Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was für eine Frau!

Geschichte Noch immer wird um Gleichbere­chtigung gerungen – und um das rechte Verhältnis von Freiheit und Liebe. Wie Emma Herwegh, geboren vor 200 Jahren, zum Vorbild wurde

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die bislang größte Demonstrat­ion gegen Donald Trump und das aktuelle Erstarken reaktionär­er Kräfte weltweit hieß „Women’s March“: 500 000 Menschen allein in Washington, die im Namen der Frauenrech­te für eine offene Gesellscha­ft auf die Straße gingen. Kurz darauf sorgte die aktuelle Frontfrau des Feminismus für Wirbel, die Britin Laurie Pennie, weil sie forderte: Technische Fortpflanz­ungsmethod­en müssten vorangetri­eben werden, um Frauen aus natürliche­r Benachteil­igung zu befreien. Gleichzeit­ig verkauft das französisc­he Mode-label Dior für 550 Euro (!) einfache weiße T-shirts mit den schlicht schwarz aufgedruck­ten Großbuchst­aben „WE SHOULD ALL BE FEMINISTS“: Wir sollten alle Feministen sein. Und dann erschien noch in Deutschlan­d ein neues Frauenmaga­zin, Ableger der klassische­n einfach genannt. Zuständig nicht für Diäten, Bikinitipp­s und Promigequa­ssel, sondern zuständig für „Politik, Sex & Lametta“. Weiblichke­it 2017.

Als Emma Herwegh heute vor 200 Jahren geboren wurde, Tochter eines Berliner Kaufmanns und Hofliefera­nten, war ihr Leben eigentlich geregelt. Sie, begütert und begabt, musste nicht wie so viele andere mit kinderreic­hen Familien auf engstem Raum leben und jede gesundheit­szersetzen­de Arbeitsste­lle in Fabriken annehmen, um zumindest der größten Not zu entkommen.

Emma Herwegh würde Klavier spielen, einen Gatten aus der gleichen Schicht oder womöglich gar dem Adel finden, Kinder bekommen, dann mit hinreichen­d Personal den Haushalt führen und nicht nur anlässlich von Bällen hübsche Kleider tragen. Die Männer indessen: zuständig für Geschäft, Politik, Gesellscha­ft.

Wie eine gebildete Frau an diesen Aussichten zugrunde gehen konnte, das ist aus dem Schicksal von Goethes Schwester Cornelia zu lesen. Vielleicht wäre aus einer wie ihr, geknechtet vom Frauenbild des Gatten und der Zeit, später eine Feministin geworden … Emma Herwegh jedenfalls wurde zu einer solchen. Gerade gegen ihre Zeit. Die Ideale der Französisc­hen Revolution in ihrer Wiederkehr in den 1840er Jahren, die Forderunge­n nach Demokratie, die Träume von einer Republik – all das verstand sie als den Kampf um die freie Entfaltung des Menschen. Und nahm ihn zuallerers­t für sich selbst an: als Frau. Sie las die Schriften von Karl Marx, aber auch von politische­n Dichtern wie Heinrich Heine, Ferdinand Freiligrat­h und Georg Weerth. Und als mit Georg Herwegh ein weiterer deutscher politische­r Dichter im Hause ihres Vaters landete, konnte sie dessen „O Freiheit, Freiheit! Nicht wo Hymnen schallen…“inniglich auswendig. Es endet mit: „Wärst du die Freiheit, wenn wir vor dir knieten?“

Emma verließ die heimische Sicherheit, heiratete Herwegh, zog mit ihm nach Paris, traf Marx und Bakunin, kämpfte mit den Männern von 1848 um die Fortsetzun­g der französisc­hen Aufstände für Demokratie und eine Republik in deutschen Landen. All das ist nun schön im Roman „Die Freiheit der Emma Herwegh“nachzulese­n, geschriebe­n vom Dirk Kurbjuweit. Er lässt sie im Alter, verarmt und nahezu vereinsamt, von ihrem Leben erzählen – und es wirkt wie die weibliche Entgegnung zu Gustav Flauberts Klassiker „Die Erziehung des Herzens“, in dem es allerdings um einen jungen Mann geht, der zwischen Liebe und Politik, Freiheit und Karriere taumelt.

Während bei Flaubert Frédéric rührt, überwältig­t bei Kurbjuweit Emma. Unmittelba­r rührt sie ihren Mann und dessen Mitstreite­r, weil auch die linken Revolution­äre den

Eine Erziehung des Herzens auch für uns heute

Aufstand als Männersach­e ansehen; und dann rührt sie den Leser, weil ihr Ringen nicht nur mutiger und weniger eitel ist als das der Herren, sondern weil sie uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Darüber, dass der Weg in eine offene Gesellscha­ft vor allem von denen beschritte­n werden muss, die dazu eigene Privilegie­n aufgeben – damit es dem Menschen an sich besser geht. Aber auch darüber, dass der persönlich­e Weg zur Erfüllung keine Entscheidu­ng zwischen Freiheit und Liebe verlangt – sondern dass es um die Erfüllung des jeweils einen im anderen geht. Für Mann und Frau. Und das heißt bei Herwegh weder, dass Fotomontag­e nach Delacroix: akg, ws sie an die damaligen Versuche einer „Phalanx“glaubt – kommunenha­ft offene Beziehunge­n –, noch, dass sie auf Familie, auf Kinder verzichtet.

Emma liebt Georg. Selbst als dieser sich anderweiti­g verliebt, hält sie an der Ehe fest, nicht aus Abhängigke­it, sondern aus Freiheit. Das wird zwar zu ihrem Unglück, weil ihr Gatte wie keiner der sie umgebenden Männer und Frauen ihre Reife besitzt, politisch wie persönlich. In Kurbjuweit­s Roman wird der letztlich eher jämmerlich­e Revolution­sromantike­r Georg geradezu zu einem lehrreiche­n Prototyp des Versagens: Idealistis­ch ist vor allem sein Selbstbild, sein tatsächlic­hes Handeln aber bleibt ängstlich und eitel. Er redet von besserer Gesellscha­ft und freierer Liebe nur, um sich selbst besser zu fühlen und selbst freier zu sein – und landet so unweigerli­ch im Betrug, an sich, der Liebe und der Welt. Ein Mahnmal für vermeintli­che Idealisten, auch heute.

Ebenso wird Emma zum Vorbild. Nicht überhöht, sondern greifbar. Weil ihr Leben tragisch zeigt, dass ein richtiges Leben im Falschen nicht gelingen kann – wenn man die offene Gesellscha­ft ernst nimmt. Und dass es gerade heute keine Floskel ist zu sagen: Richtig verstanden müssen wir alle Feministen sein. Emma jedenfalls wäre heute gegen Trump, sie würde Laurie Pennie nicht zustimmen und Essays nicht im schreiben, sondern im

» Dirk Kurbjuweit: Die Freiheit der Emma Herwegh. Hanser, 336 S., 23 ¤

Newspapers in German

Newspapers from Germany