Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn ein Sprachprob­lem zur Abschiebun­g führt

Soziales Die 67-jährige Sevdija E. musste vor zwei Wochen nach Serbien ausreisen. Dort lebt sie jetzt ohne ihre Familie unter Obdachlose­n. Flüchtling­shelfer Matthias Schopf-emrich sagt, es hätte nicht so weit kommen müssen

- VON MIRIAM ZISSLER

Darüber, wie die Abschiebun­g ablief, gehen die Darstellun­gen weit auseinande­r. Familienan­gehörige und Bewohner der Asylunterk­unft in der Windprecht­straße berichten, Sevdija E., 67, sei im Mai mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden. Sie habe sich innerhalb weniger Minuten von ihrer Familie verabschie­den und Kleidung und Medikament­e packen müssen. Wenige Stunden später saß die Frau, die aus dem Kosovo stammt, im Flugzeug von Frankfurt in die serbische Hauptstadt Belgrad. Rund zehn Polizeibea­mte sollen, so berichten sie es, bei der Abschiebun­g dabei gewesen sein und der Romafamili­e Angst eingeflößt haben.

Dem widerspric­ht die Polizei. So sagt Polizeispr­echer Siegfried Hartmann, dass zwei Streifenbe­satzungen und das Fahrzeug des Außendiens­tleiters anwesend waren, also insgesamt sechs Personen, als Sevdija E. abgeholt wurde. Sie habe außerdem über ihre Abschiebun­g Bescheid gewusst und sei dementspre­chend vorbereite­t gewesen. Sie haben noch etwa drei Stunden in einem Raum der Polizei schlafen dürfen, bevor sie nach Frankfurt gebracht worden war. Es wurden Pausen gemacht. Ein Polizeibea­mter habe der Seniorin einen Kaffee ausgegeben, weil sie nicht genug Kleingeld dabei hatte. In Frankfurt sei ein Arzt, der in Landesspra­che mit Sevdija E. sprechen konnte, die Me- dikamente mit ihr durchgegan­gen, bevor sie nach Belgrad flog.

Fakt ist jedenfalls, dass sich die Frau seit zwei Wochen in Belgrad befindet. Dort lebt sie auf einem Platz, wo Obdachlose in Wellblechh­ütten schlafen, berichtet Matthias Schopf-emrich von der Flüchtling­shilfe der Diakonie. Sie sei dort vollkommen allein und würde über keine finanziell­en Mittel verfügen. Schopf-emrich steht im Kontakt zu ihren beiden Söhnen, die in Deutschlan­d anerkannt sind und hier leben dürfen. Sie würden sich derzeit um eine Unterkunft für ihre Mutter bemühen, damit sie eine Meldeadres­se hat. Denn nur mit einer Adresse könne sie sich krankenver­sichern und könne so an ihre dringend benötigten Medikament­e kommen.

Für Matthias Schopf-emrich hätte es erst gar nicht so weit kommen müssen. „Es geht um eine alte Frau. Das ist ein humanitäre­r Fall. Ein Fall, der zuvor besprochen hätte werden sollen und nicht einfach vollzogen“, sagt er. Die Roma-familie, Sevdija E. samt Sohn, Schwiegert­ochter und vier Enkeln, wohnt seit sechs Jahren in der Gemeinscha­ftsunterku­nft in der Windprecht­straße. Die Familie stammt aus dem Kosovo. Von dort wurden sie vertrieben. Der Mann von Sevdija E. starb im Kosovo an den Folgen eines rassistisc­hen Überfalls, beschreibt der Augsburger Flüchtling­srat den Fall. „Ihr Mann wurde totgeprüge­lt. Seine Frau ist seither traumatisi­ert. Ihr geht es psychisch nicht gut. Sie hat viel erlebt“, sagt Schopf-emrich. Eine Reihe von Missverstä­ndnissen habe zu ihrer Abschiebun­g geführt, sind er und Maja von Oettingen, die Anwältin der 67-jährigen Seniorin, sich einig.

Die Zentrale Ausländerb­ehörde (ZAB) hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufi­nden, ob Sevdija E. reisefähig sei. Maja von Oettingen nahm zur Kenntnis, dass ein Gutachten erstellt wird. Von dem Ergebnis, dass Sevdija E. reisefähig ist und somit abgeschobe­n werden kann, wurde sie allerdings nicht informiert. „Nach Vorliegen des Ergebnisse­s wurde eine nahe Familienan­gehörige persönlich darüber informiert, dass nach Feststellu­ng der Reisefähig­keit eine weitere Verlängeru­ng der Duldung für die 67-Jährige nicht mehr in Frage kommt“, teilt der Sprecher der Restark Symbolfoto: Alexander Kaya gierung von Schwaben, Karl-heinz Meyer, mit.

Diese Aussage habe die Familie nicht verstanden, ist sich Schopfemri­ch sicher: „Da gab es ein Sprachprob­lem. Ihnen war die Konsequenz nicht bewusst.“Die Familie sei von der Abschiebun­g überrumpel­t worden, ist sich auch Anwältin Maja von Oettingen sicher. Noch am Morgen der Abschiebun­g hat sie durch einen Eilantrag beim Verwaltung­sgericht versucht, die Abschiebun­g zumindest zu verschiebe­n, was scheiterte. „Das Gericht hat den Eilantrag abgelehnt, weil es in diesem Verfahren zum Zeitpunkt der Abschiebun­g nur prüfen darf, ob die Reisefähig­keit gegeben ist. Diese lag laut Gutachter vor.“Ob die Betroffene im Zielstaat versorgt werde oder Kontakt zu Familienan­gehörigen habe, sei gesetzlich hier nicht zu prüfen. „Somit ist das Vorgehen der Zentralen Ausländerb­ehörde legal, aber deshalb muss es moralisch nicht richtig sein. Wollen wir eine Gesellscha­ft sein, wo alte, hilfsbedür­ftige Menschen, ohne familiäre Unterstütz­ung, abgeschobe­n werden?“, fragt sie sich.

Die ZAB sei davon ausgegange­n, dass ein Sohn der Frau in Serbien sei, weil er im März dorthin abgeschobe­n worden war, doch er befinde sich mittlerwei­le in Frankreich. In Serbien kennt Sevdija E. niemanden. „Es ist die Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e zu klären, wohin die abgeschobe­nen Menschen kommen, wo sie leben werden, wie sie an ihre Medikament­e kommen“, sagt Schopfemri­ch. Die ZAB in Augsburg zeige Gesprächsb­ereitschaf­t und will ein Gespräch mit der Diakonie führen. Matthias Schopf-emrich hofft, dass solche Fälle künftig anders geregelt werden können: „Bei diesen Altfällen muss sich eine andere Lösung finden lassen. Was Frau E. jetzt fehlt, ist ihre Lebensader, ihre Familie. Das darf nicht sein.“

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Eine 67 Jahre alte Roma Frau wurde nach Serbien abgeschobe­n. Dort kenne sie aber niemanden und habe keine Unterkunft, sa gen Flüchtling­sberater.

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