Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Goldenen Zwanziger der jüdischen Kultur

Religion In der Weimarer Republik erlebte die deutsch-jüdische Identität ein Comeback. Machte das blind für die Ereignisse von 1933?

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Augsburger Synagoge ist ein besonderes Juwel. Nicht nur wurde sie mitten im Ersten Weltkrieg eröffnet, sie war auch die letzte, die üppig im orientalis­ch-byzantinis­chen Stil samt Kuppel erbaut wurde. Zu dieser Rundbau-generation zählen außer ihr nur die Mainzer Synagoge von 1912, die Offenbache­r (1916) und die 1913 eingeweiht­e „jüdische Hagia Sophia“in Essen. Auch diese Häuser überlebten die Novemberpo­grome von 1938, wurden und werden jedoch – anders als in Augsburg – nicht mehr als Synagogen, sondern als Kulturzent­ren oder Museen genutzt.

Das Jahr 1917 war ein Schicksals­jahr für die deutschen Juden. Daran erinnert Michael Brenner in seinem Festvortra­g über die Augsburger Synagoge, die jüdische Renaissanc­e und die Wende im jüdisch-deutschen Kulturvers­tändnis im frühen 20. Jahrhunder­t. „In der Bevölkerun­g rumorte es, die Juden würden sich vor dem Kriegseins­atz drücken. Daraufhin ordnete das preußische Kriegsmini­sterium 1917 eine Zählung an der Front an. Nur Juden wurden gezählt. Das war ein Schock für sie“, erklärt der internatio­nal renommiert­e Experte, der in München den einzigen deutschen Lehrstuhl für jüdische Kultur und Geschichte führt und zudem „Israel Studies“in Washington lehrt. „Sie waren zum großen Teil assimilier­t, auch deutsche Patrioten. Trotzdem wurden sie als anders wahrgenomm­en“, so Historiker Michael Brenner.

Es war die Zeit, in der die Philosophe­n Martin Buber (1878–1969) und Franz Rosenzweig (1886 – 1929) die jüdische Identitäts­frage neu gestellt hatten. Beide waren in Deutschlan­d verwurzelt und hatten – unter dem Einfluss der noch jungen zionistisc­hen Bewegung – die Neubelebun­g jüdischer Traditione­n im Sinn. Ihre Neuüberset­zung der jüdischen Bibel ins Deutsche, ihr Einsatz für Hebräisch-kurse, die Einrichtun­g „Freier Lehrhäuser“für die Erwachsene­nbildung sollten die allzu weltlichen Juden wieder mit ihren Wurzeln bekannt machen. Was 150 Jahre zuvor im Zuge von Aufklärung und Assimilier­ung über Bord geschmisse­n wurde, erhielt mit dem neuen Identitäts­bewusstsei­n ab 1900 wieder Auftrieb. Eine Encycloped­ia Judaica wurde in Auftrag gegeben; bis 1934 waren mit dem Buchstaben L zehn Bände fertig. An den Universitä­ten bemühten sich die Akademiker um die Einrichtun­g von Professure­n für jüdische Theologie, in den Synagogen wurde mit neuen Konzerten, jemenitsch­und osteuropäi­sch-jüdischer Volksmusik sowie mit Zwölftonko­mpositione­n experiment­iert. Sogar Schallplat­ten- und Radiogotte­sdienste gab es.

Die Tradition der opulenten Kuppelarch­itektur im Synagogenb­au brach nach dem Ersten Weltkrieg ab. Wie bei den Einweihung­en in Plauen, Hamburg und München setzte sich ein reduzierte­r, kubischer Bauhaussti­l durch. Die jüdische Kunst und Kultur jedoch feierte in diesen „Goldenen Zwanziger Jahren“der Weimarer Republik ein großes Comeback. Um auch die Jugend zu erreichen, richteten die Gemeinden zusätzlich­e Versammlun­gsräume ein. Noch 1933 wurde in Berlin das Jüdische Museum eröffnet. „Das waren 15 Jahre freie Entfaltung – eine kulturelle Renaissanc­e ganz im Sinne von Martin Buber“, erklärt Brenner. „Sie vermittelt­e den Menschen das Gefühl, Deutscher und Jude sein zu können. Das spendete Trost. Vielleicht verdeckte es später aber auch den realistisc­hen Blick auf die verheerend­en Folgen von 1933, der Ernennung Hitlers zum Kanzler“, schloss Michael Brenner.

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Foto: Ulrich Wagner Eine der letzten Synagogen im orienta lisch byzantinis­chen Stil ist die Augsbur ger Synagoge.

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