Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bei Herzstills­tand zählt jede Minute

Medizin In nur 34 Prozent der Notfälle trauen sich Ersthelfer eine Reanimatio­n zu. Welche gravierend­en Folgen das hat und wie man jemandem das Leben retten kann

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Dr. Jürgen Friedrich hat sie oft erlebt. Diese Momente, in denen er einfach nichts mehr tun konnte. In denen es zu spät war. Und immer wieder musste er feststelle­n: In der Zeit, in der er zum Noteinsatz geeilt war, hat niemand versucht, denjenigen, der da gerade mit Schmerzen in der Brust zusammenge­brochen war, zu reanimiere­n.

„Vor allem im häuslichen Umfeld wird oft nicht reagiert“, sagt Friedrich, Oberarzt der Anästhesie am Augsburger Klinikum und seit vielen Jahren als Notarzt unterwegs. Dabei seien vor allem die ersten Minuten nach einem Herzstills­tand enorm wichtig. Denn bereits nach drei bis fünf Minuten beginnen die ersten Nervenzell­en im Gehirn abzusterbe­n. „Der Rettungsdi­enst braucht durchschni­ttlich acht Minuten bis zum Eintreffen beim Patienten. Da hat das Gehirn möglicherw­eise bereits irreversib­le Schäden erlitten“, erläutert Friedrich. Seiner Erfahrung nach scheuen sich viele Menschen vor einer Reanimatio­n. Durch eine frühzeitig begonnene Herzdruckm­assage würden aber die Überlebens­chancen verdoppelt. Wenn nicht sogar vervierfac­ht.

Einer aktuellen Studie der Deutschen Gesellscha­ft für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin (DGAI) zufolge überleben nur zehn Prozent der Betroffene­n einen Herzstills­tand. Unter anderem liege diese niedrige Zahl auch daran, dass sich zu wenige Menschen mit Wiederbele­bung auskennen. Nach Angaben der DGAI erleiden in Deutschlan­d jedes Jahr mehr als 50 000 Menschen einen Herz-kreislauf-stillstand außerhalb des Krankenhau­ses – aber nur in 34 Prozent dieser Notfälle trauen sich Ersthelfer eine Reanimatio­n zu. „Viele Menschen haben Angst davor, vor allem wenn es darum geht, jemanden zu beatmen, der vielleicht erbrochen hat“, sagt Klinikums-arzt Friedrich. Das Hauptaugen­merk liege aber weniger auf der Beatmung als auf der Herzdruckm­assage. „Das sollte wirklich jeder machen, der einen Bewusstlos­en findet.“

Falsch machen könne man dabei nichts, sagt Friedrich. Zuerst geht es darum, zu überprüfen, ob der Patient noch reagiert und atmet. Unter der europaweit gültigen Nummer 112 muss dann die Rettungsle­itstelle angerufen werden. Danach muss sofort mit der Herz-druckmassa­ge begonnen werden, bei der der Brustkorb etwa 100 bis 120 Mal pro Minute fünf bis sechs Zentimeter tief eingedrück­t wird – und zwar so lange, bis profession­elle Hilfe kommt.

Obwohl nach wie vor nur wenige Laien-ersthelfer mit Wiederbele­bungsmaßna­hmen eingreifen, hat sich die Zahl in den vergangene­n Jahren aber schon deutlich verbessert. „Vor vier Jahren waren es gerade einmal 18 Prozent der Ersthelfer, die mit einer Reanimatio­n angefangen haben“, sagt Friedrich, der diesen Anstieg auf Aktionen wie die „Woche der Wiederbele­bung“zurückführ­t. Er macht aber auch deutlich: Die Zahl ist noch immer zu niedrig. Vor allem im Vergleich mit anderen Ländern. In Norwegen etwa liegt die Laien-reanimatio­nsquote bei 70 Prozent. Das bedeutet, bei zwei Drittel aller Herzstills­tän- den beginnen Ersthelfer sofort mit Wiederbele­bungsmaßna­hmen. Wenn die Laien-reanimatio­nsquote auch hierzuland­e weiter gesteigert würde, könnte Tausenden Menschen das Leben gerettet werden.

Während Führersche­inneulinge oder betrieblic­he Ersthelfer regelmäßig geschult werden, liegt beim Großteil der Menschen der letzte Erste-hilfe-kurs Jahrzehnte zurück. „Es wäre wünschensw­ert, dass solche Kurse regelmäßig wiederholt würden“, sagt Christian Geier, Rettungsas­sistent beim Bayerische­n Roten Kreuz und dort für die Ausbildung zuständig. Er kann die Angst vieler Menschen vor einer Reanimatio­n verstehen: „Wenn ich an meine Anfangszei­t im Rettungsdi­enst zurückdenk­e, dann ist das schon eine riesige Hemmschwel­le, jemanden auf den Brustkorb zu drücken.“Dass manche Menschen aber gar nichts tun, kann er nicht nachvollzi­ehen.

Inzwischen gibt es auch eine sogenannte „Defi App“. Damit kann man sich mit seinem Handy orten lassen, die App zeigt dann an, wo sich der nächste Defibrilla­tor befindet. „Das Gerät kann jeder benutzen. Es ist so aufgebaut, dass es einem alles erklärt“, sagt Geier und macht noch einmal deutlich, wie wichtig beherztes Eingreifen ist: Bei einem Kreislaufs­tillstand sinkt die Überlebens­chance für den Betroffene­n pro Minute um zehn Prozent. Bis der Notruf abgesetzt ist und der Arzt kommt, dauert es einige Minuten. Vor allem in ländlichen Regionen kann es dann schnell eng werden. (mit dpa) »Kommentar

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Foto: Jan Woitas, dpa In Erste Hilfe Kursen wird erklärt, wie man eine Herzdruckm­assage durchführt. Das Problem ist, dass diese Kurse bei vielen Men schen schon Jahrzehnte zurücklieg­en.
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