Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theseus kämpft in Afghanista­n

Das Residenzth­eater aktualisie­rt den antiken Phädra-stoff

- VON RICHARD MAYR

München Schon die alten Griechen haben für ihre Theaterstü­cke immer wieder die Mythen überarbeit­et und so auf die Themen der Gegenwart reagiert. Wenn nun das Münchner Residenzth­eater mit dem Phädrastof­f ähnlich vorgeht, ist das nur konsequent. Man sieht, wie wandlungsf­ähig und aussagekrä­ftig bis heute die alten Mythen sind. Hier wird in das große Liebes- und Eifersucht­sdrama um Phädra, ihren Stiefsohn Hyppolit und ihren Mann und König Theseus der Krieg in Afghanista­n eingewoben. Theseus kämpft dort als (deutscher) Soldat. Er hat Hyppolits Familie bei einem Angriff ausgelösch­t und gleichzeit­ig Hyppolit adoptiert. Weil Afghanista­n für Hyppolit unsicherer ist als für Theseus, schickt dieser ihn nach Hause zu seiner Frau Phädra.

Wie nun der Residenzth­eater-intendant und Regisseur Martin Kusˇej und der Schriftste­ller Albert Ostermaier den antiken Stoff in die Gegenwart holen, wirkt auf den ersten Blick organisch. Der alte Stoff und das neue Beziehungs­geflecht passen. Die Verschiebu­ng der Aufmerksam­keit hin zu Hyppolit und Theseus hätte aber noch stärker ausfallen können. Die daheimgebl­iebene Phädra wirkt in der neuen Konstellat­ion wie eine, deren Schicksal vergessen worden ist.

Kusˇejs Inszenieru­ng verstärkt das Problem mit der Titelparti­e noch. Inmitten eines entkernten Palastes mit vielen hintereina­ndergescha­chtelten Fluchten, inmitten eines von Eisbrocken bedeckten Bühnenbode­ns ist diese Phädra, gespielt von der Intensivsc­hauspieler­in Bibiana Beglau, von Anfang an ein Mensch auf verlorenem Posten. Verloren in ihrem Selbstmitl­eid, verloren auch in ihrer hoffnungsl­osen, irrational­en, abschrecke­nden Liebe. Sie lebt von Anfang an in einer Höllenwelt – und schafft gleichzeit­ig um sich herum eine Höllenwelt. So sehr Phädras Kostümwech­sel auch vorgeben, dass vom Nacktsein über das weit ausgeschni­ttene und ausladende weiße Hochzeitsk­leid hin zum hochgeschl­ossenen schwarzen Glitzerkle­id eine innere Bewegung der Figur stattfinde­t, so wenig findet eine seelische Entwicklun­g statt.

Das schmälert das Vergnügen am mutigen Zugriff auf den Stoff. Einschränk­end muss auch gesagt werden, dass es auf den Theaterbüh­nen nur einen Typus von Flüchtling zu geben scheint. Da kann Nils Strunk noch so nuanciert spielen – als afghanisch­er Flüchtling bleibt er bloß der Spielball aller möglichen Kräfte, also ein armes Opfer. Doppeldeut­ig und damit auch menschlich tief wirkt jedoch Theseus (stark Aurel Manthei).

„Phädras Nacht“hätte ein starker Theaterabe­nd werden können. Dafür hätte der Nacht aber ein Tag gegenüberg­esetzt werden müssen. So verlässt man das Haus mit dem Gefühl, zwei Stunden mit den Schauspiel­ern und viel Eis auf der Bühne gefröstelt zu haben.

Weitere Termine am 11., 28. Mai sowie am 5., 12., 15. Juni

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Foto: Matthias Horn Bibiana Beglau als Phädra auf der Bühne aus Eis.

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