Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Goldenen Zwanziger der jüdischen Kultur
Religion In der Weimarer Republik erlebte die deutsch-jüdische Identität ein Comeback. Machte das blind für die Ereignisse von 1933?
Die Augsburger Synagoge ist ein besonderes Juwel. Nicht nur wurde sie mitten im Ersten Weltkrieg eröffnet, sie war auch die letzte, die üppig im orientalisch-byzantinischen Stil samt Kuppel erbaut wurde. Zu dieser Rundbau-generation zählen außer ihr nur die Mainzer Synagoge von 1912, die Offenbacher (1916) und die 1913 eingeweihte „jüdische Hagia Sophia“in Essen. Auch diese Häuser überlebten die Novemberpogrome von 1938, wurden und werden jedoch – anders als in Augsburg – nicht mehr als Synagogen, sondern als Kulturzentren oder Museen genutzt.
Das Jahr 1917 war ein Schicksalsjahr für die deutschen Juden. Daran erinnert Michael Brenner in seinem Festvortrag über die Augsburger Synagoge, die jüdische Renaissance und die Wende im jüdisch-deutschen Kulturverständnis im frühen 20. Jahrhundert. „In der Bevölkerung rumorte es, die Juden würden sich vor dem Kriegseinsatz drücken. Daraufhin ordnete das preußische Kriegsministerium 1917 eine Zählung an der Front an. Nur Juden wurden gezählt. Das war ein Schock für sie“, erklärt der international renommierte Experte, der in München den einzigen deutschen Lehrstuhl für jüdische Kultur und Geschichte führt und zudem „Israel Studies“in Washington lehrt. „Sie waren zum großen Teil assimiliert, auch deutsche Patrioten. Trotzdem wurden sie als anders wahrgenommen“, so Historiker Michael Brenner.
Es war die Zeit, in der die Philosophen Martin Buber (1878–1969) und Franz Rosenzweig (1886 – 1929) die jüdische Identitätsfrage neu gestellt hatten. Beide waren in Deutschland verwurzelt und hatten – unter dem Einfluss der noch jungen zionistischen Bewegung – die Neubelebung jüdischer Traditionen im Sinn. Ihre Neuübersetzung der jüdischen Bibel ins Deutsche, ihr Einsatz für Hebräisch-kurse, die Einrichtung „Freier Lehrhäuser“für die Erwachsenenbildung sollten die allzu weltlichen Juden wieder mit ihren Wurzeln bekannt machen. Was 150 Jahre zuvor im Zuge von Aufklärung und Assimilierung über Bord geschmissen wurde, erhielt mit dem neuen Identitätsbewusstsein ab 1900 wieder Auftrieb. Eine Encyclopedia Judaica wurde in Auftrag gegeben; bis 1934 waren mit dem Buchstaben L zehn Bände fertig. An den Universitäten bemühten sich die Akademiker um die Einrichtung von Professuren für jüdische Theologie, in den Synagogen wurde mit neuen Konzerten, jemenitschund osteuropäisch-jüdischer Volksmusik sowie mit Zwölftonkompositionen experimentiert. Sogar Schallplatten- und Radiogottesdienste gab es.
Die Tradition der opulenten Kuppelarchitektur im Synagogenbau brach nach dem Ersten Weltkrieg ab. Wie bei den Einweihungen in Plauen, Hamburg und München setzte sich ein reduzierter, kubischer Bauhausstil durch. Die jüdische Kunst und Kultur jedoch feierte in diesen „Goldenen Zwanziger Jahren“der Weimarer Republik ein großes Comeback. Um auch die Jugend zu erreichen, richteten die Gemeinden zusätzliche Versammlungsräume ein. Noch 1933 wurde in Berlin das Jüdische Museum eröffnet. „Das waren 15 Jahre freie Entfaltung – eine kulturelle Renaissance ganz im Sinne von Martin Buber“, erklärt Brenner. „Sie vermittelte den Menschen das Gefühl, Deutscher und Jude sein zu können. Das spendete Trost. Vielleicht verdeckte es später aber auch den realistischen Blick auf die verheerenden Folgen von 1933, der Ernennung Hitlers zum Kanzler“, schloss Michael Brenner.