Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vor dem Frühstück eine Flasche Schnaps

Sucht Das Marie-juchacz-zentrum in Kriegshabe­r öffnete vor zwei Jahren und ist die einzige Einrichtun­g für Langzeitth­erapie in Nordschwab­en. Jetzt wurde der erste Patient entlassen. Wie es ihm heute geht

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Rolf Müller* war ganz unten, als er ins Marie-juchacz-zentrum in Kriegshabe­r einzog. Mehr als zehn Entgiftung­en hatte der Alkoholkra­nke da schon hinter sich. Die Einrichtun­g der Arbeiterwo­hlfahrt war die letzte Chance, sonst wäre er in eine geschlosse­ne Station eingewiese­n worden. „Ich wollte hier nicht hin, aber es war das kleinere Übel“, sagt er. Jetzt ist er der erste Bewohner, der die vor zwei Jahren eröffnete Einrichtun­g wieder verlässt und in einer eigenen Wohnung lebt und einen Job hat.

Im Marie-juchacz-zentrum werden chronisch mehrfachge­schädigte Alkoholabh­ängige bis zu zwei Jahre betreut. Bei vielen kommen Medikament­enoder Drogenkons­um hinzu. Das Besondere an der Einrichtun­g ist der lange Zeitraum, den die Abhängigen dort verbringen. „Normale Therapien dauern drei bis sechs Monate. Wer zu uns kommt, kündigt vorher seine Wohnung“, sagt Einrichtun­gsleiter Michael List. Das bedeutet aber auch, dass die Bewohner bei Rückfällen nicht rausfliege­n, sie haben schließlic­h keine Wohnung mehr. Zweimal am Tag müssen sie pusten und es gibt darüber hinaus unangekünd­igte Stichprobe­n. Auch Müller hatte einen Rückfall, als sein Vater starb. „Ich war dann immerhin so schlau, mich selbst ins Bezirkskra­nkenhaus in Kaufbeuren einzuweise­n.“

In Kriegshabe­r arbeiten sie daran, wieder Struktur in die Tagesabläu­fe zu bringen und die Probleme aufzuarbei­ten. Private Probleme waren es auch, wegen denen Müller vor drei Jahren abstürzte. „Meine Frau hat mich betrogen und sich scheiden lassen, und wir mussten das Haus aus finanziell­en Gründen verkaufen. Wegen des Alkoholkon­sums wurde ich arbeits- und obdachlos.“Die ersten beiden Entgiftung­en machte er noch freiwillig, zu den anderen nötigte ihn der Betreuer, der ihm zur Seite gestellt wurde. Damals habe er den Mann gehasst, heute habe er Verständni­s für dessen Handeln. „Mir war damals alles egal. Ich brauchte morgens eine Flasche Schnaps, damit ich soweit funktionie­rte, dass ich mir dann wenigstens einen Kaffee machen konnte.“Vorher seien die Schmerzen und das Zittern aufgrund der Entzugsers­cheinungen zu groß gewesen.

Müller bekam direkt im An- an einen Aufenthalt im Bezirkskra­nkenhaus Kaufbeuren einen Platz in Kriegshabe­r. Dass es so schnell ging, hat er einem glückliche­n Umstand zu verdanken. „Der Bezirk Schwaben, der die Kosten trägt, hat damals einer Erweiterun­g von 25 auf 35 Plätze zugestimmt. Inzwischen sind wir bei sechs Monaten Wartezeit, was für Menschen mit Suchthinte­rgrund ein sehr langer Zeitraum ist“, sagt List. In Nordschwab­en mangle es an solchen Langzeitan­geboten.

Müller empfand es zunächst allerdings nicht als Glück, dass er dort einziehen sollte. Kontakt zu Mitbewohne­rn suchte er anfangs nicht und auch gegenüber den Mitarbeite­rn habe er sich in den ersten drei Monaten „zurückgeha­lten“, sagt er. Auch sei er enttäuscht gewesen, weil er glaubte, er bekomme hier Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuc­he. Erst mit der Zeit arrangiert­e er sich mit der Situation. Entscheide­nden Anteil daran hatte, dass es in der Einrichtun­g eine Werkstatt gibt, in der er viel arbeitete. Müller kommt vom Bau. „Es war beeindruck­end zu sehen, welche Ressourcen bei ihm noch da sind, wenn er abstinent ist“, so List.

Das ist längst nicht bei allen Patienten so. Bei vielen ist es sehr unwahrsche­inlich, dass sie aufgrund der gesundheit­lichen Probleme je wieder arbeiten können. Bei ihnen geht es darum, wieder Struktur in den Tag zu bringen. Bei einigen Bewohnern ist es auch klar, dass sie anschließe­nd in eine Pflegeeinr­ichtung umziehen müssten. Doch die wenigsten Pflegeheim­e wollen solche Patienten aufnehmen, die Weiterverm­ittlung gestalte sich schwierig, so der Einrichtun­gsleiter. Das gelte auch für Klienten, die eine Wohnung auf dem angespannt­en Immoschlus­s bilienmark­t suchen, berichtet List. „Bei uns leben weitere Personen, die ausziehen dürften.

Müller hatte wieder Glück. Zufällig traf er den Vorarbeite­r seiner alten Firma und die beiden kamen ins Gespräch. Nachdem er fünf Tage auf Probe gearbeitet hatte, wurde er wieder fest eingestell­t. Der Arbeitgebe­r besorgte zudem eine Unterkunft. „Eigentlich wollte ich auf keinen Fall zurück in die Gegend, in der alles begonnen hat, aber die Chance, wieder einen Job zu bekommen, musste ich nutzen.“

Wenn er arbeite, gehe es ihm gut, sagt Müller. Schlimm sei vor allem die Zeit, in der er alleine sei. Er habe bis auf einige Verwandte, die er anrufen und besuchen könne, fast keine Kontakte mehr. In diesen einsamen Momenten komme das Bedürfnis, zur Flasche zu greifen, wieder hoch, sagt er. Dann erinnere er sich daran, was er in den 13 Monaten im Marie-juchacz-zentrum geschafft hat und nicht wieder zerstören will. Ein bitterer Beigeschma­ck bleibt für ihn aber: „Für Viele bleibe ich ein Mensch zweiter Klasse. In den Augen der Meisten bin ich nicht krank, sondern nur ein Säufer.“

 ?? Foto: picture alliance/dpa ?? Wer in das Marie Juchacz Zentrum in Kriegshabe­r kommt, ist schwer alkoholabh­ängig. Das Besondere der Therapie ist der lange Zeitraum, den die Abhängigen dort verbringen. Bis zu zwei Jahre können sie in der Ein richtung verbringen und müssen sie auch...
Foto: picture alliance/dpa Wer in das Marie Juchacz Zentrum in Kriegshabe­r kommt, ist schwer alkoholabh­ängig. Das Besondere der Therapie ist der lange Zeitraum, den die Abhängigen dort verbringen. Bis zu zwei Jahre können sie in der Ein richtung verbringen und müssen sie auch...
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Foto: Sabrina Schatz Einrichtun­gsleiter Michael List bei einem Beratungsg­espräch.

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