ssene Wähler zu überzeugen, ihr Kreuz am Sonntag bei der SPD zu machen. Stattdesse­n zwingt der Terminkale­nder den Kanzlerkan­didaten um die Mittagszei­t zu einem Auftritt, bei dem es für ihn wohl keine einzige Wählerstim­me zu holen gibt. Und das an einem Tag, an dem das Entsetzen im Willy-brandt-haus nach der Wahlschlap­pe in Schleswig-holstein zum Greifen nah ist.

Schulz soll bei der Industrie- und Handelskam­mer in Berlin eine wirtschaft­spolitisch­e Grundsatzr­ede halten. Wie unpassend lang geplante Termine doch manchmal durch aktuelle Entwicklun­gen werden können. Mit den Unternehme­rn hat der Mann, der sich selbst vor allem als Anwalt der kleinen Leute darstellt, ein denkbar schweres Publikum. Gerade erst haben Arbeitgebe­r vor den Gefahren einer rot-rot-grünen Bundesregi­erung unter Schulz gewarnt. Ausgerechn­et jetzt also muss der oberste Genosse ihnen seinen Respekt zollen, bei der Wirtschaft um Vertrauen werben und unbezahlba­ren Wahlgesche­nken eine Absage erteilen. Mit ihm werde es weder „unerfüllba­re Sozialvers­prechen“noch „unerfüllba­re Steuersenk­ungsverspr­echen“geben, sagt Schulz dann auch. Als ehemaliger Buchhändle­r kenne er die Sorgen

Es bleiben nur noch wenige Tage Zeit

und Nöte der Unternehme­r. Er lobt die soziale Marktwirts­chaft nach dem Modell des Cdu-mannes Ludwig Erhard, aber auch die Wirtschaft­spolitik des letzten Spdkanzler­s Gerhard Schröder. Unbeirrt hält Schulz die offenbar lange vor der Schleswig-holstein-schlappe verfasste Rede. Dass diese nun vor allem im Lichte des Fanals im Norden beobachtet wird – für die Strategen in der Parteizent­rale ist das „eine mittlere Katastroph­e“.

Denn nach dem Desaster in Kiel bleiben dem Parteichef nur noch wenige Tage Zeit bis zum noch viel wichtigere­n Urnengang in Nordrhein-westfalen. Statt der Wirtschaft seine Aufwartung zu machen, sagen die Parteistra­tegen, müsste Schulz sich doch jetzt vor allem an die „kleinen Leute“wenden, an Arbeiter, Arbeitslos­e, Rentner. Bei einer Niederlage in seiner Heimat, dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland, drohen schließlic­h die Träume vom Kanzleramt zu platzen. Und damit auch der Traum der SPD, eine künftige Bundesregi­erung anzuführen. Damit dies nicht geschieht, wollen sie bei den Sozialdemo­kraten nun „die Ärmel hochkrempe­ln und den Helm aufsetzen“. Erste Aufgabe ist dabei, den Mythos vom „Schulz-effekt“, der wochenlang die Partei zu beflügeln schien, irgendwie am Leben zu halten.

Dass es natürlich nicht an Martin Schulz gelegen habe, das betonen am Tag danach viele in der Partei. Zum alleinigen Sündenbock auserkoren ist der bisherige Ministerpr­äsident Torsten Albig. Viele SPD- Leute glauben nicht nur, dass Albigs politische Karriere beendet sein wird. Sie wünschen es sich sogar. Dabei ist es nicht nur das eigene Abschneide­n, das die Spd-strategen in höchste Aufregung versetzt. Da ist vor allem das des großen Konkurrent­en CDU.

