Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Science Fiction, die zur Realität wurde

Comic Die beklemmend­e Geschichte hinter einer argentinis­chen Bilderzähl­ung

- VON CHRISTA SIGG Foto: Avant Verlag

München Leise rieselt der Schnee. In Buenos Aires geschieht das höchstens alle 50 Jahre. Doch diesmal trügt die funkelnde Idylle: Wer mit den Flocken in Berührung kommt, stirbt augenblick­lich. Und so wird es in der Metropole schnell still, totenstill. Juan Salvo und ein paar Freunde bleiben unversehrt – weil sie hinter geschlosse­nen Fenstern beim Kartenspie­l sitzen. Und bald stellt sich heraus, wie fatal die Situation ist: Außerirdis­che greifen die Erde an und führen mit Hilfe von Mutanten Krieg gegen die Bevölkerun­g. Menschen verschwind­en, werden gefoltert, manipulier­t. Salvo, der den bösen Mächten entkommt, wird ins All katapultie­rt. Seither ist er als Wanderer durch die Zeiten auf der Suche nach Frau und Tochter.

Mit „Eternauta“hat sich Héctor Germán Oesterheld eine schräge, ja fiese Science-fiction-geschichte ausgedacht. Was in den späten 1950er Jahren als Hirngespin­st eines fantasiebe­gabten Comic-autors für gute Auflagen sorgte, wurde zwanzig Jahre später von der Wirklichke­it in Argentinie­n noch übertroffe­n. Und damit ist aus Oesterheld­s populärem Bilder-trip durchs Universum eine beklemmend­e Parabel auf die Militärdik­tatur zwischen 1976 und 1983 geworden.

Dabei hat die Vermengung von Fiktion und Realität eine weitere, besonders schmerzhaf­te Ebene. Oesterheld und seine vier Töchter sind damals selbst in die Schusslini­en des Regimes geraten, weil sie sich politisch engagiert und Menschen in den Slums unterstütz­t haben. Bald ging das nur mehr im Untergrund, und so wurde der Einsatz für die Armen zum Kampf gegen die Junta. Wie so etwas in Argentinie­n endete, kein Geheimnis. General Videla hatte schon 1976 angekündig­t, „es müssen so viele Menschen sterben wie nötig, damit das Land wieder sicher ist“– und sicher hieß: frei von allem, was nicht ganz rechts war. Und doch wurde hier 1978 munter um die Fußball-weltmeiste­rschaft gekickt.

30 000 Menschen sind während der Diktatur in Argentinie­n ermordet oder verschlepp­t worden. Darunter auch Oesterheld, seine vier Töchter und die Schwiegers­öhne. Alles hatte der Autor zwischen 1957 und 1959 „vorformuli­ert“, regelrecht minutiös, und Francisco Sola- no López hatte dazu ganz eindringli­che Bilder gezeichnet.

Erstaunlic­h, dass diese zum Mythos gewordene Geschichte aus Argentinie­n, dieses Plädoyer für Solidaritä­t und Menschlich­keit, erst vor einem guten Jahr ins Deutsche übersetzt wurde. Und das auch nur, weil sich Verleger Johann Ulrich „Eternauta“in den Kopf gesetzt hatte, angesteckt durch eine

von Anna Kemper. Die Journalist­in hat dazu eine herrlich kompakte Ausstellun­g kuratiert, in der entscheide­nde Szenen aus dem Comic den Erlebnisse­n Oesterheld­s und seiner Familie gegenüberg­ewar stellt werden – immer wieder angereiche­rt mit Fakten aus der argentinis­chen Geschichte. Nach Stuttgart und Berlin ist die Schau nun in München im Instituto Cervantes zu sehen. Wer Scheu vor fast 400 Seiten „Eternauta“hat, kann hier ungewöhnli­ch tief in die Thematik eintauchen. Dabei wird die Lust aufs Buch nur noch angeheizt.

» Buch Héctor Germán Oesterheld und Francisco Solano López: „Eternauta“, Avant Verlag, Berlin, 392 S., 39,95 ¤ Ausstellun­g Instituto Cervantes München, Alfons Goppel Str. 7, bis 14. Juli, Montag bis Donnerstag 10 bis 18 Uhr; Eintritt frei

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Unheimlich­es geschieht: Bildsequen­z aus „Eternauta“.

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