Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Abstiegskämpfer
FCA Halil Altintop weiß, wie es sich anfühlt, abzusteigen. Er hat es schon zweimal durchgemacht. Ein drittes Mal will er das nicht mehr erleben. Dafür stellt er alles hintan
Wenige Minuten vor dem Spiel gegen den Hamburger SV ergriff Halil Altintop in der Kabine das Wort und schwor seine Mitspieler noch einmal auf den Abstiegskampf ein. Drei Wochen zuvor hatte der FC Augsburg zu Hause gegen Ingolstadt mit 2:3 verloren. „Da waren wir in einer ähnlichen Situation, und ich hatte das Gefühl, dass ich der Mannschaft noch etwas sagen sollte“, erklärt Altintop drei Wochen später.
Er sitzt neben Trainer Manuel Baum auf dem Podium bei der Pressekonferenz vor dem letzten Saisonspiel am Samstag (15.30 Uhr/sky) bei der TSG 1899 Hoffenheim. Es geht um alles. Der FCA kann sich direkt retten oder er kann auf den Relegationsplatz abrutschen. Dann entscheiden zwei Spiele gegen den Zweitliga-dritten (aller Voraussicht nach Eintracht Braunschweig) über den Klassenerhalt.
Zweimal hat der 34-Jährige schon erlebt, was es heißt, abzusteigen. Zweimal miterlebt, was passieren kann, wenn die Spieler im Abstiegskampf mehr an sich als an den Verein denken. 2006 beim 1. FC Kaiserslautern, 2011 bei Eintracht Frankfurt. „Diese Momente sind unvergesslich, aber ich will sie nicht noch mal erleben“, sagt Altintop.
Deshalb machte er seinen Mitspielern mit einer emotionalen Rede vor dem Hsv-spiel deutlich, um was es ging. Altintop gehört zu den Führungsspielern, ist Mitglied des Mannschaftsrates. Er muss den richtigen Ton getroffen haben. Der FCA gewann im direkten Duell mit dem Abstiegskandidaten klar mit 4:0. „Wir haben da gezeigt, wer die bessere Mannschaft ist.“Gerettet ist der FCA aber noch nicht. Und jetzt muss man noch bei der TSG 1899 Hoffenheim antreten, die im Fernduell mit Borussia Dortmund um die direkte Qualifikation zur Champions League kämpft.
Doch Altintop strahlt eine Ruhe aus, als würde er gerade aus einer Yoga-stunde kommen würde. Vielleicht ist er gerade deswegen in dieser brenzligen Situation der richtige Ansprechpartner für die Medien. „Nervosität herrscht bei uns nicht, wir sind vielmehr optimistisch, dass wir am Samstag um 17.20 Uhr feiern können“, sagt er und fügt an: „Wir wissen, wo unsere Stärken liegen, und die Ergebnisse der letzten Spiele sprechen für uns. Das macht uns optimistisch und lässt uns mit brei- ter Brust nach Hoffenheim fahren.“Altintop will auf keinen Fall ein drittes Mal absteigen.
Dass der FCA den Klassenerhalt aus eigener Kraft schaffen kann, liegt auch an ihm. Dabei schien es, als würde der Routinier in den Planungen von Manuel Baum keine große Rolle mehr spielen. Der Trainer setzte zuerst eher auf junge Spieler. Doch im Abstiegskampf griff Baum wieder auf Altintop zurück. Ob Baum selbst auf die Idee mit dem Routinier kam oder ob ihn Geschäftsführer Sport, Stefan Reuter, der großes Mitspracherecht hat, dazu leitete, ist egal. Das Ergebnis zählt: Die letzten fünf Spiele stand Altintop in der Startelf, die Ausbeute waren acht Punkte.
Gegen den HSV traf er zwei Mal selbst, in Frankfurt und in Gladbach bereitete er zwei Treffer von Alfred Finnbogason vor. Gerade der isländische Stürmer profitiert von Altintop. „Er ist ein wichtiges Bindeglied nach der Balleroberung zwischen unserer Spitze und dem Rest. Er hat die Gabe, das Spiel gut zu lesen. Die Erfahrung tut uns gut“, schwärmt Baum nun geradezu von Altintop.
Altintop lächelt. In der gleichen Situation war er fast genau vor einem Jahr. Auch der damalige Trainer Markus Weinzierl meinte, auf Altintop verzichten zu können. Der FCA schwebte in Abstiegsgefahr. Altintop spielte in der Schlussphase der Saison wieder, der FCA blieb drin. „Wenn man beide Saisonverläufe ansieht, muss man sagen, die Trainer haben mich erst so spät losgelassen“, sagt Altintop und lacht. Die Fakten sprechen für ihn.
Es sind die altgedienten Profis wie Altintop, Kapitän Paul Verhaegh, 33, oder Daniel Baier, der am gestrigen Donnerstag seinen 33. Geburtstag feierte, die plötzlich wieder vorangehen und damit auch die anderen Spieler mitziehen. „Es ist eine Kopfsache“, sagt Altintop. „Bei uns sind sehr wichtige Spieler immer wieder verletzt weggefallen. Seit sie wieder da sind, finden wir wieder zu alter Stärke zurück.“Er stellt aber auch klar: „Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir wissen, dass wir noch mehr aus uns herausholen müssen, und das werden wir auch.“Er wirkt überzeugt.
Altintop hat die Routine von 350 Bundesligaspielen. Mit dem Spiel in Hoffenheim könnte er mit dem Georgier Levan Kobiashvili (früher Freiburg, Schalke, Hertha) gleichziehen. Nur ein ausländischer Spieler hätte dann mehr Spiele als die beiden: Claudio Pizarro. Der Peruaner absolvierte bisher für Bayern und Bremen 430 Bundesligaspiele. Dass Altintop Pizarro noch erreichen wird, ist unwahrscheinlich.
Das eine oder andere Jahr in der Bundesliga würde Altintop aber gerne noch dranhängen. Sein Vertrag läuft am Ende der Saison aus. Mit seiner Frau und den drei Kindern fühlt er sich in Augsburg sehr wohl, hier hat er schon ein paar Immobilien gekauft. Seit 2013 spielt er beim FCA. Ob er bleiben wird?
Diese Frage ist noch nicht geklärt. „Ich bin im engen Austausch mit den Verantwortlichen. Jede Seite weiß, was sie an der anderen hat“, sagt Altintop. „Aber jetzt bin ich voll fokussiert auf die nächsten zwei Tage. Wir müssen die Kräfte bündeln und alles geben, damit wir am Samstag den Klassenerhalt schaffen. Alles andere ist nebensächlich.“Es hätten Worte aus seiner Kabinenansprache sein können.