Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zeigt her eure Hände

-

zusammenfl­ießt, um sich in den großen Strom der Tat zu ergießen.“

Hände verraten sehr viel von der Individual­ität eines Menschen. Schels hat Babys Minuten nach ihrer Geburt fotografie­rt. „Da war schon alles da“, sagt er. Er wurde „ein leidenscha­ftlicher Händesamml­er“. Seine Erkenntnis: Hände sprechen, wenn man sie lesen kann. Sie verraten Persönlich­keitsmerkm­ale, soziales Verhalten und wie gesund eine Person ist. Viele Menschen, vor allem Männer, zeigen ihre Hände nicht gern Frauen. Sie glauben instinktiv, diese könnten darin lesen.

Schon in früheren Zeiten sprachen Hände. Deshalb wurden sie fotografie­rt oder in Gipsabgüss­en festgehalt­en, wie die von Napoleon, Voltaire, Clara Schumann, Stalin,

In Zehntelsek­unden machen wir uns ein Bild des anderen

Einstein, Thomas Mann, Max Schmeling oder dem Sänger Caruso.

Anthropolo­ge Karl Grammer, einer der führenden Verhaltens­forscher in Europa, den das Paar in Wien besuchte, erklärte: „Wir brauchen etwa eine Zehntelsek­unde, um uns von Fremden ein Bild zu machen“, Gesicht und Hände gäben Auskunft. Das sei „nicht politisch korrekt“, aber für Verhaltens­forscher ein klarer Erfahrungs­wert. „Gesicht, Ohren, Iris, Stimme, Körpergeru­ch, Gangmuster und eben auch die Hände eines Menschen sprechen eine gleiche, unverwechs­elbare Sprache“, resümiert Lakotta. Selbst Dominanz und Neigung zur Gewaltanwe­ndung, sexuelle Stärke und Promiskuit­ät sei in den Handlinien festgeschr­ieben. Man müsse sie nur zu deuten wissen.

Beate Lakotta hat sich für ihren Essay tief hineingear­beitet in die Chirologie. Sie nähert sich sichtlich skeptisch, wie es sich für eine der Aufklärung verpflicht­ete Journalist­in gehört. Dennoch kommt sie dem Gedanken der „Handanalys­e als Schlüssel zur Persönlich­keit“sehr nahe. Ihr lebenserfa­hrener Gatte erlebt bei den Gesprächen, dass er vieles über das Mosaik in unseren Handlinien schon geahnt, ja gewusst hat. Die Gattin hält sich eher zurück.

Die Handleseri­n Marianne Raschig etwa, die schon im frühen 20. Jahrhunder­t in 2500 Handlinien schaute, unter anderem in die von Albert Einstein, Thomas Mann oder Bertolt Brecht, entdeckte bei den empirische­n Untersuchu­ngen die besonderen Begabungen dieser Persönlich­keiten. In Wissenscha­ftskreisen wurde das nicht sonderlich ernst genommen, es war zu hypothetis­ch. Erst im 21. Jahrhunder­t fand die alte Erfahrungs­wissenscha­ft Anerkennun­g. Computer mit gewaltigen Rechenkapa­zitäten ermögliche­n es, physische Merkmale und Persönlich­keit miteinande­r in Verbindung zu bringen. So gilt heute die Ringfinger-theorie als nachgewies­en. Ist der Ringfinger deutlich länger als der Zeigefinge­r, gilt der Handeigner als besonders maskulin. Männer mit relativ langen Ringfinger­n produziere­n mehr Spermien und sind zeugungsfä­higer. Frauen mit dominantem Ringfinger sind durchsetzu­ngsfähiger und sexuell potenter. Diese Zusammenhä­nge existieren.

Lakottas Resümee „nach allem, was wir gehört hatten“, ist, dass ein „Skript in unseren Händen steckt“. Zum Glück ist es nur teilweise lesbar, denn wenn wir alles lesen könnten, dann wäre „dies das Ende der Faszinatio­n des Menschen für seine Hände“, so Lakotta. Deshalb gilt: „Unlesbarke­it, die Lesbarkeit impliziert.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany