Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Theseus kämpft in Afghanistan
Das Residenztheater aktualisiert den antiken Phädra-stoff
München Schon die alten Griechen haben für ihre Theaterstücke immer wieder die Mythen überarbeitet und so auf die Themen der Gegenwart reagiert. Wenn nun das Münchner Residenztheater mit dem Phädrastoff ähnlich vorgeht, ist das nur konsequent. Man sieht, wie wandlungsfähig und aussagekräftig bis heute die alten Mythen sind. Hier wird in das große Liebes- und Eifersuchtsdrama um Phädra, ihren Stiefsohn Hyppolit und ihren Mann und König Theseus der Krieg in Afghanistan eingewoben. Theseus kämpft dort als (deutscher) Soldat. Er hat Hyppolits Familie bei einem Angriff ausgelöscht und gleichzeitig Hyppolit adoptiert. Weil Afghanistan für Hyppolit unsicherer ist als für Theseus, schickt dieser ihn nach Hause zu seiner Frau Phädra.
Wie nun der Residenztheater-intendant und Regisseur Martin Kusˇej und der Schriftsteller Albert Ostermaier den antiken Stoff in die Gegenwart holen, wirkt auf den ersten Blick organisch. Der alte Stoff und das neue Beziehungsgeflecht passen. Die Verschiebung der Aufmerksamkeit hin zu Hyppolit und Theseus hätte aber noch stärker ausfallen können. Die daheimgebliebene Phädra wirkt in der neuen Konstellation wie eine, deren Schicksal vergessen worden ist.
Kusˇejs Inszenierung verstärkt das Problem mit der Titelpartie noch. Inmitten eines entkernten Palastes mit vielen hintereinandergeschachtelten Fluchten, inmitten eines von Eisbrocken bedeckten Bühnenbodens ist diese Phädra, gespielt von der Intensivschauspielerin Bibiana Beglau, von Anfang an ein Mensch auf verlorenem Posten. Verloren in ihrem Selbstmitleid, verloren auch in ihrer hoffnungslosen, irrationalen, abschreckenden Liebe. Sie lebt von Anfang an in einer Höllenwelt – und schafft gleichzeitig um sich herum eine Höllenwelt. So sehr Phädras Kostümwechsel auch vorgeben, dass vom Nacktsein über das weit ausgeschnittene und ausladende weiße Hochzeitskleid hin zum hochgeschlossenen schwarzen Glitzerkleid eine innere Bewegung der Figur stattfindet, so wenig findet eine seelische Entwicklung statt.
Das schmälert das Vergnügen am mutigen Zugriff auf den Stoff. Einschränkend muss auch gesagt werden, dass es auf den Theaterbühnen nur einen Typus von Flüchtling zu geben scheint. Da kann Nils Strunk noch so nuanciert spielen – als afghanischer Flüchtling bleibt er bloß der Spielball aller möglichen Kräfte, also ein armes Opfer. Doppeldeutig und damit auch menschlich tief wirkt jedoch Theseus (stark Aurel Manthei).
„Phädras Nacht“hätte ein starker Theaterabend werden können. Dafür hätte der Nacht aber ein Tag gegenübergesetzt werden müssen. So verlässt man das Haus mit dem Gefühl, zwei Stunden mit den Schauspielern und viel Eis auf der Bühne gefröstelt zu haben.
Weitere Termine am 11., 28. Mai sowie am 5., 12., 15. Juni