Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Für Frankreich beginnt mit dem eindrucksvollen Sieg von Emmanuelle Macron eine neue Ära Die Frau an „Ich werde euch mit Liebe dienen“der Seite des Präsidenten
Sie war seine Lehrerin – und ist es noch Neuanfang Am Tag nach der Wahl wird der künftige Präsident von seinem Vorgänger an die Hand genommen. Es geht um eine Zeremonie. Aber dann stehen Sachfragen an. Macrons erste Entscheidungen zeichnen sich ab
Paris Sichtlich bewegt, fast schon etwas eingeschüchtert betrat Brigitte Macron nach der Siegesrede ihres Mannes die Bühne. Vor zehntausenden Anhängern ergriff die 64-Jährige, gekleidet in einen langen Mantel mit Glitzerkragen, die Hand des frischgewählten französischen Präsidenten und winkte in die Menge. Doch die Anhänger riefen vergeblich „ein Kuss, ein Kuss“– zu große Ausgelassenheit wollten Frankreichs künftige Première Dame und ihr junger Mann am Abend des großen Sieges nicht zeigen. Denn das Paar zieht in schwierigen Zeiten in den Élyséepalast ein.
Frankreich ist gespalten und verunsichert, gezeichnet von Arbeitslosigkeit und Terrorgefahr. Das neue Präsidentenpaar aber will Optimismus verbreiten – und zeigt mit seiner eigenen Geschichte, dass sich viele Hindernisse überwinden lassen. Denn die Ehefrau des neuen Staatschefs ist nicht nur 25 Jahre älter als ihr Mann. Sie war zu Schulzeiten auch seine Lehrerin.
Magazine in aller Welt berichteten über „Bibi“und „Manu“. Zu verlockend ist die Geschichte über den Politik-jungstar, der sich als Jugendlicher in seine verheiratete Lehrerin verliebte, deren Kinder so alt sind wie er und die heute sieben Enkelkinder hat. Am Sonntagabend stand die Patchwork-familie vor dem Louvre auf der Bühne und sang die französische Nationalhymne.
Brigitte Macron saß im Wahlkampf stets in der ersten Reihe. Sie war ihrem Mann eine wichtige Beraterin, bereitete seine Auftritte mit vor, feilte an seinen Reden. Manchmal wirkte es, als sei sie noch immer seine Lehrerin – wie einst am Jesuitengymnasium La Providence im nordfranzösischen Amiens, wo sich die beiden kennenlernten. Paris Väterlich fasst Präsident François Hollande seinen jungen Nachfolger am Arm, tätschelt ihn am Rücken. Dieser blickt den scheidenden Amtsinhaber bewegt, fast dankbar an und lässt sich von ihm zum Triumphbogen auf den Champs-élysées führen. Bis vor die Flamme des unbekannten Soldaten, wo an jedem 8. Mai eine symbolische Zeremonie stattfindet. Es ist der Tag der Befreiung von den Nazis. Dieses Mal scheint das Datum auch noch eine ganz andere Bedeutung zu erhalten.
Ausgerechnet hier und zu diesem Anlass tritt Emmanuel Macron zum ersten Mal nach seinem Wahlsieg am Sonntag auf – jener Politiker, der einen Neuanfang wagen und Geschichte mit Moderne verbinden will. Mehr noch, Macron hat den Franzosen versprochen, sie in eine neue Ära zu führen. Der 39-Jährige, der seine Bewegung „En marche!“(Vorwärts!) erst vor gut einem Jahr gegründet hat, will Schluss machen mit der Konfrontation der politischen Parteien. Er will in der Mitte regieren. Er will dem Land, das seit Jahren in einem wirtschaftlichen und moralischen Tief steckt, wieder Schwung und Optimismus vermitteln. „Die Aufgabe ist riesig“, verkündete Macron im Moment seines Triumphs am Sonntagabend vor zehntausenden jubelnden Anhängern auf dem Platz vor dem Louvre. „Ich will die Einheit unseres Volkes und unseres Landes. Ich werde euch mit Liebe dienen.“
Sein hohes Ergebnis von 66 Prozent, das weiß Macron, verdankt er teilweise auch dem Umstand, dass viele verhindern wollen, dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen an die Macht kommt. Dass er den großen Herausforderungen gewachsen ist, denen sich Frankreich gegenübersieht, muss er erst noch beweisen. Und so verfällt er am Tag darauf nicht in einen Siegestaumel. Bescheiden und mit feierlichem Ernst nimmt Macron vor der historischen Kulisse und an der Seite von Hollande seine ersten Handlungen als frisch gewählter Staatschef vor. Gemeinsam entfachen sie die Flamme unter dem Triumphbogen neu, bevor die Marseillaise erklingt. Die beiden werden flankiert von der alten Garde der Politiker, die von den Wählern abgestraft wurde. Im Publikum sitzen jene, die seit Jahren Frankreichs Politik bestimmen und gerne an die Staatsspitze zurückgekehrt wären: vom konservativen Ex-präsidenten Nicolas Sarkozy bis zum früheren sozialistischen Premierminister Manuel Valls.
