Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fehlt es bald an Ärzten für Suchtpatienten?
Interview Mediziner Gerhard Stecker über die Substitutionstherapie und Chancen, abhängige Patienten zu heilen
Herr Stecker, welche Chancen gibt es, langjährige Suchtkranke komplett zu heilen? Gerhard Stecker: Das ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage. Unsere Patienten sind in der Regel mehrfachabhängig, da sind Leute dabei, die viele Substanzen nehmen und schwer abhängig sind. Es ist eine lebenslange Erkrankung, auch wenn man abstinent ist, der Begriff Heilung ist dahingehend also ein wenig irreführend. Wenn man Heilen mit Abstinenz gleichsetzt: 25 bis 30 Prozent schaffen es nach einer Entwöhnung, länger als ein Jahr abstinent zu bleiben.
Wie lange dauert eine Drogentherapie in der Regel? Stecker: Eine Entwöhnung dauert in der Regel zunächst etwa sechs Monate. Nach dieser Phase in einer stationären Einrichtung schließt sich eine dreimonatige Adaptionsphase idealerweise wohnortnah an. Die Gesamtdauer liegt also bei sechs bis neun Monaten. Es gibt aber inzwischen auch relativ flexible Therapiemodelle, berufsbegleitende Behandlungen etwa. Da sind die Einrichtungen flexibler geworden, realitätsnäher.
Was ist das Ziel einer Substituierung, also einer Behandlung mit Drogenersatzstoffen? Stecker: Die Substitution ist eine effektive Behandlungsmethode mit dem Ziel, die Patienten wieder psychisch und körperlich zu stabilisieren, ihnen die Teilhabe am normalen Leben zu ermöglichen. Sie senkt die Mortalität und Kriminalität und ermöglicht schrittweise die soziale Reintegration. Einige Patienten finden beispielsweise wieder eine Arbeit. Wie viele Patienten werden bei Ihnen in der Fachambulanz für Drogenabhängige behandelt? Stecker: 200 werden bei uns ambulant substituiert, erhalten also vor Ort einen Opiat-ersatzstoff. Oder sie bekommen eine Take-homeverordnung, erhalten also für bis zu sechs Tage das Medikament und dürfen es eigenverantwortlich zuhause einnehmen. Stationäre Aufnahmen haben wir etwa 600 im Jahr – Notfälle, Vergiftungen, Polizeieinweisungen. Wir haben aber auch den Fall, dass Patienten nach Voranmeldung ganz geplant nach Termin kommen. Die wissen, sie kommen in vier Wochen in die Entwöhnungsbehandlung und müssen noch eine Entgiftungsbehandlung im Vorfeld machen. Das dauert so drei bis vier Wochen, dann ist der Patient komplett entgiftet.
Immer wieder hört man, dass es zu wenige Ärzte gibt, die eine Substitutionstherapie anbieten. Ist das ein Eindruck, den Sie für Augsburg bestätigen können? Stecker: Wir haben momentan noch genügend Substitutionsplätze im Stadtgebiet, von den Substitutionsärzten erreichen jedoch einige in den nächsten Jahren die Altersgrenze. Somit droht ein Nachwuchsmangel.
Wie viele Ärzte sind es denn aktuell? Stecker: Wir haben 15 Ärzte, die substituieren, diese versorgen damit ungefähr 630 Patienten. Die meisten Ärzte substituieren zwischen vier und 50 Patienten. Es gibt eigentlich mehr Ärzte in Augsburg, die diese Behandlung anbieten dürften – aber es aus irgendeinem Grund nicht machen. Die Substitution hat bei vielen einen negativen Touch, es sind vielleicht Bedenken da, die Behandlung könnte zu juristischen Problemen führen. Dem ist aber nicht so. Das ist eine reguläre medizinische Behandlung, da muss man nichts befürchten, wenn man sich an den Behandlungsleitlinien orientiert und die gesetzlichen Vorgaben einhält. Es wäre wünschenswert, dass sich mehr Kollegen da rantrauten. Die Arbeit ist anspruchsvoll, aber es ist auch schön, Erfolge zu sehen. Sie ist mittlerweile etabliert und wissenschaftlich ohnehin untermauert.
Dr. Gerhard Stecker ist Oberarzt am Bezirkskrankenhaus Augsburg (BKH) und leitet dort die Fachambulanz für Dro genabhängige.