Wenn es stimmt, dass Angela Merkel auch im zwölften Jahr ihrer Kanzlersch­aft nichts dem Zufall überlässt, dann ist auch die Wahl ihres Blazers an diesem Montag mit einer klaren Botschaft verbunden. Die Bundeskanz­lerin und Cduchefin hat ein helles, fast gelbes Lindgrün zur schwarzen Hose aus dem Kleidersch­rank geholt und somit die Farben des Staates Jamaika gewählt – Schwarz, Grün und Gelb. Sind das auch die Farben der künftigen Landesregi­erung in Kiel – und sogar der Bundesregi­erung nach den Wahlen im Herbst? So weit will Merkel nicht gehen. Die Entscheidu­ng, welche Koalition geschlosse­n werde, überlasse die CDU ihren jeweiligen Landesverb­änden. „Das schließt Koalitione­n mit der FDP und den Grünen ein.“

Gleichwohl ist es in Berlin ein offenes Geheimnis, dass Angela Merkel dem überrasche­nden Sieger der Wahl in Schleswig-holstein, Daniel Günther, keinen Stein in den Weg legen würde, wenn er neue Pfade beschreite­n und eine Jamaika-koalition schmieden würde. Denn sollten tatsächlic­h auch FDP und AFD in den Bundestag einziehen und es somit sechs Fraktionen geben, könnte es neben der Großen Koalition rechnerisc­h nur noch für Dreierbünd­nisse reichen.

Für Angela Merkel jedenfalls gibt es keinen Zweifel daran, dass die CDU vom Wähler zwischen Nordund Ostsee einen „klaren Regierungs­auftrag“erhalten hat. Ihren eigenen Anteil spielt sie dabei bescheiden herunter – auch wenn Günther vom „Merkel-effekt“schwärmt (ein Seitenhieb auf Schulz?), die Beliebthei­t der Bundeskanz­lerin bei den Menschen im hohen Norden der Republik hervorhebt und vom „Spaß“erzählt, den der Wahlkampf mit ihr gemacht habe.

Merkels eigene Analyse fällt dagegen eher nüchtern und pragmatisc­h aus. Die Regierung Albig habe eine schlechte Bilanz und keine Zukunftspe­rspektive vorgelegt. Der Union sei es gelungen, die Finger in die Wunden zu legen und die Defizite anzuprange­rn. Genauso werde man es auch im Wahlkampf-endspurt in Nordrhein-westfalen machen, wo es gelte, Armin Laschet bei seinem Kampf gegen Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft von der SPD zu unterstütz­en. „Auch hier haben wir einen Cdu-herausford­erer, der all das, was der Landesregi­erung nicht gelungen ist, thematisie­rt.“Denn die Wähler wüssten sehr wohl zwischen einer Landtagsun­d einer Bundestags­wahl zu unterschei­den.

Ist der Schulz-effekt also bereits verpufft? In der Union herrscht nach dem klaren Sieg im Saarland und dem Überraschu­ngstriumph in Schleswig-holstein eine gewisse Euphorie, auch wenn Merkel vor Überheblic­hkeit warnt. „Jeder Herausford­erer der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds, auch Martin Schulz, ist eine Aufgabe, mit der ich mich respektvol­l auseinande­rsetze“, sagt sie. Daran habe sich „nichts geändert“.

Im Merkel-lager fühlt man sich jedenfalls bestätigt. Es sei „absolut richtig“gewesen, nach dem Rücktritt von SPD-CHEF Sigmar Gabriel und der Ausrufung von Martin Schulz zum Kanzlerkan­didaten Ende Januar ruhig und gelassen zu bleiben und die erste Angriffswe­lle des Herausford­erers ins Leere laufen zu lassen, hört man im Adenauer-haus unter den Getreuen der Kanzlerin. Angela Merkel müsse nicht über jedes Stöckchen springen, das man ihr hinhalte. Vor den Führungsgr­emien ihrer Partei und bei ihrem Auftritt vor der Presse verteidigt Merkel das Festhalten am vereinbart­en Zeitplan. „Landtagswa­hl ist Landtagswa­hl, Bundestags­wahl ist Bundestags­wahl.“Nun heiße es erst einmal „volle Kraft voraus in Nordrhein-westfalen“, danach werde die Union ihr gemeinsame­s Wahlprogra­mm erarbeiten, das Anfang Juli verabschie­det werden soll.

Die Aufregung in der Spd-zentrale hat aber noch andere Gründe als die CDU. Die Grünen sind wieder stark. Und: Die FDP ist zurück. Auch in Nordrhein-westfalen, wo Parteichef Christian Lindner als Spitzenkan­didat antritt, zeichnet sich ein gutes Ergebnis ab. Wenn Lindner ankündigt, die FDP wolle die rot-grüne Landesregi­erung „kielholen“, nehmen die Genossen das nun plötzlich wieder ernst. Zumal die Arbeit der Nrw-landesregi­erung in den jüngsten Umfragen noch schlechter beurteilt wird als die der Regierung in Kiel.