Sie alle hat Macron überholt, auch an seinem Mentor Hollande ist er vorbeigezogen. Dieser gibt sich versöhnlich, ja sogar stolz. „Emmanuel Macron ist mir die ganzen letzten Jahre gefolgt. Er hat sich dann emanzipiert und nun ist es an ihm, Präsident zu sein, auch mit den Er- fahrungen, die er an meiner Seite machen konnte“, sagt der erfahrene Staatschef über den jungen Politstar. Diesen hatte er nach seiner eigenen Wahl 2012 zunächst als Wirtschaftsberater angestellt und zwei Jahre später zum Wirtschaftsminister gemacht, bis Macron beschloss, seinen eigenen Weg zu gehen. Selbst Vertraute Hollandes, die in diesem Vorgehen einen illoyalen Alleingang sahen, finden nun lobende Worte. „Bravo, sein Sieg ist ein verrücktes Abenteuer“, erklärte die bisherige Gesundheitsministerin Marisol Touraine.
Macron wird nun Präsident mit nicht einmal 40 Jahren, dabei hätte noch vor zwölf Monaten niemand einen Penny auf ihn gesetzt. Erste Entscheidungen zeichnen sich ab. Den Vorsitz seiner Bewegung wird Macron abgeben. Im neuen Kabinett soll strikte Geschlechtergleichheit gelten. Auch soll die halbe Regierung aus Vertretern der Zivilgesellschaft bestehen.
Doch bei den Parlamentswahlen im Juni könnte es zu einem erneuten Stühlerücken kommen. Dann muss der Präsident mit der Partei regieren, die die Mehrheit in der Nationalversammlung erhält. Obwohl erst in dieser Woche alle Kandidaten von „En marche!“bekanntgegeben werden, steht die Partei in Umfragen gut da: Demnach könnte sie mit rund 24 Prozent sogar siegen. Es wäre ein weiterer großer Vertrauensbeweis für Macron.
Doch sind die Franzosen dazu bereit? Zwar feierten ihn Tausende enthusiastisch als neuen Hoffnungsträger. Mehr als vier Millionen Menschen, also zwölf Prozent aller Wähler, haben aber einen leeren Stimmzettel in die Urne geworfen. Sie wollten signalisieren, dass sie hinter keinem der beiden Kandidaten stehen. Rund ein Fünftel ging gar nicht erst wählen. Die ganze Kampagne über war Macron scharfen Angriffen von allen Seiten ausgesetzt. Viele fürchten sich vor seiner ultraliberalen Politikauffassung.
Und was ist mit all jenen, die für seine Gegnerin stimmten? Der Philosoph Raphaël Glucksmann sieht keinen Anlass für Jubel-arien, weil sich die Franzosen gegen Abkapselung und Hass, was Le Pen vertritt, und für Macrons liberale Weltoffenheit entschieden haben: „Wir haben den klinischen Tod verhindert, aber die Krankheit besteht weiter.“Er meint damit die Ursachen für die doch beträchtliche Stimmenzahl der Rechtspopulistin und die Zerrissenheit des Landes. Während Städter in überwältigender Mehrheit Macron wählten, erhielt Le Pen in vielen Landstrichen in der Provinz Zustimmung. Führungskräfte votierten für Macron, Arbeiter für Le Pen. „Es ist unendlich viel leichter für einen Bewohner eines modernen Pariser Stadtviertels, das europäische Projekt zu loben, als für einen Arbeitslosen, dessen Fabrik nach Rumänien ausgelagert wurde“, so Glucksmann.
Das Hauptversprechen des künftigen Staatschefs ist, der Wirtschaft schnell zu einem Aufschwung zu verhelfen. Reformen des Arbeitsrechtes und der Arbeitslosenversicherung könnten bereits in den kommenden Monaten anstehen. Sie drohen aber auf Widerstand zu stoßen, zumal Macron sie teilweise mithilfe von Verordnungen umsetzen will, um Zeit zu sparen. So sollen Unternehmen von einer Senkung der Sozialabgaben und der Körperschaftsteuer profitieren. Ob und wie schnell dies zur Belebung der Wirtschaft führt, wird sich zeigen.