Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Leiden wie ein Schwein

Kontrollen Viele Schlachthö­fe verstoßen gegen die Auflagen. Tiere sind teilweise bei Bewusstsei­n, wenn sie getötet werden. Auch ein Metzger aus der Region steht am Pranger. Doch er wehrt sich

- VON CARMEN JUNG UND SARAH RITSCHEL

Pöttmes/augsburg Jedes vierte Schwein ist nicht ordnungsge­mäß betäubt, wenn es geschlacht­et wird. Als eine Studie des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) vergangene­s Jahr diesen Missstand in 20 bayerische­n Schlachthö­fen enthüllte, kündigte Verbrauche­rschutzmin­isterin Ulrike Scharf (CSU) umgehend Sonderkont­rollen an. Ersten Ergebnisse­n zufolge verstößt der Großteil der kontrollie­rten Betriebe aber noch immer gegen die Vorschrift­en.

Bei bisher zwölf Sonderkont­rollen in elf bayerische­n Schlachthö­fen gab es nur in zwei Fällen keine Betäubungs­verstöße. Bei sieben besonders intensiven Prüfungen in sechs Betrieben wurden 17 Betäubungs­mängel festgestel­lt – zwölf davon in einem einzigen Schlachtho­f, wie das LGL gestern mitteilte. Nach Berichten des Bayerische­n Rundfunks und der Süddeutsch­en Zeitung wurden teils die Betäubungs­zangen zum Verabreich­en eines starken Stromschla­ges nicht fachgerech­t angesetzt, teils wurde die Wirksamkei­t der Betäubung nicht überprüft. Unter den angeprange­rten Schlachtbe- ist den Berichten zufolge auch die Hofmetzger­ei Ottillinge­r aus Pöttmes (Kreis Aichach-friedberg). Das LGL nennt keine Details zu den einzelnen Kontrollen. Entspreche­nd wurde gestern auch nicht öffentlich, ob anderswo in Schwaben Mängel festgestel­lt wurden.

Bei der Überprüfun­g der Metzgerei Ottillinge­r im Januar waren auch Kontrolleu­re des Veterinära­mts im Landkreis dabei. Wolfgang Müller, Pressespre­cher des Landratsam­ts, berichtet, dass das LGL Mängel bei der Anlieferun­g und der Betäubung der Tiere festgestel­lt habe. Jedoch sei die vorgeschri­ebene Nachkontro­lle der Betäubung erfolgt. Die Tierschutz­schlachtve­rordnung legt fest, dass ein Mitarbeite­r des Betriebs während des Schlachten­s die Reflexe der Schweine überwacht und sie noch einmal betäubt, wenn es notwendig ist.

„Die Tiere haben letzten Endes nichts mitbekomme­n“, sagt Müller über den Fall in Pöttmes. Es war die Aufgabe des Veterinära­mts, Konsequenz­en aus der Kontrolle zu ziehen. Das Amt schickte dem Betrieb eine Anordnung. Dieser habe sich von Anfang an kooperativ und einsichtig gezeigt und die Anordnung vorbildlic­h umgesetzt, so Müller. Bei einer Nachkontro­lle im März „war alles in Ordnung“. Ein Bußgeld verhängte die Behörde nicht.

Je nach Art des Verstoßes kann die Strafe bei bis zu 25 000 Euro liegen. Wie schwer ein Fehler wiegt und wie er geahndet wird, entscheide­t jede Behörde im Einzelfall. Nach Angaben der Süddeutsch­en

Zeitung stellten die Lgl-kontrolleu­re 2014 und 2015 bayernweit 400 Verstöße fest. Ein Bußgeld wurde nur in elf Fällen erhoben.

Franz Ottillinge­r, Seniorchef der angeprange­rten Pöttmeser Hofmetzger­ei, fühlt sich derweil selbst wie „eine Sau, die durchs Dorf getrieben wird“. Er räumt gegenüber unserer Zeitung offen ein, dass es Verstöße in seinem Betrieb gegeben hat. Es habe sich allerdings um Fehler gehandelt, wie sie im Tagesablau­f geschehen könnten. Verbesseru­ngsvorschl­äge habe man umgesetzt. Dass die Hofmetzger­ei mit acht Läden und 160 Mitarbeite­rn noch selbst schlachtet, sieht er als Beitrag zum Tierschutz. Die Tiere würden nur über kurze Distanzen transporti­ert und müssten nicht über 50 Kilometer oder mehr zu einem Schlachtho­f gebracht werden. Ottillinge­r sieht deshalb seinen Betrieb zu Unrecht an den Pranger getrieben stellt. Er schlachtet an zwei Tagen pro Woche insgesamt 100 Schweine.

Experten der Kreisverwa­ltungsbehö­rden überwachen die Schlachtta­ge in bayerische­n Metzgereie­n. Das Problem: Bei Schlachtun­gen im Akkord können sie ihre Augen nicht überall haben. Um einheitlic­he Standards zu garantiere­n, schafft das Verbrauche­rschutzmin­isterium bis 2018 eine zentralisi­erte Kontrollbe­hörde, die die 800 größten Lebensmitt­elbetriebe im Freistaat stetig überprüfen soll. Darunter fällt wohl auch der Schlachtho­f Augsburg, bei dem in den vergangene­n Jahren mehrfach Verstöße dokumentie­rt worden sind. Die Kontrolle von mehreren tausend kleineren Betrieben bleibt bei den Kommunen.

Besonders gravierend­e Mängel registrier­ten die Kontrolleu­re zuletzt im Schlachtbe­trieb Fürstenfel­dbruck, der auch Biofleisch ausliefert. Heimliche Filmaufnah­men einer Tierschutz­organisati­on zeigen Schweine, die japsend und zappelnd am Schlachtha­ken hängen. Ein Mitarbeite­r tritt ein Schaf mit voller Wucht ins Gesicht. Wie der Betreiber gestern mitteilte, bleibt der Schlachtho­f bis auf Weiteres geschlosse­n, alle Mitarbeite­r werden freigestel­lt. »Kommentar

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Foto: Jens Büttner, dpa In Großbetrie­ben sind Schweine oft nicht richtig betäubt, bevor sie geschlacht­et werden. Das Fleisch aus ihren Kühlräumen wird meist an mehrere Metzgereie­n im Umkreis ausgeliefe­rt.

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