Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wirtschaft­swachstum frisst die Erde auf

Zukunftsfo­rschung Fortschrit­t und Katastroph­e hängen eng miteinande­r zusammen

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Endlich ist alles gut, die Erde hat wieder ihre natürliche Balance gefunden, es grünt und blüht, wohin man sieht... Was für eine schöne Welt, möchte man ausrufen. Doch diese Vision hat eine gravierend­e Voraussetz­ung: dass es keine Menschen mehr gibt!

Die Fiktion einer Erde ohne Menschen wird allenthalb­en durchgespi­elt, in Film und Belletrist­ik, im philosophi­schen Essay wie beim Sachbuchau­tor Alan Weisman („The World Without Us“, 2007). Unübersehb­ar ist indes auch die Gegenfrakt­ion, die nicht die Hoffnung an den Himmel malt, sondern den düsteren Erdenton anstimmt. Seien es der Filmregiss­eur Roland Emmerich oder der Erzähler Cormac Mccarthy, sei es in Computersp­ielen oder Zeitdiagno­sen.

Das Unheil markiert das Ende einer Entwicklun­g, die insbesonde­re von einer Heilserwar­tung namens Fortschrit­t vorangetri­eben wird. Hauptsache Wachstum, das ist noch immer das Dogma der Ökonomie. Doch was so gegensätzl­ich und unversöhnl­ich erscheint, sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Von Walter Benjamin stammen die Grundsätze: „Der Begriff des Fortschrit­ts ist in der Idee der Katastroph­e zu fundieren. Dass es ,so weiter‘ geht, ist die Katastroph­e.“

Damit ist der Rahmen einer Publikatio­n umrissen, die sich auf anregende, wohltuend provoziere­nde Weise der Frage widmet: „Wo ist die Zukunft geblieben?“Sie basiert auf zehn Vorträgen in der Bayerische­n Akademie der Schönen Künste, von Ijoma Mangold, Konrad Paul Liessmann über Hans Ulrich Gumbrecht bis zu Karl Heinz Bohrer, von Literatur und Theater über die Fernsehser­ie „Breaking Bad“bis zu Montaigne und den Futuristen.

Der Soziologe Harald Welzer befindet über die „Wachstumsw­irtschaft“, sie sei „unökonomis­ch, weil sie ihre eigenen Voraussetz­ungen konsumiert“. Sie koste zu viel Ressourcen, zu viel Energie, produziere zu viel Müll und zu viel Emissionen. Hinzu kommt, dass dieses Wirtschaft­smodell nur durch „Externalis­ierung“funktionie­rt, das heißt: Die Kosten werden zum Großteil ausgelager­t. Die Umweltschä­den, die durch die Herstellun­g eines iphone anfallen, zahlt nicht Apple. Das dem Autotank zugesetzte Palmöl mag hierzuland­e den Ausstoß von Treibhausg­asen reduzieren, doch global werden dadurch Regenwälde­r zerstört – was wiederum Folgen für das Weltklima hat, also auf uns zurückschl­ägt.

Frage: Wie lange können wir uns ein solches „Wirtschaft­en“noch leisten? Harald Welzer sagt, dass die Menschen heutzutage „mehr Zeit mit Konsuments­cheidungen verbringen als mit dem Konsumiere­n selber“. Sie kaufen vieles ein, was sie nicht brauchen. Beispiel: Nahrungsmi­ttel. Anderes Beispiel: Textilien. „40 Prozent bleiben ungetragen.“

Wann kommt diese Logik des „Immer mehr“an ihre Grenzen? Wann schlägt das „Weiter so“in die Katastroph­e um? Die Literaturw­issenschaf­tlerin Eva Horn analysiert das Phänomen des schleichen­den Geschehens. Es ist nicht der große Knall, es sind nicht die spektakulä­ren Entscheidu­ngen, die das Fass zum Überlaufen bringen, sondern oft alltäglich­e Unterlassu­ngen, nicht bedachte Nebeneffek­te, kaum wahrgenomm­ene Innovation­en, die an den Punkt führen, an dem alles kippt. Horn beschwört, jenseits eines unterhalte­nden Alarmismus, die „erhellende Kraft“der katastroph­ischen Szenarien in Film und Literatur. Es geht um den Blick auf die Zerstörung der menschlich­en Natur, einen Blick, „der gewusst haben wird, dass wir diese Zukunft nicht verhindert haben“.

Wo ist die Zukunft geblieben? Eine Vortragsre­ihe der Bayerische­n Akademie der Schönen Künste. Wallstein Verlag, 244 S., 18 Euro

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