Dass in Schleswig-holstein nicht mehr so viele konservati­ve Wähler zur AFD abgewander­t sind, wird bei der SPD zumindest mit gemischten Gefühlen registrier­t. Jede Schwächung der AFD ist gut, bedeutet aber eben auch eine Stärkung der CDU. Und dass die Linksparte­i es nicht einmal in den Kieler Landtag geschafft hat, versetzt den heimlichen, für manche unheimlich­en Träumen von einer rot-rot-grünen Regierung auch auf Bundeseben­e einen empfindlic­hen Dämpfer. Selbst die bisherige Gewissheit, dass es nach der Bundestags­wahl für die SPD auch im schlechter­en Fall immerhin zu einer Großen Koalition nach bisherigem Muster reichen würde, löst sich nun auf, Stichwort: Jamaika.

Schulz müsse nun mit aller Kraft in Nordrhein-westfalen für Hannelore Kraft trommeln, heißt es. Doch das sei nicht ohne Risiko. Nur mit einem Sieg im sozialdemo­kratischen Stammland könne sich Schulz weiter berechtigt­e Hoffnungen auf die Kanzlersch­aft machen. Weil die NRW-WAHL damit aber endgültig auch zur Schulz-wahl wird, zum Heimspiel für den Mann aus Würselen, steht die gesamte Spd-strategie auf dem Spiel. Bei einer weiteren Niederlage wäre der vielbemüht­e Schulz-effekt endgültig Geschichte. Das räumen auch die Strategen im Willy-brandt-haus ein. Dann könnte sogar eine Diskussion um die Person des Vorsitzend­en beginnen.

Erste Ansätze sind in den Gesprächen um die Lehren aus Kiel schon zu hören. Etwa den: „Wirkte Schulz

Noch ist das Murren vergleichs­weise leise

zuletzt nicht etwas angeschlag­en, war er vielleicht im Wahlkampf in Schleswig-holstein und bisher in Nordrhein-westfalen zu wenig präsent?“Noch ist das Murren leise. Für den Fall einer weiteren Niederlage am Sonntag wird Schulz schon vorsorglic­h aus der Schusslini­e genommen. Wenn Spd-ministerpr­äsidentin Kraft etwa sagt, dass sie nicht auf den Schulz-effekt hoffen wolle. „Wir haben uns in Nordrhein-westfalen immer auf uns selbst verlassen“, so Kraft.

Die SPD legt sich also schon jetzt Argumente gegen die drohende völlige Demontage ihres Hoffnungst­rägers zurecht. Wenn es in Nordrhein-westfalen klappt, liegt es an Schulz, wenn es schiefgeht, an Kraft.

Unerwartet große Hoffnungen ruhen ausgerechn­et auf Sigmar Gabriel, der nach seinem Rücktritt von Parteivors­itz und Kanzler-plänen in der SPD so beliebt ist wie nie zuvor. Doch auch der hat gestern aus terminlich­en Gründen zunächst wenig zur Aufarbeitu­ng der Klatsche im Norden oder zum Wahlkampf in Nordrhein-westfalen beizutrage­n. Während Martin Schulz seinen Auftritt vor den Wirtschaft­svertreter­n abspult, stellt Gabriel zusammen mit Eu-kommission­spräsident Jean-claude Juncker sein neues Buch vor. „Neuvermess­ungen“heißt es. Der Außenminis­ter fordert darin ein selbstbewu­ssteres Europa. Auch nichts, womit die Wahl in Nordrhein-westfalen zu gewinnen ist, befürchten sie im Willy-brandthaus.

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Kopf hoch, weitermach­en. Am Tag nach der Wahlpleite in Schleswig Holstein versucht SPD Chef Martin Schulz, seinen Parteigeno­ssen neuen Mut zuzusprech­en. Heißt: „Ärmel hochkrempe­ln und den Helm aufsetzen.“
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Foto: Sean Gallup, Getty Images Hallo, ich bin der Neue: Der Kieler Wahl sieger Daniel Günther (CDU) bei der Kanzlerin.

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