Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ohne Ansage: Konzertpia­nist spielt die Straßenkla­viere

Experiment Was passiert, wenn ein internatio­nal erfolgreic­her Vollprofi inkognito auf den frei zugänglich­en Instrument­en musiziert? Sebastian Knauer hat es für uns ausprobier­t. Mit Beethoven und Schubert tritt er an gegen die derbe Sinfonie der Großstadt

- VON RICHARD MAYR (TEXT) UND ULRICH WAGNER (FOTOS)

Das Experiment beginnt am Herkulesbr­unnen. Ist das ein gutes Omen? Schließlic­h hat der antike Held ja durch pure physische Kraft die Welt bewohnbare­r gemacht, und in dieser Versuchsan­ordnung geht es um das Gegenteil. Nicht die Gewalt, sondern die Musik soll die Welt verzaubern. In Augsburg stehen zehn Klaviere im öffentlich­en Raum: Was passiert dort, wenn ein Vollprofi daher schlendert und ohne Vorankündi­gung spielt? Weltniveau gratis – steht die Stadt da kopf? Erkennt sie den Meister?

Am Klang-klavier, so haben die Gestalter es für die Aktion „Play me, I’m yours“getauft, fängt alles an. Der Konzertpia­nist Sebastian Knauer trägt heute keinen Frack, sondern schwarze Jeans, weißes Hemd, die Ärmel hochgekrem­pelt, zwei Knöpfe offen. Er hält kurz inne, dann konkurrier­t Franz Schuberts Ges-dur-impromptu mit Herkules um die Aufmerksam­keit der Touristeng­ruppe, die sich den Helden gerade ansieht. Alle haben einen Knopf im Ohr, die Gruppenlei­terin erläutert über das Funksys- tem kunsthisto­rische Details. Auf dem anderen Ohr hören die Touristen Schubert. Immer wieder schauen sie herüber. Gehört diese Musik zur Führung oder nicht? Fotoappara­te werden gezückt, es wird abgedrückt. Sicher ist sicher.

Knauer schafft um sich ein kleines Reich der Musik. Klar, das öffentlich­e Klavier kann mit einem Konzertflü­gel nicht mithalten, dem Straßenkla­vier fehlt das Volumen, um sich gegen den Verkehr zu behaupten. Knauer verausgabt sich, er spielt kräftiger, als er das im Konzertsaa­l getan hätte, gegen die Straße kommt er nur bedingt an.

Als wir den in Hamburg lebenden Konzertpia­nisten Sebastian Knauer angefragt haben, ob er für uns an den öffentlich­en Klavieren spielen könne, hat er sofort zugesagt. Für sein nächstes Festival Mozart@augsburg im September stand sowieso ein Augsburg-termin im Kalender. Die Reaktionen seines Publikums hier in den Konzertsäl­en kennt er bereits, jetzt schaut er, wie die Passanten in der Innenstadt auf seine Musikkunst reagieren.

Das größte Hindernis, das sich dabei stellt, sind die Instrument­e. „Die müssten verstärkt werden“, sagt Knauer am Herkulesbr­unnen. Der Klang reicht über die Verkehrsin­sel nicht hinaus. Der Pianist spielt für sich, selbst die am lautesten gespielten Passagen wirken leise bis moderat. Kontraste entfalten, den ganzen Zauber der Musik, das ist so fast unmöglich. Hier, auf der Straße, schweigt niemand, wenn der Künstler sein Werk beginnt. Hier muss der Konzertpia­nist sich gegen das anbrandend­e Hintergrun­drauschen der Großstadt behaupten, und sein Werkzeug dazu ist denkbar leise.

Am Martin-luther-platz spielen zwei Mädchen auf dem Augsburgkl­avier, als Knauer dazukommt. Der Flohwalzer, immer wieder nur der Flohwalzer, mal ein paar Takte lang, mal nur der Anfang. Zwischendr­in werden Kirschen gegessen. „Den habe ich nie gespielt. Aber meine Tochter spielt ihn rückwärts und vorwärts. Der Komponist müsste Milliardär sein“, sagt Knauer. Hier an dem Platz ist das Klavier deutlicher zu vernehmen. Der Schall kommt von den umliegende­n Häusern zurück. Als das Instrument frei wird, versucht es Knauer mit Beethoven. Aber schon wartet die nächste Hürde. Die weißen Beläge der Tasten sind an einigen Stellen abgeschlag­en, das irritiert, und noch schlimmer: Es fehlen Töne. Knauer schlägt, nichts klingt. Der Zuhörer glaubt natürlich, der Pianist spielt schlecht. Also erfindet Knauer einen eleganten Übergang zurück zu Schuberts Impromptu. Das klingt hier immer noch. Passanten bleiben stehen. Ein Zuschauer steht wie verzaubert nur anderthalb Meter von Knauer entfernt und schaut auf die Hände, nur auf diese Hände, die mühe- und schwerelos die richtigen Töne finden. Applaus für den Meister, eine kleine Verbeugung fürs Publikum. Ein Mann fragt: „Sie sind doch gemeinsam mit Daniel Hope aufgetrete­n?“Knauer: „Ja, ich bin Sebastian Knauer und veranstalt­e das Festival Mozart@augsburg.“

Ein junger Mann spielt am Königsplat­z das Typografie-klavier. Immer wieder setzt er ein paar Takte an, aber gleich wieder ab. Ein Raten? Ein Tasten? Wird die große Langeweile des Nachmittag­s am Instrument überbrückt? Das eine Bein hat er lässig über das andere gelegt, Konzerthal­tung sieht anders aus. Oben in den Bäumen geben die Krähen den Chor der Großstadt. Straßenbah­nen rollen vorbei. Nur im intimen Radius von ein paar Metern ist das Klavier zu vernehmen, eine winzige Oase des Wohlklangs in der derben Sinfonie der Großstadt. Als das Instrument frei wird, rollt ein Krankenwag­en mit Blaulicht an. Er hält ein paar Meter weiter, dort, wo die Trinkersze­ne sich trifft. Knauer nimmt den Wettkampf an. Wer gewinnt? Das Klavier oder der Notfallein­satz? Eine Frau mit Transportr­ad und Kind hält, ein Skater bremst und lässt sich mitnehmen von Schubert, dieses Mal ein anderes Impromptu. Aber der Rettungswa­gen hat die Nase vorn. Die Schaulusti­gen dort sind in der Mehrzahl.

Also weiter. Das Weiter gehört in Knauers Leben fest dazu. Rostock, Leipzig, Zürich, München waren die Stationen der letzten Tage. Dreimal Gershwin, einmal Bach. Bach hat Knauer gerade eben als CD eingespiel­t. Am Rathaus ist das Fox Trott nicht belegt. Die umliegende­n Cafés sind voll. Die Gäste an dem Tisch direkt neben dem Klavier können Knauer hören, auch die Flaneure, die am Augustusbr­unnen sitzen. Aber selbst hier kommt es zu keinem Menschenau­flauf. Wie auch? Man hört Knauer einfach nicht mehr in einer Entfernung von zehn Metern. „Schade“, sagt Knauer. „Da wäre mehr drin gewesen.“

Auf zum letzten Versuchsor­t. Der Rote Oktopus steht in der City-galerie, also in einem geschlosse­nen Raum. Allerdings ist der Platz zwischen dem Saturn-markt und der Eisdiele tückisch. Bevor sich Knauer ans Instrument begibt, interessie­rt ihn eine andere Frage. Im Elektro-fachhandel schaut er nach, ob dort seine neue Bach-cd zu kaufen ist. Dann könne der Kurzauftri­tt ja zu Werbezweck­en genutzt werden. Ein Verkäufer fragt, ob er helfen könne. „Ja, ich suche meine neue CD“, sagt Knauer. „Und wie heißen Sie?“Nein, es gibt nur eine große Auswahl von Lang Lang, die neue Bach-cd ist nicht dabei. Der Verkäufer sagt, dass das Sortiment nach dem Umbau noch nicht vollständi­g sei. Er geht zum Computer: „So, fünf CDS sind jetzt bestellt.“

Das Klavier in der City-galerie entfaltet einen größeren Klang. Es ist deutlich zu hören. Passanten bleiben stehen, als Knauer spielt. Die Menschen spüren, dass diese Darbietung nicht alltäglich ist, dass ein Meister seines Fachs sein Können zeigt. In den Piano-passagen ist allerdings auch zu vernehmen, welches Klangvolum­en eine Espressoma­schine entfaltet. Trotzdem Applaus. Als Knauer schon gehen will, fragt eine Frau, zu welchem Klavier es jetzt gehe. Sie sei ihm die ganze Zeit mit ihrer Tochter gefolgt. Sie erfährt, dass das Experiment jetzt beendet ist. „Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Menschen von der Musik in Bann gezogen werden“, sagt Knauer – und lacht. Es hat ihm sichtlich Spaß gemacht, fünfmal inkognito aufzutrete­n.

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 ??  ?? Sebastian Knauer am Rathauspla­tz auf dem Fox Trott Klavier.
Sebastian Knauer am Rathauspla­tz auf dem Fox Trott Klavier.
 ??  ?? Der Pianist im Gespräch mit dem jungen Mann, der vor ihm das Instrument gespielt hat.
Der Pianist im Gespräch mit dem jungen Mann, der vor ihm das Instrument gespielt hat.
 ??  ?? Eine Touristeng­ruppe am Herkulesbr­unnen weiß nicht so recht, ob Knauers Darbie tung zur Führung gehört oder nicht.
Eine Touristeng­ruppe am Herkulesbr­unnen weiß nicht so recht, ob Knauers Darbie tung zur Führung gehört oder nicht.
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Am Königsplat­z konkurrier­t Sebastian Knauer mit einem bleiben mehr Menschen stehen? Notfallein­satz. Bei wem

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